SIEMENS-Management

Kommentar zum Thema Unverständnis

von  Strobelix

Seit der bei Siemens publik gewordenen Erhöhung der Vorstandsgehälter um 30%, verfolge ich intensiv die Entwicklung des Firmenimages. Gleich kurz darauf folgte die Unruhe nach der Insolvenzanmeldung von BenQ in Deutschland. Schließlich hatte BenQ ein Jahr zuvor das Handy-Geschäft erst von Siemens übernommen. In diesem Zusammenhang wurde die Anhebung der Vorstandsbezüge um 30% nicht zurückgenommen, sondern um 1 Jahr verschoben.

Nach wochenlangen Korruptionsvorwürfen mit immer neuen Erkenntnissen aus den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, ergab sich dann eine Summe von bis zu 420 Mio. Euro, die bei Siemens für Schmiergeldzahlungen abgezweigt worden sein sollen. Zur Orientierung: diese Summe entspricht knapp 14% des im letzten Geschäftsjahr erzielten Gewinns.
So weit die Fakten!

Doch erschreckend war für mich erst der Umgang mit dieser Katastrophensituation bei Siemens. Schließlich geht es hier um Vertrauen und Glaubwürdigkeit eines Weltkonzern mit 160-jähriger Tradition.
Was ist mit dem Aufsichtsrat los – ist die Aufsicht ratlos?
Was ist mit dem Vorstand – merkte er nicht was bevorstand?
Was ist mit dem bei Siemens immer so gerühmten Vier-Augen-Prinzip – erst mit dem fünften sieht man was?
Nachvollziehbares Krisenmanagement findet nicht statt. Nur ein früherer Militäragent, ein ehemaliger Oberstaatanwalt und zahlreiche Finanzprüfer wurden engagiert, um sofort schonungslos aufzudecken, was schon früher hätte bemerkt werden können. Vom sonst so eloquenten Klaus Kleinfeld ist in diesen Tagen nichts zu hören und zu sehen. Seit seinen wenig überzeugenden Fernsehauftritten nach dem BenQ-Debakel, versteckt sich der sonst nassforsch auftretende, jugendlich freche, spitzbübisch grinsende Konzernlenker. Aber was soll er sagen: Er weiß ja von nichts!

Der Aufsichtsratsvorsitzende Heinrich von Pierer rechtfertigte die Erhöhung der Vorstandsgehälter wörtlich mit dem Satz: „Wir haben im Rahmen einer gründlichen Untersuchung festgestellt, dass die Vergütung unserer Vorstände im Vergleich zu anderen Dax-Unternehmen eher unterdurchschnittlich ist.“
Momentan ist die Leistung der Siemens-Vorstände objektiv ebenfalls als unterdurchschnittlich zu bewerten. Werden deshalb die 30% Erhöhung ganz gestrichen, statt nur um ein Jahr verschoben? Werden die Gehälter an die unterdurchschnittliche Leistung angepasst – nach unten?

Weiterhin sagte von Pierer: „Wir spielen bei Siemens aber in der Champions League, nicht in der bayerischen Landesliga.“
Richtigerweise hätte es nach heutigem Wissensstand heißen müssen: Siemens spielt in der italienischen Liga, denn dort war Bestechung und Korruption zur Beeinflussung von Spielergebnissen etabliert!
Ein weiteres Zitat von Herrn von Pierer: „Ob der Vorstand eine gute oder nicht so gute Arbeit macht, ist außerdem von außen nur sehr schwer zu beurteilen. Das muss man wohl eher dem Aufsichtsrat überlassen. Und wir haben uns diese Aufgabe nicht leicht gemacht.“
Klar, von außen hat man ja keinen Einblick und kennt weder Details noch Hintergründe. Zugegeben zum damaligen Zeitpunkt wusste auch Herr von Pierer noch nichts von den Ereignissen im Konzern.
Allerdings wissen wir heute, dass der Aufsichtsrat heute von sich aus nachdrücklich darauf verweist, er hätte weder Einblick gehabt, noch kannte er Details und Hintergründe. Bleibt die Frage: Wie will sich da der Aufsichtsrat seine Aufgabe der Leistungsbeurteilung schwer gemacht haben? Hier hat doch ein offiziell Unwissender die Leistung eines offiziell Unwissenden beurteilt und anschließend eine gute Note vergeben.

Die neue Argumentation bei Siemens widerspricht doch inzwischen vollständig dem Wertesystem unserer Gesellschaft. Siemens nimmt für sich in der Führungsetage neue Regen in Anspruch:
Unwissenheit schützt vor Strafe!
Nichts wissen ist eine Leistung die eine Gehaltserhöhung rechtfertigt!
Ein Vier-Augen-Prinzip, das nichts sieht, hat keinen Fehler – es wurde bestimmt getäuscht!
Dass der Aufsichtsrat von Anfragen der Staatsanwaltschaft Luxemburg nichts erfährt, ist kein internes Kommunikationsproblem – sondern effiziente Pressearbeit!
Ein finnischer Mitarbeiter von Siemens, der entsprechend der internen Regeln einen Korruptionsverdacht meldet, kann kurz darauf aus dem Unternehmen gedrängt werden. Loyalität gegenüber dem Unternehmen ist also Nestbeschmutzung und wird bestraft!

Aber bei Siemens hat keiner was gewusst. Ein Vorstand, der nichts weiß und ein Aufsichtsrat, der nichts weiß, sind aber eine schlechte Basis für die Zukunftssicherung der Arbeitsplätze von 480.000 Mitarbeitern weltweit.
Fazit: Allein die Tatsache, dass die oberste Führungsebene des Konzerns und das Kontrollgremium nichts wussten, müsste normalerweise ausreichen, um freiwillig zurückzutreten. Gerade wegen der Verantwortung für 480.000 Menschen!

Doch was lese ich stattdessen heute in der Zeitung: Das ehemalige Mitglied des Zentralvorstands der Siemens AG, Thomas Ganswindt, ist als Chef des Luxemburger Unternehmens Elster Group zurückgetreten.
Weil er Verantwortung übernimmt? Nein, weil es heißt „Ganswindt wolle sich nun mit voller Kraft auf die rechtliche Auseinandersetzung konzentrieren“ – in einem wohl bevorstehenden Prozess. Sollen wir das so verstehen: Herr Ganswindt braucht jetzt seine ganze Kraft, um sich auf Nichts-Wissen vorzubereiten?

Nach meiner Einschätzung ist das für die Siemens-Führung ein Ritt auf eine Rasierklinge. Denn bisher sind die Top-Manager der Siemens AG der Meinung, sie könnten alles auf Michael Kutschenreuter, dem ehemaligen Finanzvorstand des Bereiches Com schieben. Aber wehe in einem anderen Geschäft der Siemens AG tauchen auch noch Schmiergeld-Euros auf.
Dann fällt das Siemens-Management-Kartenhaus beim nächsten Windstoß ein. Und dann steigen hoffentlich die Chancen für einen personellen Neuanfang basierend auf glaubwürdigen Unternehmenswerten, der die Arbeitsplätze von 480.000 Mitarbeitern wieder sicherer Macht als sie heute sind. Denn Manager, die nicht in der Lage sind den Schaden zu erkennen, den sie anrichten, gefährden den Standort mehr als unser immer wieder angeprangertes Lohnniveau.


Anmerkung von Strobelix:

Führungskräfte müssen Vorbilder sein! Sie müssen die Werte ihrer Unternehmen und unserer Gesellschaft vorleben! Und sie müssen Verantwortung übernehmen!
Wer diesem sicher hohen Anspruch nicht gerecht wird, muss wohl oder übel auf das damit verbundene hohe Gehalt verzichten und den Platz für einen anderen räumen. Die Mitarbeiter, die laut den Leitsätzen der Siemens AG im Mittelpunkt stehen sollen, haben darauf einen Anspruch!

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Kommentare zu diesem Text

coanama (52)
(21.01.07)
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 Strobelix meinte dazu am 21.01.07:
Lieber Christian,

danke für Deine verständisvolle, anregende und aufmunternde Anmerkung.
Ich freue mich, dass in Deinen Ausführungen Don Quijote nicht vorkommt - das hätte mich sonst ins Grübeln gebracht.
Meine Erwartung ist: Je mehr Meinungen zum real erlebten Verhalten von Managern veröffentlicht werden, desto schwieriger wird es, den aktuellen Weg des mitarbeiterverachtenden Bereicherungsegoismus ungestört fortzusetzen.
Wenn wir dieses Verhalten nicht anprangern, verraten wir schweigend die Werte unserer Gesellschaft. Wer das verhindern will, muss laut werden.
So werde ich mich lieber am Löwenbild festhalten, meine Munition sortieren und das Maul bald wieder aufreißen ... für den nächsten Brüller!

Viele Grüße, Strobelix
(Antwort korrigiert am 21.01.2007)
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