Nebelfront

Parabel zum Thema Existenz

von  RainerMScholz

Nebelfront


Die Welt ist in diffuses Licht getaucht. Nichts hat eine feste Form. Alles ist in Auflösung begriffen, nichts scheint real. Fahle Bäume strecken ihre knochigen dürren Arme in einen grauen Himmel. Ein einzelnes zermürbtes Blatt wirbelt zu Boden, sich strauchelnd im Nebel windend.
Lichter rasen auf mich zu, und in panischem Schrecken versuche ich mich an eine Wand zu drücken, die schemenhaft in den Dunst zurückweicht. Die Lichter reißen durch mich hindurch, um dann ihren Weg weiter in die Irre zu suchen.
Wie eine Katze schleicht sich die Nacht heran. Die noch dunklere Dunkelheit verstärkt die Unnahbarkeit der Wirklichkeit. Die brennenden Straßenlaternen verstärken den Glauben an den Seelenverlust. Ein Streichholz erhellt das ewige Universum. Schemenhaft tauchen neben mir groteske, vermummte Gestalten auf, um sofort wieder im unendlichen Meer der Einsamkeit zu versinken. Gesichter ohne Augen, ohne Münder, Nasen oder Ohren. Das wesenlose Fleisch. Keingesichtgesichter. Starren aus Höhlen, Schreien aus Klaffen, Töne die ins Bodenlose fallen, Fühlen ohne Haut und Fleisch. Katatonische Nervenfetzen werden von blinden Würmern gefressen.
Dumpfe Geräusche hallen aus der Ferne. Es klingt, als würde Fleisch aus großer Höhe auf den Asphalt geworfen. Im Rinnstein fließt eine dünne schwarze Linie zaghaft dahin, wie das arterielle Geäder einer stählernen Stadt. Wieder das klatschende Geräusch des entjungferten Fleisches, aus großer Höhe gestürzt, wesenlos und unheimlich. Asphaltgekörper. Betonschmatzen.
Dort unter der Laterne steht ein Mann, eingehüllt in einen schwarzen Mantel, den Kragen hochgeschlagen, sein Gesicht bedeckt. Er zündet sich eine Zigarette an. Die Umrisse seiner Gestalt lassen den Hintergrund um eine Nuance finsterer erscheinen. Im Nebel taste ich mich behutsam näher. Das Echo meiner Schritte hallt von den Kacheln wider, hinter denen Menschen weggesperrt wurden für immer. Schemenhaft dunkel lehnt der Mann an der grünen Straßenlaterne. Fast scheint es, als warte er auf mich. Ein Glimmen der Zigarette erhellt für einen Augenblick sein Gesicht. Ich muss mich getäuscht haben. Aus dem Nebel trete ich auf ihn zu und blicke in sein Gesicht. Ich blicke in sein Gesicht und sehe mich selbst. Er reicht mir eine Zigarette, die ich an der seinen entzünde. Grinsen verzerrt seine Lippen. Zutiefst verunsichert gehe ich weiter, zurück in den Nebel, und lasse den Mann in dem schwarzen Mantel unter der Laterne zurück schweigend.


© Rainer M. Scholz

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Kommentare zu diesem Text

janna (60)
(29.09.09)
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 RainerMScholz meinte dazu am 29.09.09:
Ja, Samhain.
Grüße,
R.
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