Genie und Wahnsinn XI: Paul Gauguin (1848-1903)

Essay zum Thema Wahnsinn

von  JoBo72

Auf den ersten Blick scheint Paul Gauguin nur insoweit in einem Zusammenhang mit dem Thema „Genie und Wahnsinn“ zu stehen, als er Vincent van Gogh besuchte, mit ihm arbeitete und lebte. Am 23. Dezember 1888 wurde er Zeuge des Zusammenbruchs seines Kollegen, der mit dem Rasiermesser auf ihn los ging, bevor er sich selbst das Ohr abschnitt. Gauguin verließ van Gogh daraufhin ungerührt und künstlerisch unbeeinflusst.

Zwar häuften sich in den letzten zehn Lebensjahren bei Gauguin die Krankenhausaufenthalte und auch sein recht frühes Ableben mit nur 55 Jahren erstaunt, doch liegt der Grund für die häufigen Krankheitsphasen eher im körperlichen als im psychischen Bereich: Gauguin war herzkrank.

Doch betrachtet man seine Biographie genauer, so fällt die Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit auf, die ihn charakterisieren und die bei ihm jene Stimmungsschwankungen hervorrufen, die sonst nur bei einer manischen Depression auftreten.

Einerseits litt er Seelenqualen und verstieg sich in Selbstmitleid, andererseits schauspielerte er den egozentrischen Künstler, der großherzig den Beifall der Massen entgegennimmt. Er verließ seine Frau und seine Kinder, litt aber selbst am meisten unter der Trennung. Er suchte die Distanz, er brauchte die Nähe. Er war voller Gefühl und gab sich doch eiskalt berechnend. Verzweifelten Situationen begegnet er mit geradezu lächerlichem Optimismus. Jede Randbemerkung nahm er ernst und forderte von seinen Mitmenschen absolute Verbindlichkeit. Er begegnete ihnen jedoch mit Überheblichkeit und Zynismus. So verwundert es nicht, dass Zeitgenossen ihn als launisch beschreiben, als unnahbar für die meisten von ihnen.

Vielleicht charakterisierte Gauguin sich selbst am besten, als er sich in einem Brief mit einer von ihm geschaffenen Keramik verglich: „Das Gefäß ist zwar kalt, und doch hat es eine Hitze von 1600 Grad überstanden.“

Gauguin hatte zweifelsohne ein Verlangen, der Welt und sich selbst zu entfliehen. 1891 zieht es ihn in die Südsee. Dort findet er endlich die Einsamkeit, die er zum Arbeiten benötigt. Obwohl diese Einsamkeit eine selbstgewählte ist, leidet er darunter, einsam zu sein. Die Lösung eines Problems wird bei Gauguin stets selbst zum Problem. Es fällt schwer, ihn zu verstehen.

Zwar beruhigt sich in den letzten zwölf Jahren seines Lebens, die er allesamt auf Südseeinseln verbringt, sein malerischer Stil, doch wird er von seiner Herzkrankheit arg beeinträchtigt und kann phasenweise nicht mehr arbeiten.

Nach dem Tod der Tochter Aline (1897), von dem er durch einen Brief seiner Frau erfährt, leidet er viele Monate an einer reaktiven Depression, an deren Ende am 11.2.1898 ein Suizidversuch steht. Zuvor hatte er, gewissermaßen als sein Vermächtnis, sein vielleicht berühmtestes Bild gemalt: „Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?“ Der Suizidversuch misslingt.

In seinen letzten Lebensjahren setzt sich Gauguin vehement für eine bessere Behandlung der Eingeborenen durch die französischen Kolonialbehörden ein, was ihm wenige Wochen vor seinem Tod eine Gefängnisstrafe einträgt. In seinem letzten Brief offenbart sich ein gebrochener Mensch: „Ich bin krank und kann nicht mehr.“ Am 8. Mai 1903 stirbt Gauguin.

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