In Lösung tauchen

Kurzgeschichte zum Thema Freundschaft

von  RainerMScholz

Eine sengende Nova strahlte hitzeflirrend auf fahlglänzende Stahlmantelgeschosse mit Rädern dran. Smogalarm Stufe irgendwas. Dyszephalloide Wackelpuddinggeschöpfe bewegen sich lüsternschleifend durch Anthrazitstaubwüsten einer gewöhnlichen Mittelklassefickenschicht.
Als ich wiedereinmal im dekadenzdelirierenden Versteck saß, und Nietzsche unter der Straßendecke im Kanalisationssystem von Metropolis über den Herrenmenschen im Angesicht zerfallender Atombombenpilze sinnierte, kam mir die Idee, dass alles nur Zufall, Wahrscheinlichkeitsrechnung und analphabetisches Gestotter sein könnte und gar eigentlich ohne Sinn. Dass ich mir genausogut die Theresaschlampenmegatittendinger angucken könnte, als mir gerade über Völkerstämme von Mikroben im Vorwerkteppich Gedanken zu machen (metaphorisch gesprochen, versteht sich). Nun, die bunten Pillen hatte ich schon vor Jahren weggeschmissen, der Kühlschrank brummte unter seiner Füllung Prozente, der Ventilator oszillierte an einer marineblauen Decke mit angeklebten, phosphoreszierenden Schablonensternen - da läutet es an der Tür. Da das alles gleich gültig zu sein schien, ging ich, um zu öffnen; ich wußte, es ist Chris. Drei Stockwerke und die Sonne schien noch, als er ankam.
Beschreibung Chris: Ein Totschläger mit billigen Knasttätowierungen und teurer Pomade im Haar, ein irrer Blick, katzenhaft buckelnder Gang mit Rasierklingen unter den Armen, Bierbauchansatz, den er mit Hanteln vergeblich versucht wegzutrainieren, Muskelshirt auch bei Minustemperaturen. Also ein richiger Antisocial und Kiosksteher? Nein: auch nur einer von uns, verlorene X-Generation (qu´est-ce que c´est?), krank, wahnverloren, ausgeblutet; Trinker, harter Kern; chronisch arbeitslos; einsam und in Gesellschaft alleine. Kein wohin oder was soll`s. Oder vielleicht doch Superasofuckoffzombie? Wie gesagt. Es lebe die heilige Veramerikanisierung jeglicher Mentalsphären. Alles Hamburger! Allah sei mit uns!
Wirf die Bomberjacke in die Ecke, leg´ die Füße auf den Tisch, steck´  dir `ne Flasche in den Hals: "Ich bin so durstig!" sagt es, und: "Ich brauch´ `was zu ficken.".
"Mir ist auch langweilig."
"Dann mach´ `was."
"Ja, oder nerv´ mich."
"Was?"
"?"
Wieviele deformiert degenerierte Wurmstadien sind das? Würmer haben drei Leben: eines vor dem Schnitt und zwei danach.
"Was heißt das: Mach´ `was.  Etwa arbeiten? Wie jeder durchspießschnittliche Alltagsidiot?"
Er hatte einen neuen Job, angelernt sozusagen, ausgelernt, ausgeschissen.
"Musst du doch wissen, Chris. Ich sitze hier bloß so `rum."
"Bin ich jetzt am Haken? Bin ich geliefert? Und dann Essensmarken zur Rente, oder was?"
"Ja, Herrgott, immerhin gibt`s Kohle, das ist es doch, worum es geht, Scheiße."
"Scheiße."
"Scheiße. Kann ich aber nix dafür. Das hast du dir so ausgesucht. Siehst ja: ich kann gerade das Geld für die Luftzufuhr bezahlen."
"Scheiße."
Während das Gespräch ein wenig unerbaulich, dazu völlig überflüssig zu werden begann, rutschte zu allem Überdruß draußen gerade die rote Thermonuklearhure unter die Horizontdecke und verschwand in ihrem schwarzen Loch. Es wurde Zeit, die giftstrahlenden Hemisphären jenseits des Schizoterrortempels zu pornopetieren. Diskrete Überleitung also:
"Komm schon, Chris, wir fahren `was bei Gerre ein, dann geht`s dir gleich besser in deinem Leben als ordentlicher Steuerzahler und Karrierewichser."
"Du bist der Wichser!"
"Genau."
Er war Sozialbetreuer in einem städtischen Tagesaufbe- und verwahrungshort für Kinder und so geworden. Kaum zu glauben, aber es waren schon ganz andere an chronischer Gesichtslähmung beim Lachen verzweifelt. Lächeln, und nicht die Kindlein schlagen (Lasst sie zu mir kommen!). Vater und Mutter auch nicht (Ehren! Du sollst sie ehren!).
Auf der Straße ist das Siebte Siegel zerbrochen: Höllenmaschinen rasen durch die Nacht; wahnverschmierte Menschenkreaturen schreien vor Schmerz und Wut; überall Blut; graue Gedärme hängen dreckig an rostigen nichtssagenden Schildern; Sirenen heulen erstickt; und Maskierte, als Polizisten Uniformierte, schlagen mit Knüppeln auf Halbwüchsige ein, die gegen Alles zu demonstrieren versuchten; durchgeknallte graubärtige Großväter schießen von befestigten Balkonen mit scharfer Munition zwischen den Geranien auf undeutsch aussehende Passanten; Kinderwagen rollen haarscharf an eisenschneidig aufgeplatzten Straßenbahnen vorbei, aus denen verängstigte Passagiere mit Tageszeitungen winken wie mit weißen Fahnen.
Chris und ich, wir machen, dass wir weiterkommen. Das ist Krieg; und niemand (vorläufig) will so abtreten.
Bei Gerre läuft die Party. Das Klingelzeichen - dreimal kurz, zwei lang (ding-dong) - lässt uns eintreten in`s Nirvana.
Gerre, la guerre, der Krieg im Kopf, die Pilleneinwerfmaschine, das bunte Ungetüm, der Jungfrauenfresser. Charles Manson mit Blümchenmuster auf dem Hemd. War alles voll in Fahrt und wir kamen gerade richtig. Die Red Label Front war da und die dickbäuchigen Jungs vom Presswerk (Arme wie Autoreifen), die blonde Daggie und ihre Dogge, Peitschenheinz und Wolle mit der zertrümmerten Nase. Und all die anderen.
"Hast du `was dabei?"
"Nein, tut mir leid, Gerre, aber wenn du willst, gehen wir noch etwas besorgen."
"Nö, schon in Ordnung. Setzt euch. Bier ist in der Wanne, der Rest...keine Ahnung.", kicherte, grunzte, prustete er und sah dabei aus wie ein besoffener Nikolaus.
"Hast du gesehen,", Chris klackerte ein Karlskronendosenbier auf, "Daggie ist da. Weißt du, was man so spricht, was sie mit ihrem Hund macht?!"
Der lag irre sabbernd, ein komplettes Sofa einnehmend, wie im Schneegestöber, leise hechelnd auf der Seite und guckte triefäugig rot zu uns herüber. Schwarzweiß ausgepunkteter Zentner.
"Alles Gerüchte. Ich hab´ `mal mit ihr `rumgeknutscht."
"Iiiih, du Schwein. Na schön, und was besagt das?"
"Chris, was besagen denn die Gerüchte, die über dich und deine kleinen Hortmädchen kursieren?"
"Die Leute hassen mich."
"Deswegen oder überhaupt?"
"Ich mag sie auch nicht."
"Verstehe."
Krawall, Ungelichtertes aus Nebelland:
"DannfickdichdochselbstdudummeNutteundmachdassduhierrauskommst!!!", dreht Gerre wieder durch.
Die ganzen Sado-Maso-peitsch-mich-spritz-mich-Videos verwirrten seine Sinne von Zeit zu Zeit, und nicht nur die. Dunkle Nächte im Kopf. Dabei war sie bloß ein harmloses brünettes Girlie, die Papa bestimmt den Finger nicht hat lutschen wollen. Dunkel in Finsterwalde und kalt, zuckendes Stroboskoplicht, glitzernd, blendend, und stacheldrahtumwundene tropenschwüle Liebesschwüre auf öden Stalagmithalden zärtlich hingehaucht des nachts, ...des nachts.
Dann knallte die Türe und der Krieg schorchelt wie wild an seiner Wasserpfeife, als ging`s nun wirklich um seinen Schwanz (genau konnte man`s nicht sehen wegen des Qualms). Männer! Von mir aus!
Ich befleischaue die versammelte, in das winzige Sozialwohnungsbauzimmer gedrängte (kaum zu glauben) Szenerie:
Knüppeldicke MotörheadBanger löten Alkohol in ihre Eingeweide; menstruationsgeile Lesbierinnen züngeln, was die Nippel halten; die Presswerker treten den Stahlkappenrhythmus in die berohten Wände; drüben ist die Tee-mit-Zitrone-Ecke (alles Intellelle), wo der Alexis-Sorbas-Grieche mit dem Klaviaturschal um den Hals (es ist Sommer!) über die mythische Figur des Zentaur (?) und seinen Einfluß auf die klassisch-philosophische Stilepoche des ausgehenden 19. Jahrhunderts (??) laberrhabarbert (kleiner Exkurs); da ist die Dogge über der Wanne voll Bier und kübelt gerade hinein; die dröhnenden Synthesizerbässe, die Hitze, das Glühen, das Licht - dieHitzedasGlühendasLicht. Wir saugen, inhalieren, saufen, spritzen alles Leben der Stadt in unsere Venen, unsere Lungen, unser Hirn, in dieses winzige Zimmer voll mit  - ja, was? -, voll mit den Kreaturen Die Durstig Sind, hungrig, zum Schreien wütend und verrückt, trinken das Leben der Stadt in diesen Raum, dieses Zimmer, diesen Moment, wälzen uns darin, begießen uns gegenseitig damit, trinken davon, schlürfen, schniefen, schwitzen es aus und schmeißen es ein: alles in einer Milliardstelsekunde, wie Welten verlöschen, vergehen und wieder entstehen, ausgekotzt und wieder ausgespuckt aus Schwarzen Löchern.
Daggie schlägt Chris ein blaues Auge, wir gehen.
"Was war die Hölle?"
"Schon gut, vielleicht das nächste Mal, ganz nach Sartre. Schlechter Tag."
"Respektive...es ist bereits dunkel seit geraumer Zeit. Wie alle Tage Chris, tut mir leid."
"-"
Plötzlich gab es das Leben pur und wir tranken davon bis zur Neige. Also:
"Hey! Schau dir diese Arschlöcher an!"
Wir saßen in der Bahn, und dreivier GrünhinterdenOhrenSkins - und blöd dazu - trachteten ein junges, dunkelhäutiges Pärchen zu heilittlern (Danke, Arno!), weil Angst essen Seele auf, oder weil`s eben Wochenende war und Langeweile und Blödsaufen und alles zusammen. Chris zieht den teleskopenen Totmacher und ich die Notbremse. Alle wollten noch eine Spanne Leben, und dann kamen wir. Ein rotes Sonnenglühen am unteren Rand des Firmaments wie: der Tag bricht an: friss mich mit Haut und Haaren. 


(c)  Rainer M. Scholz

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Kommentare zu diesem Text


 AndreasG (20.10.06)
Hallo Rainer.
Ein sehr mitreißender Text, der mich auch atmosphärisch fesselte. An der einen oder anderen Stelle vertrüge er eine Raffung, aber beim ersten Lesen nahm ich diese Hürden ohne zu meckern.
Liebe Grüße,
Andreas

 RainerMScholz meinte dazu am 29.10.06:
Danke für Deinen Kommentar, Andreas. Allerdings: gerafft war der Text schon, es sollte ja auch kein Gedicht werden. Wenn man dann noch in Rede stellt, daß das so eine Art artifizielle gedankliche Rekonstruktion sei, hätte das tatsächlich noch richtig chaotisch lang werden können. Den privaten Kommentar verstehe ich, auch zu dieser Erklärung danke.
Kalaschnikovsky (24)
(25.10.06)
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 RainerMScholz antwortete darauf am 29.10.06:
Danke und "löten Alkohol in ihre Eingeweide".
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