Die Zeit war nicht still..

Text zum Thema Allzu Menschliches

von  claire.delalune

Kommissar Buletti verließ missmutig die Imbissbude. Seine Currywurst mit Pommes rotweiß hatte er halbaufgegessen stehen lassen müssen. Jetzt knurrte ihm immer noch der Magen. Aber was sollte er tun? -  Es hatte einen anonymen Anruf gegeben – in einem der leerstehenden Häuser im Westend war eine tote Frau gefunden worden. Buletti setzte seinen Helm auf, schwang sich auf sein Motorrad und brauste davon.
Als er die Wohnung betrat fiel ihm als erstes auf, dass der sonst übliche Leichengeruch kaum wahrnehmbar war. Entweder, die Tote lag noch nicht lange hier, oder…
„Da bist du ja endlich!“ begrüßte ihn sein Kollege Langerfeld, der wie immer vor ihm am Tatort eingetroffen war. Dabei fasste er an seine Brille und rückte sie ein Stück die Nase hinauf. Eine ebenso häufige wie unnütze Bewegung, denn kaum hatte er die Brille losgelassen, rutschte sie auch schon wieder hinunter. Langerfeld schien das nicht zu stören. „Komm mit, sie liegt da hinten. Sieht aus, als ob sie schläft. Nur ein bisschen blaß.“ Und mit schnellen Schritten ging er Buletti voraus ins Schlafzimmer.
An der Tür blieb dieser stehen, um den Anblick auf sich wirken zu lassen. Eine Mischung aus Wohn- und Schlafzimmer, dachte er. Man könnte es als stilvoll bezeichnen. Die alte Wanduhr aus dunklem Holz war stehen geblieben. Viertel nach eins. Er unterdrückte den Impuls an den langen, goldenen Pendeln zu ziehen, um sie wieder zum Leben zu erwecken. Er liebte das gleichmäßige „Tick tack, tick tack“ alter Uhren. Diese neuen, die hörte man gar nicht mehr. Dabei war die Zeit alles andere als still.

Er riß sich los und ließ seinen Blick weiter schweifen.
Offensichtlich hatten sie es nicht nur mit einer Toten zu tun. Buletti grinste schuldbewusst. Im Aquarium schwammen etliche Fische bauchoben im Wasser. Die Pumpe sprudelte gleichmäßige Blasen an die Oberfläche. Am Sauerstoff konnte es also nicht liegen. Die Fische mussten verhungert sein.
Wie lange konnten Fische ohne Nahrung auskommen? Er notierte in Gedanken, dass er dies in einer Zoohandlung in Erfahrung bringen musste.
Dann sah er sich weiter um. Das offene Fenster – darum also war der Geruch nach Tod nur so schwach ausgeprägt. Es musste sie ganze Zeit offen gestanden haben. Aber warum hatte dann niemand die Frau gehört? Hatte sie nicht um Hilfe gerufen? Hatte den Mörder das nicht gestört? Er musste sich seiner Sache sehr sicher gewesen sein. – Halt, stopp! rief er sich zur Räson. Noch steht nicht fest, wie und woran die Tote gestorben ist.

Langerfeld stand am Fenster und schaute hinaus. „Öde Gegend. Sieht aus, als stünden die Häuser kurz vor dem Abriß. Und keine Menschenseele zu sehen. Was sie hier wohl wollte?“
„Na, das scheint doch offensichtlich.“ Buletti grinste wieder und trat näher an das Bett, das mitten im Zimmer stand. Die Tote war mit Handschellen an das Gitter des Kopfendes gefesselt. Der Kopf war leicht zur Seite geneigt, die langen schwarzen Haare wie Strahlen darum drapiert. Sie war schön, ihr nackter Körper wohl proportioniert. Ihre Füße steckten noch in roten Highheels. Gegen seinen Willen spürte er, wie ihn dieser Anblick erregte. Er wusste, er sollte sich dessen schämen. Aber er konnte nicht. Viel zu lange hatte er seiner Neigung nicht mehr nachgeben können. Seit seine Ex ihn vor vier Monaten verlassen hatte – er riß sich zusammen. Profi! Er war ein Profi und würde sich nicht von seinen privaten Belangen bei einer ordentlichen Ermittlung stören lassen.

Also, was war das hier, ein Unfall? Allein konnte sie sich nicht so gefesselt haben, soviel stand fest. Aber warum hatte er sie allein gelassen? Warum waren die Fesseln nicht wieder gelöst worden? Ob das zum Spiel gehörte? War etwas schief gelaufen, anders als geplant?  Buletti sah sich nochmals um: Es wirkte fast so, als hätte jemand in Panik den Raum verlassen. Wie wären sonst das offene Fenster und die vergessenen Fische zu erklären? Oder hatte er den Raum doch verlassen als sie noch lebte und war an der Rückkehr gehindert worden?
Wie lange sie wohl so gelegen hatte? Darüber würde die Obduktion Aufschluß geben müssen. Allzu lange konnte es noch nicht sein, sonst wären schon Verwesungsspuren sichtbar gewesen. Doch die Tote wirkte tatsächlich so, als schliefe sie. Langerfeld hatte Recht gehabt. Richtig friedlich sah sie aus, wie sie da so lag. So als sei sie nur vom Warten müde geworden und darüber eingeschlafen.

„Was hat der anonyme Anrufer eigentlich gesagt, der uns informiert hat? Hat er von einer Toten gesprochen oder nur davon, dass wir mal hier vorbeischauen sollen?“
„Sie“ sagte Langerfeld. „Es war eine weibliche Stimme, die sagte, wir sollten uns hier mal umsehen.“ Buletti zog eine Augenbraue hoch. Und hörte mit einem Mal das leise „tropf tropf“ aus dem angrenzenden Badezimmer.


Anmerkung von claire.delalune:

eine weitere Betrachtungsweise -
inspiriert von
Handschellen (SchwarzesSein)
Allein (Bitnos)
Rückkehr (Gotica)

- am verlinken übe ich noch :-s

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Kommentare zu diesem Text

Liamé (27)
(25.09.07)
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 claire.delalune meinte dazu am 25.09.07:
:) das freut mich jetzt aber. war mir etwas unsicher, weil prosa eigentlich nicht mein gebiet ist. aber die drei texte sprangen mich so an, ich konnte nicht anders...

ach ja, mach doch ein projekt draus. sowas gibts hier doch - oder müßte das dann besondere anforderungen erfüllen?

lg,
kathrin

 Gothica (25.09.07)
...wow...klasse.....mal sehen was sich noch ergibt dazu.....wird ein selbstläufer......

lieben gruß an dich....

Alex;)

 claire.delalune antwortete darauf am 25.09.07:
vielen dank! dein "klasse" freut mich.
ja, wer weiß, was da noch kommt? ein nachruf vielleicht?

lieben gruß zurück,
kathrin

 Sternenpferd (25.09.07)
klasse :o)auch dein text dazu!
habt ihr alle prima gemacht!

gefällt mir

liebgrüß
*sternenpferd*

 claire.delalune schrieb daraufhin am 25.09.07:
ich danke dir :)

lg,
kathrin
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