Eva

Brief zum Thema Sehnsucht

von  Zeder

13.03.

Du,
ich kenne deinen Namen nicht mehr. 
Weißt du noch, wie wir damals Lavendelblütennester bastelten und sie auf dem Wasser davonschwimmen ließen? Ich habe gestern eines davon wieder gesehen, als ich am Fluss hockte und mit dem Wasser sprach. Es kam dort angesegelt, aber es hielt nicht an, keine Möglichkeit für mich einzusteigen.
Ich weiß wie es dir geht. Deswegen schreibe ich nicht, ich weiß nur nicht, wie es mir geht. Weißt du das? Weißt du noch etwas? Mit deinem Weggehen habe ich alles verlernt. Ich habe mich auf Null zurückschrauben müssen und mich völlig neu geschaffen. Und doch bin ich wieder genauso geworden.
Ich bin sechsundzwanzig Jahre alt und habe drei Leben gelebt. Meine Kindheit, eine lange Zeit, aber eine friedliche, eine formvolle und ruhige, ich kannte dich noch nicht. Unsere Zeit, eine kurze, eine intensive und meine glücklichste Zeit. Und nun die Nach-uns-Zeit, eine wirre, verlorene Zeit, in der ich nach dir suche in allem, was mir begegnet und alles antwortet kichernd: "Du hast sie verloren." Ich habe resigniert. Im schönsten Frühling habe ich resigniert.
Weißt du noch, wie wir hier damals die lustigsten Dinge anstellten? Mit dir hatte ich kein Gewissen. Nie hatte ich das. Ich habe gelebt. Du bist jetzt weg und ich kann das nicht mehr - leben. Ohne dich bin ich schon immer brav gewesen.
Gestern habe ich einen Apfel im Gemüseladen gestohlen. Ich konnte ihn nicht essen. Er segelt jetzt im Lavendelblütennest dem Meer entgegen. Vielleicht findet er dich dort. Ich habe dich nicht gefunden. Suche und Hoffnung. Ich habe dich nicht gefunden, Eva. Wo bist du.

L.


16.03.

Eva,
ich kenne deinen Namen wieder.
Ich habe mir vor drei Monaten einen Strick gekauft und meinen Dachboden saubergemacht. Im Dreck wollte ich nicht sterben.
Nun traue ich mich nicht. Ich stehe jeden Abend dort - auf einem Stuhl und höre die Geister rufen, weißt du noch? Wir haben doch die Geister immer zusammen rufen gehört, von dort drüben, hinter dem Fluss, jene lieblichen, sirenengleichen Klänge. Aus  ihnen höre ich deine Stimme hervor, Eva. Deine Sirenenstimme unter Geistern. Da kann ich nicht. Ich weiß jetzt, dass ich dort nur am Rande zum Wahnsinn stehe, um dich tagtäglich zu hören. Denn plötzlich blühen wieder Blumen in mir.
Ich kenne deinen Namen wieder, Eva.
Und ich habe meinen verlernt.


02.04.

Eva,
du standest immer als erste im Badezimmer, morgens, nachdem du die Nacht durchgelesen hast. Wann hast du eigentlich geschlafen? Du standest dort und maltest mit rosa Lippenstift die Konturen deines Gesichts an meinen Spiegelschrank. Es sah nicht aus wie du, es war ja auch mein Lippenstift. Dann hast du dir deine Haare hochgesteckt. Rote Haare. Ich habe die Haarklammer wieder rausgezogen, jeden morgen. Du sagtest aber, du hättest deinen Nacken so gern, jeden Morgen. Ich habe Kaffee gekocht und du Zigaretten geraucht. Rauchst du immernoch? Ich hasse Zigaretten, aber den Geruch von einer Camel am morgen, vermischt mit deinen Haaren, den habe ich immer geliebt.
Und du bist noch immer auf meinem Spiegelschrank. Aber du rauchst nicht mehr. Und du trägst rosa Lippenstift. Und wenn ich vor dir stehe und weine und erzähle, dann tust du nichts. Du bist.
Du bist, du bist, Eva.

Wahrscheinlich wird es bald Zeit für mich, wieder hinaus zu gehen.
Der Frühling geht in Sommer über. Kkennst du noch den Sommer hier?
Die Kirschbaumzweige wachsen in mein Küchenfenster hinein. Dort ruft mich etwas. Bist du das? Es wird bald Zeit, Eva, Zeit, den Spiegelschrank zu putzen und die Aschenbecher auszuleeren - Zeit, meinen Namen wieder zu finden, Zeit.
Ich kehre nun die letzten Kräfte meiner Seele zusammen.


31.04.

Morgen ist der erste Mai.
Ich habe deinen Namen vergessen, und  meinen noch nicht gefunden. Wir sind nichts. Es gibt kein wir. Deinem Spiegelschrankbild kratzte ich in elender Wut die Augen, den Mund und die Nase aus. Ein letztes Mal habe ich dir die Spange aus den Haaren gezogen.
Ich habe die Zweige des Kirschbaums geschnitten und dir in den Fluss nachgeworfen, die Asche vergrub ich am Ufer unter einer Linde.
Morgen ist der erste Mai.
Morgen ist.

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Kommentare zu diesem Text


 Vaga (18.04.08)
Es gibt keinen 31. April. Aber nicht nur das beeindruckt mich bei diesem Text, sondern auch, dass er mich lesend festhält vom ersten bis zum letzten Wort.
philiplarkin (63)
(18.04.08)
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 Didi.Costaire (19.04.08)
Der Brief ist so gut geschrieben, dass er beklemmend echt wirkt. Es ist doch nur ein literarischer Text, oder?
lg, didi

 Zeder meinte dazu am 19.04.08:
ja. durch und durch literarisch! ;)
danke.
Samjessa (28)
(20.04.08)
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 Zeder antwortete darauf am 20.04.08:
danke =)
jap, hab ich. ich fand den einfall irgendwie nett - das lässt alles nochmal anders erscheinen, rückt den letzten abschnitt ins unwirkliche. vielleicht nur ein traum. ich weiß es selbst nicht.
es freut mich, dass der text dir gefällt!
Data-LAB (37)
(22.04.08)
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shadowhunter (28)
(25.04.08)
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 Isaban (01.05.08)
Ein Text, der einen berührt, immer tiefer unter die Oberfläche blicken und zwischen die Zeilen tauchen lässt, bis man sich spätestens am 31.April verliert um im Heute beklommen wieder zu erwachen. Fühlbar und intensiv ist deine Schilderung, einzig das wiederholte Verschenken an Frosch und Kröte erscheint mir zu erzwungen, zu demonstrativ kindlich-naiv im Kontext und neben der Betonung des Alters des Prots, zu versponnen und eigentlich überflüssig in dieser Gedankenwelt, in der ansonsten Frosch und Kröte anscheinend nicht einmal eine Statistenrolle haben, sondern nur zur Umgebung gehören, wie der Rest der Außenwelt, also nicht relevant sind.
Ich habe sehr, sehr gern bei dir gelesen.

Liebe Grüße,
Sabine

 Unbegabt (02.05.08)
puh²

 Zeder schrieb daraufhin am 02.05.08:
hast du winnie geklont? O_O

 Mootz (13.06.08)
Ich kann mich nur den anderen anschließen.
Du verstehst es wirklich mit worten zu fesseln.
Durch und durch lesenswert vom erstem bis zum letzten Buchstaben!
(...oder sollte ich sagen phu³ :)

*verneig*

mela

 beneelim (19.06.08)
mir gefällt das spiel mit dem datum sehr...der aufgeschobene tag, das "Wir", das mauerlose gefängnis... obgleich der text die stärke seiner anfangspassage etwas aufgibt zugunsten einer komposition, die ihren ton dem thema nicht ganz anmisst... insgesamt: mutiges einblicken
gruß p

 Zeder äußerte darauf am 19.06.08:
danke dir, p.
und was meinst du denn nun genau mit "die ihren ton dem thema nicht ganz anmisst"?
t.

 beneelim ergänzte dazu am 19.06.08:
ja das ist etwas umständlich formuliert. ich meine, dass die letzten zeilen sehr elegant, sehr strukturiert den umstand ausformulieren, dass hier jemand sich ohnmächtig und von "elender wut" übermannt fühlt. damit klingt etwas harmonisch, was ich doch dem wesen nach als dissonant betrachte. aber: ich rauf mir wohl grad das haar über der bekömmlichen suppe :)

 Zeder meinte dazu am 20.06.08:
weißt du, vielleicht hast du recht damit, vielleicht sollte ich die letzte phase noch mehr ausbauen. trotzdem soll ungewissheit bleiben. aber vielleicht ein bisschen mehr deutlichkeit... ich überschlafe das. vielen dank.

 Ingmar (21.09.08)
ein sehr schöner, trauriger text, finde ich. und möchte mit diesem kommentar einen satz loswerden, übrigens. weil dieser satz: "Ich habe ihn mir selbst entlernt." der kommt mir so gekünstelt vor, und das gerade am anfang, also den würd ich ins verschwinden kippen, unbedingt. was fehlt, wenn er fehlt? ich denke: nichts. im gegenteil. meines erachtens.

ingmar

 Zeder meinte dazu am 21.09.08:
ich glaube du könntest recht haben, ingmar. ich kippe ihn probeweise mal ins verschwinden! :)
(aber ich finde diesen text allgemein ein wenig gekünstelt, jetzt so im nachhinein, irgendwie. aber aus mir spricht gerade unzufriedenheit.)
danke.
th

 Ingmar meinte dazu am 21.09.08:
ich finde ihn auch allgemein ein wenig gekünstelt. aber das kunstvoll. kein grund zur unzufriedenheit. aber ein grund weiter zu schreiben. in dem sinn: ich freu mich auf neues von dir.

nimmersatt,

ingmar

 Zeder meinte dazu am 21.09.08:
ich versuchs ja :)
lego (31)
(10.06.09)
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