Äußerste Todesfolge

Kurzgeschichte zum Thema Leben/Tod

von  RainerMScholz

Illustration zum Text
(von RainerMScholz)
Äußerste Todesfolge

Der Leichnam des kürzlich verstorbenen Mark C. wurde in den weißgekachelten Raum geschoben, wo er mit den anderen Toten alleine gelassen wurde. Blauweißes Neonlicht strahlte von der Decke.
Die Körper lagen bedeckt mit weißen Tüchern und an ihren Zehen befestigten Zetteln kalt nebeneinander und schwiegen. Kein Laut drang aus diesem letzten Wartesaal.
Einer nach dem anderen wurden die erstarrten aufgebahrten Körper von weißbekittelten Männern und Frauen aus dem kalten Vorraum geschoben, um in andere Säle, Räume und Hallen des weitverzweigten Gebäudekomplexes gebracht zu werden. Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen toter Körper, die auf Rollbahren die langen Flure hinabgeschoben wurden, in Großraumaufzügen verschwanden oder wieder aus ihnen auftauchten, an Halteplätzen abgestellt oder abgeholt wurden. Die einzigen Geräusche sind das leise Knirschen von Gummisohlen auf Fußbodenkacheln, ein gelegentliches Quietschen der schlecht geölten kleinen Rädchen der Bahren oder das Kratzen von Fingernägeln auf Metall , deren Besitzer bereits von Rigor Mortis gezeichnet waren, - diese Geräusche, obgleich sie doch geschehen sind, hinterlassen kein Echo an den weißverkleideten Flächen der Wände und Böden und Decken. Ständig, so hat es den Anschein, rollen die Toten auf ihren Bahren durch die Gänge. Mit einer unheimlichen Autarkie gleiten sie, bedeckt von weißen Laken, auf ihren kleinen Rollen dahin und schweigen für immer, während das Neonlicht in bläulichen Blitzen flackert.
Endlich war die Reihe auch an Mark C.s Leichnam. Auf der metallenen Liegestatt ging es durch endlose Korridore, von einem Stockwerk ins nächste, um diese Flurflucht herum, zur nächsten Biegung, um diese Ecke, dann um jene; ein verwirrendes Labyrinth von Gängen, Fluren, Aufgängen und Abgängen, scheinbar um die Toten zu verwirren; daß sie den Weg hinaus nicht wiederfinden, vergessen, auf welchem Wege sie hier hineingeraten sind, wo der Ausgang sein könnte aus diesem unterirdischen Komplex. Vielleicht gibt es gar keinen Ausweg, gab nie einen.
Zwei Schwingtüren wurden krachend aufgestoßen, und er befand sich in einem grell erleuchtetem Operationssaal. Unter den vielen Lampen, die auf die Leiche des Mark C. gerichtet waren, begannen scheinbar gesichtslose Wesen in langen Schürzen seinen Torso mit scharfen Messern vom Hals bis kurz unterhalb des Bauchnabels aufzutrennen und seine kalten Eingeweide zu extrahieren, die sie einzeln in silberne Schalen legten: Leber, Milz, Herz, Galle, Nieren, alles landete so separiert in den weißen Schränken, die zu beiden Seiten des Saales standen. Mark C. hob entsetzt den Kopf und stierte an seinem aufgeschlitzten Körper hinab, um dann verständnislos die Gestalten in den langen Schürzen anzublicken:
„Ich bin noch nicht tot. Sie reißen mich bei lebendigem Leib entzwei. Ich bin nicht gestorben."
„Wie heißen sie denn?"
„Was?“
„Wie ist ihr Name gewesen?“
„Mark. Ich… Sie haben mich getötet. Warum? Sie weiden meinen Körper aus."
Gerade wurde die Amputation seiner beiden Beine beendet. Er sah, wie auch sie in den Kühlschränken an den Seiten verschwanden.
"Bin ich Vieh? Bin ich ihr Ersatzteillager? Was, um Gottes Willen, machen sie denn?“
"Schon gut, Junge. Kollege hier ist noch einer.", wandte sich der Weißmaskierte an einen anderen Weißen. Das Metall aus dem Bolzenschussgerät lobotomierte Mark C.`s Gehirn und räumte sein traumatisiertes Restbewußtsein mit einem knirschenden Geräusch endgültig aus dem Weg.
Die Verwertungsautopsie nahm ihren Fortgang.

© Rainer M. Scholz

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Kommentare zu diesem Text

alien (24)
(14.02.07)
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 RainerMScholz meinte dazu am 20.02.07:
Napalm Death (oder Slayer): Life means nothing.
Grüße,
R.
The_black_Death (31)
(26.08.09)
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 RainerMScholz antwortete darauf am 26.08.09:
Im Fernsehen???
Grüße,
R.
The_black_Death (31) schrieb daraufhin am 26.08.09:
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 RainerMScholz äußerte darauf am 26.08.09:
Ja, dann rück´ doch `mal `raus damit.
The_black_Death (31) ergänzte dazu am 26.08.09:
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 RainerMScholz meinte dazu am 26.08.09:
Ich dachte eher "Nightwatch", wobei das schwedische Original viel besser ist, als die Nachverfilmung mit Nick Nolte, den ich vergöttere.
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