"Rechtsgüter" gegen "Rechtsgüter"?

Erörterung zum Thema Entscheidung

von  tastifix

Am 15. Februar 2006 erklärte das Bundesverfassungsgericht die damals mit dem Luftsicherheitsgesetz eingeführte Befugnis, entführte Passagierflugzeuge abzuschießen, für verfassungswidrig.

Der Erste-Richter-Senat formulierte in seinem 76-Seiten-Urteil einen nun sehr umstrittenen Satz:
´Dabei ist hier nicht zu entscheiden, wie ein gleichwohl vorgenommener Abschuss und eine auf ihn bezogene Anordnung strafrechtlich zu beurteilen wäre.`(Zitat)“

Diese Aussage könnte Jung eine Hintertüre zur Durchsetzung seines Planes öffnen, indem er den im Folgenden detaillierter begründeten Abschuss mit „einem übergesetzlichen Notstande“ zu rechtfertigen zu versuchen könnte. 

Der Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung stößt mit seinen Äußerungen, von Terroristen entführte Flugzeuge dürften abgeschossen werden, auf heftige Ablehnung.

1. Bundesjustizministerin Zypries (SPD) verwies auf die Rechtsprechung und erteilte ihm eine Absage.
2. FDP-Chef Westerwelle warf Jung vor, sich außerhalb der Verfassung zu bewegen, da ein solcher Abschuss die Missachtung der Menschenwürde bedeutete.
3. Der Chef der Grünen Bütikofer forderte sogar Jungs Rücktritt.
Aber auch von Seiten des Bundeswehrverbandes und der Piloten kam heftige Kritik. Auch ihrer Meinung nach käme dieser Befehl zum Abschuss der Missachtung der Menschenwürde gleich.

Das Bundesverfassungsgesetz verbietet es, Leben gegen Leben aufzuwägen. Westerwelle betonte, jenes würde bedeuten, Gott zu spielen.

Jung hatte erklärt, dass es zum Abschuss kommen sollen dürfe, wenn eindeutig erwiesen sei, dass sich die entführte Maschine in den Händen von Terroristen befände, jedoch  keine unschuldigen Passagiere an Bord seien.

Gesetzt aber den Fall, die Terroristen planten zum Beispiel mit einem mit Passagieren besetzten Flugzeug einen Bombenanschlag auf ein ausverkauftes Stadion mit bis zu 50 000 Zuschauern, träte seiner Meinung ein übergesetzlicher Notstand in Kraft, der dann den Abschuss dieses Flugzeuges zum Schutze der Tausende von Menschen im Stadion rechtfertige.

Im ersten Moment, als ich das las, blieb mir fast das Herz stehen. Eine solche Aktion bedeutete einen Verfassungsbruch, die ja besagt:

´Leben darf nicht gegen Leben aufgewogen werden!`

Von allen Seiten bekommt Jung schärfste Kritik wegen seiner diesbezüglichen Äußerungen. Bis dato halten 76% der befragten Bürger eine solche Aktion für unzulässig. Nur 24 % räumen diesem Plane eine Berechtigung ein. Abgesehen von der denn doch vorrangig negativen Reaktion der Bevölkerung auf diese selbstverständlich provozierenden Äußerungen, boten diese den anderen Parteien zusätzlich zur wirklichen Empörung auch noch die Möglichkeit, sich Sympathiepunkte bei der Bevölkerung zu verschaffen.

Beleuchten wir mal die Verhältnisse näher:

Dem Buchstaben des Gesetzes muss Genüge getan werden! Lässt sich das generell auch auf solche Extremsituationen anwenden? Das frage ich mich wieder und wieder und stelle mir die konkreten Situationen vor:

1. Ein ausschließlich mit Piloten besetztes Passagierflugzeug wird nach ungefähr eines Drittels seiner Flugroute von Terroristen gekidnappt, dessen Pilot und Co-Pilot von ihnen ermrdet und ein Pilot aus der Reihe der Terroristen fliegt die Maschine zu deren Ziel.
Ich möchte die Entscheidung nicht fällen müssen, aber rein theoretisch ist dies ein Fall, in dem ich die Möglichkeit eines Abschusses nicht ausschließen würde.

2. Eine mit Passagieren voll besetzte Maschine wird von Terroristen entführt. Geplant ist ein Bombenattentat auf ein Stadion, in dem sich währenddessen bis zu 50 000 Menschen aufhalten. Per Funkkontakt stehen die Terroristen zu ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation und zu der Art ihres Planes.

Alle bemühten Verhandlungen der Regierung, das drohende Unheil und damit ein Massensterben noch abzuwenden, scheitern. Die Insassen des entführten Flugzeuges sind ebenso dem Tode geweiht sind wie auch all die ahnungslosen Tausende in jenem Stadion.

Würde dieses Flugzeug zum Abschuss freigegeben, bedeutete das den Tod sämtlicher, unschuldiger Passagiere. Allerdings könnte dem entgegen das Sterben Tausender verhindert werden.
Wie würden Sie entscheiden? Oder, besser gefragt, wären Sie zu einer Entscheidung überhaupt fähig??

3. Die dritte fiktive Situation ist die entsetzlichste, die man sich nur vorstellen kann:

Ich weiß, meine eigenen Kinder sitzen in der Maschine, völlig unschuldig an allem und von ihrer Einstellung her vom Terrorismus soweit entfernt wie eine Galaxie von der nächsten. Ich spüre fast körperlich deren Todesangst und kann so gar nichts tun, um ihnen zu helfen, bin gezwungen, hilflos zuzusehen, wie sie dem Verderben entgegen fliegen.

Ich bin wie gelähmt, denn binnen der nächsten Minuten werden sie sterben, so oder so und all die Unschuldigen im Stadion mit ihnen.

Bin ich unter solchen Umständen sogar noch gewillt, Bundesverteidigungsminister Jung Recht zu geben, seinen Überlegungen beizupflichten??

Der Abschuss der Maschine würde für die Menschen im Stadion das eventuelle Überleben bedeuten, für meine Kinder aber der sichere Tod.

Bis zu 50 000 Menschen würden gerettet werden können, wenn dafür meine Kinder stürben!

Ich weiß es nicht, ob das Folgende überhaupt möglich ist, aber, drängen wir einmal unsere aufgewühlten Emotionen zurück und geben wir der Logik das Wort. Allein ihr, so eine schwere Überwindung dies auch erfordert.

Logik wird vom Verstand erkannt und jener berücksichtigt keine Gefühle. Ihm stellt die schreckliche Situation allein eine „einfache“ Rechenaufgabe:

Wenn 50-100 Passagiere sterben, können vielleicht 50 000 Menschen gerettet werden!

Das erschütternde Ergebnis dieser Rechnung wäre ein ´Ja` zur Rettung der Zuschauer dort unten und zur Opferung des eigenen Nachwuchses.

Gleichzeitig sind wir wegen dieser eiskalten Aufrechnung tief erschüttert. Aber, lassen wir uns vom Verstand leiten, verlangt uns diese Erkenntnis als einzig nur mögliche Lösung den diesbezüglichen Verfassungsbruch ab:

Besser 50 Personen opfern als den Tod Tausender willentlich zu akzeptieren!

Unbestreitbar ist es eine ungeheuerliche, regelrecht inhumane Entscheidung, die den Verantwortlichen aufgebürdet wird.

Wäre ich fähig, zu einer solchen Aktion meine Zusage zu geben, müsste ich es in jenem Fall nicht sogar? Stimmte ich dem zu, wie würde es dann hinterher sein? Welchen Anfeindungen wäre ich von Seiten der Allgemeinheit und zusätzlich der Presse ausgesetzt? Würde ich vielleicht sogar als Mörderin beschimpft oder würde ich stattdessen dieses meines Verhaltens wegen bewundert?

Könnte ich den Tod meiner Kinder, dem ich zugestimmt hätte, verkraften? Würde ich jemals damit fertig werden, dass ich sie mit meiner Zustimmung ins Ende geschickt hatte?

Derjenige, der dies alles zu entscheiden hätte, steht unter einem furchtbaren Druck. Ich möchte niemals einen solchen Beschluss fassen müssen.
Denken Sie mal darüber nach!
Könnten Sie ... ?

Ertrügen Sie in der Rolle des Verantwortlichen all die möglichen, nachfolgenden Repressalien, würden Sie mit sich selber je wieder ins Reine kommen trotz der Gewissheit, vielen Tausenden das Leben gerettet zu haben??
Bitte denken Sie mal darüber nach!!

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(25.07.17)
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toltten_plag (42) meinte dazu am 25.07.17:
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Graeculus (69) antwortete darauf am 25.07.17:
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