Friedhof der zerbrochenen Herzen

Kurzgeschichte zum Thema Liebe & Schmerz

von  Rebekka

Wochenlang kein Kontakt. Okay, Urlaub und so. Stress vielleicht.
Der Kies unter meinen Füßen knirscht, während ich den Weg entlang schlendere.
Jetzt gibt es keine Ausreden mehr. Er ist wieder da.
Ich bleibe stehen, schließe die Augen und lege den Kopf in den Nacken. Die Abendsonne scheint golden hinter meinen geschlossenen Lidern und wärmt mein Gesicht.
Einfach an nichts denken, das wär’s.
Ich öffne die Augen wieder. Einer spontanen Idee folgend streife ich meine Schuhe ab und laufe Barfuss durch das Gras neben dem Weg.
An einer noch recht jungen Linde setze ich mich hin und lehne mich gegen ihren Stamm. Meine Augen schweifen über die Landschaft, die alten Bäume, die vereinzelt auf der grünen Wiese stehen, durch die der Kiesweg sich schlängelnd einen Weg zum See bahnt, groß und tiefblau.
All diese kitschige Harmonie, dieses so offensichtlich Romantische kotzt mich an. Als ob es nur da wäre um mich zu ärgern. Da mache ich die Augen lieber wieder zu.
Ja, ich weiß. Oh ja, ich hab verstanden. Drei Wochen.
Und er hat nichts vermisst.
Ja, ich hab verstanden.
WIRKLICH verstanden.
Ich meine, ich hab es wirklich AKZEPTIERT.
Mein Herz schlägt. Und schlägt. So deutlich wie noch nie.
Es tut weh. Ja, genau dort. Die letzte Faser meines Körpers hat die offensichtliche und so einfache Wahrheit begriffen:
Er vermisst mich nicht.
Poch. Mein Herz schlägt.
Er liebt mich nicht.
Poch. Es tut so weh.
Er wird mich nie lieben.
Klirr. Irgendetwas in mir zerbricht.
„Mach die Augen auf“, höre ich plötzlich eine sanfte, sehr melodische Stimme.
Och nö… ich bin doch hier hingekommen um ein bisschen allein zu sein.
Langsam öffne ich die Augen, und bin erst einmal sprachlos. Die Gestalt, die sich über mich beugt und mich anlächelt ist so… schön im reinsten Sinne des Wortes.
Ob männlich oder weiblich scheint unerheblich, da es irgendwie seltsam überirdisch wirkt.
Jetzt sagt es meinen Namen und ich schaue es nur weiter mit großen Augen an.
„Du sahst so traurig aus. Willst du mir nicht erzählen, was dir auf dem Herzen liegt?“
Ja. Ja, das will ich. Alles sprudelt aus mir heraus.
Wie ich ihn kennen lernte.
Wie ich ihn anfangs „ganz nett“ fand.
Wie ich herausfand, dass wir uns ähneln.
Wie er anfing, mich zu faszinieren.
Wie ich –anfangs unbewusst– anfing jede seiner Berührungen zu genießen.
Wie ich Schritt für Schritt weiter ging, auf dieser Sackgasse der Liebe.
Wie ich es ihm erzählte.
Wie er mich – relativ freundlich, aber deutlich – abwies.
Wie ich versuchte zufrieden zu sein, mit dem was ich hatte: seiner Freundschaft.
Wie ich kläglich scheiterte, am Ende der Sackgasse und ohne Wendemöglichkeit.
Wie sich sinnlose Hoffnungen und absurde Illusionen die Hand gaben.
Wie mein Herz sich weigerte zu verstehen was mein Verstand schon längst akzeptiert hatte:
Dass er mich nicht liebt.
Das Wesen lächelt traurig und streicht mir über den Kopf.
„Gib dich nicht auf“, dringen seine Worte tröstend an mein Ohr.
„Auf der Suche nach der großen Liebe gilt es, die Tiefen zu überwinden. Ich helfe dir dabei.
Sieh dich doch einmal um!“
Es macht eine auffordernde Geste rings um sich herum.
Und mein Blick, bisher gefesselt von seiner reinen Schönheit, schweift langsam umher.
Ich befinde mich nicht länger am See. Wo bin ich? Es ist alles so seltsam anders aber doch vertraut. Steinwege schlängeln sich durch Reihen von Beten, große Bäume stehen hier und da. Die Vögel, die sie beherbergen, zwitschern vergnügt ihre Lieder. Es wirkt alles sehr friedlich. Ja, dieser Ort strahlt einen Frieden aus, wie es eigentlich nur… plötzlich wird es mir klar: ich bemerke die weißen Marmorsteine, die auf jedem Beet anzufinden sind, in allen erdenklichen Formen.
Ein Friedhof.
Was soll das?
Fragend schaue ich das Wesen an.
Ermunternd nickt es. Ich stehe auf und gehe den Weg entlang. Der Kies knirscht unter meinen Schritten. Es ist wirklich sehr friedlich hier. Ich nähere mich den ersten Steinen. Bald bin ich so nah, dass ich die Schrift, eingemeißelt aus verschnörkelten Buchstaben, lesen kann.
Ich blinzele verwundert. Bis jetzt kann ich noch nicht alles lesen, doch das was ich schon erkennen kann, sind immer zwei Namen. Auf jedem Grabstein.
Ich beuge mich leicht vor, dann erkenne ich es. Mir stockt der Atem.
„Hier ruht die Liebe
von
Johann Wolfgang von Goethe
zu
Charlotte Buff

Mit offenem Mund starre ich das Wesen an.
Sein Blick durchdringt mich. Plötzlich fange ich an zu begreifen.
Das Wesen nickt kaum wahrnehmbar. Mit leiser Stimme spricht es die Worte, und mit einem Mal verstehe ich alles.
„Willkommen auf dem Friedhof der zerbrochenen Herzen.“
Ich weiß nicht wie lange ich ihn nur anstarre.
Irgendwann gehe ich weiter, bis ich an einem Fleck lockerer Erde halt mache, in der ein Spaten steckt.
Das Wesen legt seine Hand auf meine Schulter und drückt sie sanft.
Ich schließe die Augen und sehe das letzte Mal sein Gesicht vor mir.
Dann nehme ich den Spaten und fange an zu graben.
Und mit jedem Mal, wenn der Spaten sich in die Erde, nass von meinen Tränen, gräbt, wird das Grab meiner Liebe zu ihm tiefer.

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