Und wenn mein Leben nur eine Testversion ist?

Gedanke zum Thema Gegenwart

von  SunnySchwanbeck

Wieso leben wir in einer Welt, die kaputtes wegwirft, anstatt zu versuchen es zu reparieren? Weil wir gewöhnt sind, dass immer etwas besseres kommen wird. Dass sich alles weiter entwickelt und es immer ein 2.0 gibt. Das heißt, wir leben in dem Bewusstsein, dass alles nur so lange gut ist, bis etwas kommt, das besser ist. Ein warten auf Evolution. Dabei sind es höchstens Kleinigkeiten die verbessert wurden, Dinge die es einem nun leichter machen zu leben.
Aber wieso müssen wir es uns denn immer leichter machen? Wieso erfreuen wir uns nicht mehr daran, Dinge zu schaffen, die schwer erschienen. Dieses Gefühl etwas bewältigt zu haben. Ich frage mich, ob ich mich verbessere. Ob ich nun ein 2.0 bin, und vor vier Jahren nur die Testversion war, die ganz nett schien, aber verbesserungswürdig war. Und mir geht es nicht darum, mein Leben leichter zu machen. Darum ging es mir nie, denn ich mag Probleme.

Das Leben ist keine beschissene Gerade, eine Konstante und ihr findet nicht auf Anhieb eine Parallele die genau das ist, was ihr seid. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich in der falschen Zeit geboren wurde. Dass ich eigentlich genau jetzt mit langen Haaren, großer Sonnenbrille und barfuß in einem VW Bus sitzen müsste, aus dem Fenster gelehnt und den Wind spüren sollte, der noch nicht von Smog geschwängert ist, und immer noch nach Freiheit riecht.

Aber denkt das nicht jeder manchmal? Früher war immer alles besser. Aber was werden wir in zwanzig Jahren unseren Kindern sagen? Werden wir Kinder haben? Wunschkinder? Die durch die wahre Liebe eines Paares entstehen, dass sich nicht sofort trennt nur weil der Mann oder die Frau ein Abbild 2.0 finden. Jemand der es ihnen erleichtert zu leben. Was sage ich ihnen, wenn sie mich fragen warum die vier Jahreszeiten nicht mehr so sind wie sie in den Büchern geschrieben stehen? Warum sie noch nie Schnee sahen? Ob es dann überhaupt noch Bücher geben wird? Oder wird mein Kind mit einem Tablet lesen lernen und nie wissen wie ein neues Buch riecht, wie der Buchrücken knackt wenn man es das erste mal so aufschlägt. Ich lebe nun 18 Jahre auf diesem Planeten und ja ich weiß, das ist verdammt kurz. Aber sollte ich mich nicht freuen, dass ich mehr „morgen“ als „gestern“ auf meinem Konto habe? Dass ich, wenn alles gut geht, vielleicht noch 60 gute Jahre haben werde?

Ich habe Angst, und ein komisches Gefühl macht sich in meinem Bauch breit. Die Gewissheit dass einfach noch so verflucht viel auf mich zu kommt und wartet und das Gefühl das alles nicht bewältigt zu kriegen, lässt mich schwindeln.
Ich nehme meine Kopfhörer aus den Ohren und wende meinen Blick vom Fenster ab, aus dem ich die gesamte Fahrt über starrte. Ich sehe zurück auf das alte Ehepaar, dass neben mir in der Bahn sitzt, seit dem ich einstieg. Sehe wie sich ihre Hände miteinander verflochten haben, wie sie den selben, schlichten, goldenen Ehering an den faltigen Fingern tragen und einfach aus dem Fenster schauen.
Ich frage mich, wie lange sie wohl schon verheiratet sind, und was das für ein Gefühl sein muss, jemanden sein Leben lang an seiner Seite zu haben. Um irgendwann genau an diesem Punkt zu gelangen, dass man den anderen ergraut und mit Altersflecken übersät neben einem sitzen sieht, seine Hand nimmt, und einfach weiß,
dass es in diesem Leben viele Dinge gibt, die sich lohnen repariert zu werden, anstatt sie sofort wegzuschmeißen.

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Kommentare zu diesem Text


 Unbegabt (30.03.14)
ich finde ihn wirklich beeindruckend in seiner gesamtheit.

vor allem weil du glaube ich fast jedem damit zu kleinen, großen oder riesigen teilen aus der seele sprichst.

und besonders gut finde ich:
Ein warten auf Evolution.
und
Aber sollte ich mich nicht freuen, dass ich mehr „morgen“ als „gestern“ auf meinem Konto habe?

ja, es ist etwas anderes und verdammtnochmal ja, es ist mindestens genauso gut wie alles andere!

liebe.
(Kommentar korrigiert am 30.03.2014)
(Kommentar korrigiert am 30.03.2014)

 susidie (30.03.14)
Diese Gedankengänge sind jedenfalls weit mehr als eine Testversion. Ich finde deinen Text richtig klasse und sehr nachvollziehbar. Und ich bin mir sicher, hier ist verdammt viel "morgen" auf dem Konto, wenn heute Gedanken so reflektiert werden können. Liebe Grüße von Su :)
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