Der arme Poet

Kurzprosa zum Thema Besessenheit

von  apocalyptica

Irgendwann hat er einfach aufgehört so zu sein, wie man es von ihm erwarten würde. Der Wecker klingelte morgens, aber er ist nicht aufgestanden, ist einfach im Bett geblieben.

[…]

Der Raum war abgedunkelt, meine Augen mussten sich erst an das diffuse Licht gewöhnen, das von zahlreichen Displays wiedergegeben wurde. Mehrere Fernseher, Tonband, Radio, Computer. Alle Geräte waren eingeschaltet, jedoch im Standby-Modus.

Er selbst saß immer noch im Bett, in mehrere schmuddelige Kissen gelehnt, wie in einer Kommandozentrale.  Die Bettdecke verbarg seine inzwischen immense Leibesfülle bei Weitem nicht mehr, zeigte dafür aber die Speisekarte der letzten Wochen.  Auf seinen Knien hielt er die Tastatur, drumherum drapiert die unterschiedlichsten Fernbedienungen und ein Telefon. Auf dem Nachttisch Tassen, Teller, Gläser, Flaschen. Leere Tüten, Pommesschachteln, Pizzakartons. Wer ihn mit Nahrung versorgte, wagte ich nicht zu fragen, denn er hämmerte wie besessen auf seiner Tastatur herum. Mit zwei Zeigefingern, aber in Windeseile.

Seine Augen funkelten im Wahn, die Haare hingen ihm in fettigen Strähnen ins Gesicht, der Schweiß perlte von seiner faltigen Stirn und seinen speckigen Wangen. Dann und wann schaltete er eines der Geräte ein. Pornos auf Premiere. Nahrung, sagte er. Bundesliga. Adrenalin, sagte er. Nachrichten im Radio. Inspiration, sagte er. Manchmal lief Musik, alte, längst vergessene Songs seiner Lieblingsband aus längst vergangenen Jahren. Entspannung, sagte er.  Dabei hämmerte er unentwegt weiter. Sein Buch würde ein Bestseller werden, sagte er.  Sein Lebenswerk. Sein Vermächtnis.

[…]

Irgendwann hat er einfach aufgehört so zu schreiben, wie ich es zuletzt gesehen hatte. Das Telefon klingelte morgens, aber er hob nicht ab, sein Herz ist einfach stehen geblieben.

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Kommentare zu diesem Text

Ralf61 (48)
(08.12.07)
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 apocalyptica meinte dazu am 08.12.07:
Danke dafür, lieber Ralf, dass du meinen Gedanken hier gefolgt bist. Ob die Zeit für ihn noch gereicht hat...ich weiß es nicht, ich habe sein Buch nie in Händen gehalten.
Es stimmt, ich nehme Situationen/ Milieus und Wesenszüge meiner Mitmenschen auf, um sie dann irgendwann später innerlich zu verarbeiten, manchmal in solchen Texten, manchmal einfach nur für mich, aber niemals so oberflächlich, wie es heute für viele fast zur Gewohnheit geworden ist.
Also nochmals lieben Dank fürs Vorbeikommen, Klicken und...Verstehen.

Auch dir ein schönes WE,
die -bea
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