Aach, seeuufz!

Tagebuch zum Thema Humor

von  tastifix

Mit sechzehn Jahren betrat ich zum ersten Male die Tanzschule, nicht ahnend, dass diese für lange Jahre mein zweites Zuhause werden würde.

Es war die Zeit der weit schwingenden Plisseekleider. Ich trug einen solchen Hauch in Rotorange, fühlte mich großartig und marschierte entsprechend selbstbewusst in den Tanzsaal. Genauso fix war sämtliches Selbstvertrauen dahin. Ich schrumpfte innerlich bis zum Fast-Geht-nicht-mehr und hielt verzweifelt nach einem Mauseloch Ausschau. Leider gab es da keines.

Flatternden Blickes stellte ich fest, dass ringsum an den Wänden lange Sitzbänke aufgestellt waren. Die auf denen hockende Gestalten guckten mindestens genauso unglücklich wie ich jetzt und das, obwohl dies hier doch, wie wir vorher erfahren hatten, als ein Ort der Freude galt.

Auf der einen Seite saß die zart erblühende Weiblichkeit und auf der anderen die scheinbar schon so männlichen Männer. Die Gesichter der Mädchen wirkten in diesen Minuten alles andere als zart erblüht, sondern ihr Teint ähnelte frappierend der Farbe eines gekochten Hummers und das starke Geschlecht ihnen gegenüber sah aus, als ob es sich gleich vor Verlegenheit in die Hose machen würde.

Eines hatten wir alle gemeinsam: Wir verwünschten unsere, da nutzlos herum baumelnden Hände, wussten nicht, wohin mit ihnen und schwitzten vor Aufregung unseren Festtagsstaat durch, bevor das Tanzbein überhaupt zum Einsatz kam.

Scheu guckte ich zu den Jungen rüber. Gleich würde garantiert einer von denen mit mir tanzen wollen.
"Hilfe! Was passiert bloß, wenn ich was falsch mache? - Hoffentlich kommt nicht ausgerechnet  der mit der komischen Nickelbrille!"

Zunächst kam erst mal gar keiner, sondern wir hatten einer Rede des Tanzstundenlehrers über den Knigge zu lauschen.
"Der Herr verneigt sich mit einem Diener vor der Dame, die ihm ein freundliches Lächeln schenkt und sich anmutig von ihrem Platz erhebt"
"Anmutig, anmutig!", sagte ich mir es vor und hoffte, es würde etwas nutzen.

Der Tanzlehrer redete offensichtlich ausgesprochen gerne und hielt sich dran. Unruhig scharrten wir mit den Füßen. Lange würden wir die Spannung nicht mehr ertragen. Zum Glück wurde genau dies dann unserem Redner klar und er gab das Kommando:
"Die Herren - bitte auffordern!"

Wie auf Kommando verzogen die Mädchen die Gesichter zu einem möglichst charmanten Lächeln. Schließlich wollten sie nicht als Mauerblümchen sitzen bleiben. Die jungen Kavaliere warf der weibliche Charme fast um.

Sie strafften die Schultern, setzten gleichfalls ein, wie sie sicher felsenfest glaubten, sehr einnehmendes Lächeln auf und stürmten los, um eines der bibbernden Hühner von der Angst zu erlösen, eventuell nicht begehrt zu werden.

Selbstverständlich hatte ich mir meinen Favoriten schon ausgeguckt. Er war ein hübscher Junge, seehr groß (mindestens 1,90m, dies war wichtig!) mit sanften, braunen Augen und einer tollen Figur.
Verlegen lächelte ich ihn an und er genauso schüchtern zurück. Einmal, zweimal und ein drittes Mal, dann allerdings nicht mehr ganz so verhalten.
"Ohne Zweifel. Der meint mich!"
Ich schielte zu den Anderen, ob sie es wohl mit bekommen hatten.

Ja, meine Freundin interessierte sich anscheinend gleichfalls für ihn und wurde prompt giftig:
"Der ist viel zu rasant für Dich!"
Peng!
Ich:
"Denkste!!"

Mit ein paar Schritten war er dann bei mir, machte einen noch etwas ungelenken Diener und fragte tatsächlich:
"Darf ich bitten?"
Die einzige Antwort darauf war mein Herzklopfen. Anscheinend war es aber laut genug gewesen, denn er nahm mich bei der Hand und führte mich zur Tanzfläche. Wie auf Wolken schwebte ich neben ihm her.

Wir sahen uns an, schauten einander in die Augen und vergaßen alles um uns herum. Aus dem Walzer wurde ein flotter Rock und aus dem Rock eine Rumba. Ach, es war ja so egal: Hauptsache, er hielt mich umschlugen und keine Andere! Wie war es doch wunderbar: Wir verstanden uns ohne Worte. Dies war ausgesprochen gut so, denn das Glück und noch mehr die Schüchternheit schnürte uns die Kehle zu und wir bekamen beide kein einziges Wort raus.

Es blieb auch für ´ne ganze Weile so, obwohl wir uns nach Kräften gegenseitig auf die Füße latschten. Irgendwie hatte uns die Gesetzmäßigkeit der Tanzschritte nicht mehr zu fesseln vermocht. Kein klagender Laut entfuhr unserem Munde, sondern wir grinsten tapfer weiter und uns entrückt an.

Aber auch ´ne ganze Weile geht einmal vorüber. So langsam war das Grinsen auf unseren Gesichtern festgefroren und eine zugehörige Mundsperre eingetreten. Dies störte mich denn doch beträchtlich, zumal ich es an der Zeit fand, jenes nervtötende, extrem spannende Schweigen zu beenden.

Glühend rot bis hinter beide Ohren platzte ich denn so ausnehmend kess heraus:
"S...Sag` mal: W...wie h...heißt d...duhuuh?"
Er strahlte mich an, was mir jedes weitere Wort unmöglich machte.
"R...Rainer!"
´Ooh, Rainer!!`, dachte ich und sonst nichts mehr.
Den Rest der Tanzstunde verbrachten wir wortlos.

Nach einer wunderbaren Traumnacht (Rainer!!!) wanderte ich tänzelnd zur Schule. Noch nie hatte ich diesen Gang so sehr herbei gesehnt.
"Die beneiden mich alle!"
Hach, den Triumph gedachte ich auszukosten. Kaum, dass ich meine Klasse betreten hatte, stellte sich schon unsere Klassenpummeline neben mich und stichelte los:
"Äätsch! Deeiin Rainer ist ein ganzes Jahr jünger als du!"

Über meine Antwort ärgerte sie sich sicherlich mehr als schwarz:
"Na und? Interessiert mich nicht die Bohne!!"

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