Abseits

Text zum Thema Alltag

von  Ganna

Abseits


    Sie torkelt, fällt fast, schwankt, Blicke durch den Schmutz an ihren Fersen nach sich ziehend, die zu unendlichen Gewichten sich vergrößern, schwerer werden, nicht abzustreifen sind, bis sich die Füße nur noch mit Mühe vom Boden lösen, bald gänzlich kleben zu bleiben scheinen und ihre Beine sich gummiartig verlängern, nicht mehr mithalten mit dem Körper, der dem Rest voranstrebt, voraus der Kopf, gedankenschwer und dumpf der Erde sich zuneigend. Wenn sie ihnen doch entkommen könnte.
    Wie sie die Leute hasste, könnte sie hassen, wie sie sie verabscheute, würde sie sich nicht vor allen selbst verabscheuen, wie sie sie meidete, würde sie nicht von allen gemieden. Nur schnell ungesehen vorbeikommen, im Schatten der Mauern unbemerkt entschwinden, wenn sie es denn könnte. So schnell sie auch geht, so gründlich sie vergessen will, so fest sie ihre Wohnungstür auch schließt, sie nimmt die Blicke mit sich, kann sie nicht abstreifen, sich nicht mehr von ihnen befreien, niemals mehr. Sie taucht ein unter ihre Dusche, will fortspülen, was sich so unangenehm zu ihr gesellte, doch es lässt sich nicht mehr lösen, klebt und haftet unabwaschbar bis in ihre Träume hinein, die sie nicht mehr schlafen lassen.

    Seit Jahren schon wohnt sie in dieser Gasse, die sich idyllisch schön mit kleinen Häuschen an den Berg schmiegt, sich in Heckenrosen und Brombeeren kuschelt, von einem Duft nach Hyazinthen und Moos umhüllt, der an Ferien auf dem Land erinnert. Doch fremd blieb sie stets darinnen, abseits und allein, wie hinter eine unsichtbare Wand gesperrt und nicht dazugehörend. Während das Katzenkopfpflaster auffordert, langsam zu laufen und auf grüngestrichenen Bänken Mütter in Kittelschürzen miteinander schwatzend ihre Kinder hüten, die im Sand Löcher buddeln oder kleine Hunde ärgern, geht sie hastig vorüber, geduckt, sucht den Kopf zwischen den Schultern zu bergen, als würde es sie davor schützen, gesehen zu werden.
    Zuerst noch grüßte sie scheu die Nachbarinnen und ihr Gruß wurde verhalten erwidert, was sie hoffen ließ, morgen werde alles besser, werde auch sie dazugehören, könne auch sie sich unter die Frauen mischen. Inzwischen wagt sie nicht mehr in die Gesichter zu schauen, die sich alle so ähnlich sehen, fürchtet, ihr Haus zu verlassen, durch die anderen hindurchzugehen, schreckt davor zurück, eventuell bemerkt oder angesprochen zu werden. Jeder Gedanke daran, was sie denken könnten, was sie hinter ihrem Rücken schwatzen und sich gegenseitig in die Ohren flüstern, schreckt sie. Nicht dass sie wüsste, was sie hinter ihr her reden, sie weiß es nicht, nie wurde ihr etwas Nachteiliges zugetragen, noch drang jemals ein falsches Wort an ihr Ohr, nein, doch auch kein gutes und sollte sie das nicht stutzig machen und bei ihr kein Misstrauen hervorrufen? Die Vorstellung, wie Gerüchte sich überlagern, sich miteinander vermengen und ihr nachhängen lässt sie nicht mehr los. Sie können ihr nur Schlechtes nachsagen, wo sie sich so fremd dazwischen fühlt.
    Alle diese Vorstellungen sitzen ihr im Nacken, verfolgen sie Tag und Nacht, krallen sich an ihr fest. Schlaflos wühlt  sie in ihren Kissen bis sie ihr Vorhaben aufgibt, sich erhebt und doch in die Kneipe geht.

    Sie wollte es schon lange lassen, doch dann, immer wieder, macht es keinen Sinn. Es ist wie wenn ihr Gehirn reißt, sie in einen Abgrund hineinzerrt, tief in diese Leere in der die Verlassenheit sitzt. Sie will es vergessen machen, dieses schreckliche Gefühl, das von innen in den Bauch beisst, an ihren Eingeweiden reißt und keine Schutzmauern stehen lässt, vergessen die Nachbarn, das idyllische Gässchen, den Frühlingssonnenschein, Kinderlachen und wie wohl es den Anderen geht, wie wohl es immer den Anderen geht, so dass sie es nicht mehr erträgt dieses Anderssein.   

    Sie torkelt die Strasse entlang, bis sie das Schwanken nicht mehr hält, auch Wände vor sich hin schaukeln. Sie passt nirgends hin und sollte dieses Nirgends finden in der Welt, um dort zu sein. Vielleicht fände sie dann sich. Oben ist unten, wo die Sterne blinken und diese leuchten nicht ihr.
    Sie rutscht in die Ecke hinein. Hier ist es feucht und sie ist sicher vor der bösen Welt. Auf dem Boden kauernd ist sie ihr eigener Schutz. Mauern hindern sie am Taumel bis sie wieder aufrecht gehen kann. Ihre Arme umfassen den Körper,  Knie wärmen die Brust. Sie presst sich zusammen, als könnte es helfen, sie mit sich einig werden zu lassen. Die Erde unter ihr ist mit Regen vollgesogen, einer Feuchtigkeit, die Fruchtbarkeit geben soll und nun durch ihre Hosen an die Haut kriecht. Sie wird beschmutzt nach Hause gehen müssen, wie eine, die sich nicht zu helfen weiß, es ist zu spät. Sie hofft nicht mehr, erwartet nichts. Müde ist sie und verkümmert, fühlt sich wie ein welker Rest, der verzweifelt schweigt.
  Geräusche in ihrem Hirn lassen nicht zu, dass ihr Körper reagiert. Er verhält sich still und erduldet, was mit ihm geschieht, wehren kann er sich nicht, wie ihre Brust sich nicht gegen ihren Schmerz wehren kann. Soll er leiden, wie ihr nicht vorhandenes Ich. Sie hasst ihn, weil er so gesund erscheint, so normal. Er arrangiert sich mit der Außenwelt, er verrät sie an die Feinde, indem er tut, als gehörte er zu ihnen. Doch wer gehört zu ihr, auch wenn sie nicht zu sein scheint? Ihr Körper gibt sie preis, so lässt sie ihn nackt und bloß im Schmutz der Straße sitzen. Sie will, dass er friert, vor Schmutz erstarrt und schmerzt, dass er Schaden nimmt, bis er verkrüppelt sich mit ihrer Seele eint. Vielleicht hilft das über Einsamkeit hinweg. Niemand sieht sie in der Ecke kauern lässt es sie noch hoffen und fühlt ihre Qual zwischen den Schultern sitzen.
    Die Welt dreht sich und steht nicht mehr still. Licht und Dunkel bilden einen Wirbel, Sternschnuppen und Erdklumpen umkreisen sie, versuchen, sie mit sich zu reißen, was ihnen gelingt. Sie wehrt sich nicht dagegen. Ihre Haut spannt sich, mehr und mehr, platzt auf und zerreißt, lässt die Seele heraustreten und in die Dunkelheit entschweben. Am nächsten Tag findet sie sich auf ihrem Bett wieder.

    Wie sie dorthin gekommen ist, erinnert sie sich nicht. Überall klebt lehmige Erde, auf dem Schaffell Erbrochenes, es stinkt. Wie mit einem schweren Hammer schlägt es auf ihren Schädel ein, während die Glieder schmerzen. Sie setzt sich auf und möchte sich sogleich wieder fallen lassen, die Augen schließen und nicht denken. Es drängt sie, um die Kotze herum zu laufen, und in der Küche nach Alkohol zu suchen, obwohl dort keiner ist, sie weiß es. Es ekelt sie vor dem Erbrochenen, dem Schmutz in der Wohnung, dem heutigen Tag, der ganzen Welt und vor ihr selber. Was hat sie in dieses Leben gesetzt, wozu soll das gut sein?  Was hat die, die sie zeugten veranlasst, es zu tun? War auch das nicht nur ein verzweifelter Versuch, das eigene Verlassensein zu überwinden, indem sie ihre Einsamkeit an einen Fötus weitergaben in der Illusion, die Verschmelzung ihrer Zellen würde sie erlösen?
    Es ist kalt um sie. Wieder ist sie wieder allem ausgeliefert. Nachbarn laufen an ihrem Fenster vorbei.


    Eine Viertelstunde später, sie saß noch immer benommen auf den Bettrand, klopft es. Langsam steht sie auf und tastet sich durch den dunklen Flur,  öffnet die Tür etwas und schaut auf die kleine Frau davor. „Ich wollte nach ihnen schauen, wie’s ihnen geht und ob sie Hilfe brauchen,“ sagt die Nachbarin, „wir haben sie gestern gefunden und nach Hause gebracht. Es ging ihnen gar nicht gut. Vielleicht legen sie sich besser wieder hin und ich koch’ ihnen einen Tee, wenn sie möchten.“

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