Maria Theresia - Akte F-777 § 12 - Passlos

Tragikomödie zum Thema Gesellschaftskritik

von  Alazán

Es war ein kleines Mädchen das hieß Maria Theresia, kam aber nicht von hier und auch nicht von dort. Durch Zufall fiel es eines Tages aus allen Wolken und landete unversehrt irgendwo in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs, um das Interesse einer um diese späte Uhrzeit noch aktive Gruppe kleiner Männer mit Glatzen zu erregen. Da Maria Theresia noch ein Kind und ausserdem blond und blauäugig war, kümmerten sich zwei der Männer um sie und gaben ihr eine schwarze, warme Jacke und feste Stiefel, dass sie nicht erfror. Scheinbar hatte das Kind keine Eltern, also lernte es alles, was es zum Überleben in dem verlassenen Hochhauskeller benötigte, von den Männern ohne Haare auf dem Kopf. Es war nicht unglücklich, wie es vielleicht ausgesetzte Kinder gewesen wären und es hatte auch keine Schwierigkeiten mit den Frisuren ihrer Väter oder etwa damit, dass es keine Mutter hatte. Vielmehr war es ein lebensfrohes Kind, das mit Lachen nicht sparte und mit den Jahren reifte und reifte.

Es war in einer Winternacht, da war Maria Theresia gerade alt genug, um allein durch die rauen Straßen Berlins spazieren gehen zu dürfen. Sie sah einen alten Mann unter einer Parkbank, um dessen Schnapsfahne selbst die Schneeflocken einen weiten Bogen machten. Die junge Frau Maria Theresia aber hatte Mitleid mit dem Mann und brachte ihn mit großen Bemühungen zumindest vor seine Haustür. Den Rest schaffe er allein, versicherte er seiner hilfsbereiten Retterin und verabschiedete sich mit einem Rülpser. Das Schicksal wollte es so, dass die hilfsbereite Retterin in der selben Nacht noch an einem liegen gebliebenem Wagen vorbeikam. Die Hasch rauchenden Minderjährigen die ratlos und völlig am Ende um das Auto herumstanden, wussten nicht, wie sie rechtzeitig nach Hause kommen sollten also reparierte die hübsche Maria Theresia den Wagen. Dabei machte sie sich die Finger und das Gesicht ganz schmutzig, aber das machte ihr nichts. Die Kids konnten weiterfahren und boten Maria Theresia an, sie mitzunehmen, jedoch lehnte sie dieses Angebot stets lächelnd ab. So sehr die Kids auch darauf bestanden, dass sie mitkäme, setzte sie ihren Weg durch die dunklen Straßen Berlins eilig fort.
Sie kam zu einem behinderten Mann im Rollstuhl, der umgekippt war. Es war ein trauriger Anblick, der scheinbar nur die berührte Maria Theresia störte, die sofort herbeieilte, um dem farbigen Deutsch-Afrikaner unverzüglich aufzuhelfen. Der bedankte sich mit fehlender Stimme und mit einem Nicken und hielt die Hand seiner Helferin vor lauter Gerührtheit eine ganze Minute lang fest in seinen. Danach rollte er weiter.

Es kam die Zeit, da hatte Maria Theresias Weg ein Ende gefunden, als eine Polizeistreife um drei Uhr morgens erst an ihr vorbei fuhr, dann aber anhielt. Ein Beamte stieg aus und deutete der jungen Frau, anzuhalten, was sie auch mit einem fragenden, schuldfreien Lächeln tat. Der müde Polizist roch nach Zigaretten und fragte die junge Frau forsch, was sie alleine um die Zeit noch nach draussen trieb und wo ihre Eltern seien, und ob die sich etwa nicht um sie kümmern würden. Maria Theresia öffnete ihre wunderschönen Lippen und sprach mit freier, sanfter Stimme:
"Ich wollte spaziern, da seh ich son alten Sack völlich besoffen unter ner Bank, den musst ich ja ersmal nach Hause bringen... " Der Beamte hob eine Augenbraue, doch die junge Frau sprach weiter:
"Aber weil man ja nie genug kriegn kann, kamen dann auch noch so asoziale Penner, ich glaub sogar Türken, voll am kiffen und so und liegen geblieben mit ihrm Golf, total extrem aufgerüstetes Teil. Denen habich dann auch noch bissl unter der Haube geschraubt und mal nach dem Rechten gesehn."
Der Polizist glaubte, nicht richtig zu hören, denn abgesehen davon, dass die junge Frau vor ihm Springerstiefel und eine schwarze Lederjacke von Londsale trug, bediente sie sich eines extrem radikalen Wortschatzes. Maria Theresia sprach weiter:
"Das Größte war ja immer noch dieser Krüppel-Nigger im Rollstuhl, dem habich auch noch aufgeholfen, joa und ansonstn, weiß nich, jetzt wolltich eigentlich wieder in'n Keller zurück." Sie lächelte stolz über ihre drei guten Taten, aber nicht zu stolz sondern vielmehr in stillem Stolz, der seinen Platz unlängst an Demut und Bescheidenheit abgegeben hatte. Klein und blond stand sie da und sah mit blauen Augen zu dem Polizisten, der nach Zigaretten stank. "Vielleicht würde er ihr eine Belohnung geben", dachte Maria Theresia.

Jetzt sitzt sie auf dem Revier zwischen Paragraph eins und eintausendeinhundert und scheint sich auf ihrem Spaziergang durch die deutsche Stadt verlaufen zu haben.


Anmerkung von Alazán:

Welche Hauptaussage erkennt ihr darin? Lasst es mich wissen!

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Kommentare zu diesem Text


 deflyn23 (08.02.07)
ab der hälfte musste ich schon verdammt breit grinsen, die wendung kommt echt überraschend. hut ab

aber die aussage?! sowas wie "egal wie gut deine taten sind, wenn du sie nicht aus gesellschaftlich akzeptierten gründen und/oder einer gehörigen portion selbstreflektion tust und dies auch nach aussen (durch deine optik, ausdrucksweise) transportierst, wirst du nur schrecklich missverstanden"?!

 Alazán meinte dazu am 08.02.07:
Hey vielen Dank für alles, dein Kommentar gefällt mir sehr - es stecken sicherlich mehrere Aussagen in meinem kleinen Text, wie z.B. die pingelige Bürokratisierung Deutschlands und das verbieten jeglicher Ausdrücke über z.B. Deutsch-Afrikaner. Ganz egal wie brav die Maria Theresia auch ist, landet sie auf dem Revier, weil sie nicht die ordnungsgemäßen Worte benutzt (die sie ja eben nicht gelernt hatte). Deine Deutung hat auch was, gfällt mir - danke fürs Lesen

und guten Morgen
vlG
Philipp
Brunnenfrosch (34)
(08.02.07)
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 Alazán antwortete darauf am 08.02.07:
Ja, so ist es mit dem political correct! Und dennoch ist das Herz rein. Danke für deinen Besuch, ich freu mich jedes Mal aufs Neue

vlG
Philipp

 Dieter_Rotmund (24.02.22, 10:06)
Es war ein kleines MädchenKOMMA das hieß Maria Theresia
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