Bergmann, Ulrich:

Kopflose Handlungen

Kleine Erzählungen, in denen Menschen ihren Kopf verlieren - bildlich und tatsächlich... 107 Seiten

Hier eine Rezension aus www.philotast.de III,2001
Zirkular am Zeitstrand 6,2001:

KRITIK DER TAKTISCHEN VERNUNFT

„Ich habe mir eine Lebensversicherung aufschwatzen lassen, sagt A.
Dann kannst du leichter sterben, sagt B.
Nein, sagt A, ich lebe leichter.
Wieso, sagt B, ist dein Leben nun sicherer geworden?
Nein, sagt A, mein Tod.
Da machst du aber kein gutes Geschäft, sagt B.
Im Gegenteil, sagt A, je früher ich sterbe, umso größer der Gewinn.“

So oder so ähnlich, aber auch ganz anders, gehen die Geschichten, die Ulrich Bergmann in seinem ersten Buch herausbringt. Es geht in den bizarr heiteren Geschichten mit ernstem Hintergrund immer gleich ums Ganze, es geht um Kopf oder Zahl des Lebens. Einer telefoniert auf seinem Handy, er passt nicht richtig auf und verliert konsequent seinen Kopf. Zwei Henker enthaupten sich gleichzeitig um die Wette und keiner will mit dem Kopf, den er verloren glaubt, nicken. Der brasilianische Fußballgott schießt seinen eigenen Kopf, den er beim Zusammenstoß mit einem Kopfballgegner verlor, ins Tor, aber in der Fernsehübertragung ist das nicht zu sehen.
In den Rudnikow-Geschichten ist das Geschehen der Seins-Paradoxien nach Russland und sogar Peking verlegt. Rudnikow geht über das Wasser der Newa und zertrümmert mit der Stirn seine Armbanduhr um seine Zeit zu retten. Er philosophiert mit einer Dirne in Odessa über die kapitalistische Magie des Weibes. In den acht Schlange-Geschichten wird die Dialektik der Liebenden dekliniert, und in den Geschichten von Schatten und Echo die zweifache Doppel-Schizophrenie von Ich und Ich und Ich und Du und Du und Ich und Du und Du.
Bergmann schrieb mit diesen Geschichten eine Kritik der taktischen Vernunft. Sie stehen in der Tradition der Kalendergeschichten Johann Peter Hebels oder Bertolt Brechts, sie zeigen die Sinnlichkeit der Unvernunft, aber sie belehren nicht. In einigen „Denkgeschichten“ werden triviale Alltagserlebnisse zu abgründigen Erfahrungen (Leo Gillessen in der deutsch-belgischen Literaturzeitschrift Krautgarten 36/2000), da ist die heftige Anwesenheit desTodes spürbar, aber die Helden der alles in allem 90 Geschichten retten sich oft in der Entdeckung der eigenen Göttlichkeit. Das Absurde und Paradoxe unseres Lebens wird in Bildern reflektiert, die uns mit ihren Schlusspointen zum Schmunzeln oder Lachen bringen, das fast im Halse stecken bleibt.


Und hier eine andere Rezension:

ERLEBNISSE ODER ANDERE MÄRCHEN
„Kopflose Handlungen“ von Ulrich Bergmann


Ulrich Bergmann, "Kopflose Handlungen". Verlag R. Wagner. Pyrbaum 1999.

Zirka neunzig Texte von Ulrich Bergmann sind im Band "Kopflose Handlungen' zusammengefaßt.
Worum geht es in den Texten, die am ehesten als Geschichten zu bezeichnen sind, da sie erzählt sind - wie Erlebnisse oder andere Märchen?
Es geht um Glück und Unglück, um die unglaubliche Ansammlung wenigen Lebens und die glaubwürdige Vielfalt des Todes, es geht um Menschen und Nachrichten um Fußball und rollende Köpfe, um Spiele und Götter, kurz: um die größtmögliche Vielfalt unversöhnlicher Gegensätze und Gedanken, vor allem Gedanken. die in jedem gerade wirklichen Augenblick das ausmachen, was gemeinhin Leben im alltäglichen Wahnsinn genannt wird.
Aus den Bildbeobachtungen, die oft schon phantastische Beobachtungen scheinbar trivialer Vorgänge oder Erlebnisse sind, entwickeln sich Gedankengeschichten - und zwar aus den Gedanken über die Gedanken, die bei der Abwicklung der Geschichte trivialer Vorgänge entstehen. Diese Gedankengeschichten streben der realen Absurdität des Erlebens zu, der paradoxen Unmöglichkeit des einfachen Gedankens in einer dem Gedanken chaotisch erscheinenden, mit ihm nicht versöhnbaren Wirklichkeit. Von kafkaeskem Atem angeblasene Erlebnisgeschichten werden von fast mathematisch-philosophischem Denkwerk einer Lösung zugeführt. die eher Un-Lösung ist.
Viele der Geschichten sind Zwiegespräche zwischen einem fiktiven "Real-Ich"-Erzähler und einer seiner realen Fiktiv- Facetten. Unverhoffte Tiefgründigkeit ergibt sich aus dieser Auseinandersetzung des Erzählers mit einem seiner Doppel aus der Palette der multiplen Persönlichkeitsaspekte. Für die Entstehung von Gedanken Ist ja nichts förderlicher als die natürliche Spaltung des “Ich" in alle ihm nötig oder möglich werdenden Formen - dem Muster der Welt und der Existenz schlechthin entsprechend. Wahrscheinlich kommen Schizophrenie oder MPS 0der Wirklichkeit der (eben nur im Denken möglichen) Göttlichkeit am nächsten, da diese Verfassung eine der Grundlagen, wenn nicht sogar die Grundlage überhaupt des Wesens der Gedanken und letztlich des Denkers ist. Vielleicht ist die Annäherung Wahrheit des Denkens, also Lebens - gewollt oder ungewollt - Nerv und Kern dieses Buches und (fast) aller seiner Geschichten. Seinen Gedankengängen läßt Bergmann die Freiheit, mal auf die Spielwiese, mal in irgendeinen undurchdringlichen Gedankendschungel, mal an sonst gemiedene Abgründe zu führen.
Auch wenn Gefühlvolles oder Intuitives sich kaum im Denkraum einfinden und die Sprache gelegentlich zum Spröden neigt, kommt dies der wirkenden, seltsamen Spannung eher zugute. Spannend sind viele dieser „Denkgeschichten“ wegen ihrer unverhofften Wendungen, ihrer hakenschlagenden Erlebnislinien. Es wäre vielleicht zuviel gesagt, Rudnikovs, pardon, Bergmanns Geschichten machten süchtig, aber doch entsteht immer diese Lust auf „noch eine kleine“. -lg-
[Leo Gillessen, in: KRAUTGA RTEN Nr. 36, MAI 2000, 19. Jahrgang I]


Ulrich Bergmann, Kopflose Handlungen
109 Seiten (Paperback), 14.80DM, ISBN 3-930349-20-5, Verlag Reinhard Wagner, Allersberger Str.1, 90602 Pyrbaum (E-Mail: vertrieb@vrwagner.de)


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