Brief an Rosemarie F.

Kurzprosa zum Thema Missbrauch

von  Momo

Nun ist es heraus, die ganze Wahrheit, die Sie schon immer geahnt hatten. Ist das nun ein Glück, eine Befreiung, von einem Mann erlöst zu sein, der despotisch das eigene Leben unterdrückte, der es einengte und bestimmte, der bestimmte, was Sie dachten und wie Sie es dachten und ob Sie es überhaupt dachten? Oder ist da jetzt ein Loch entstanden, ein nicht mehr zu füllendes Vakuum, ein Mangel, der schon immer da war und das Ihr Mann ausgefüllt hat. Es heißt: auf jeden Topf passt ein Deckel, und das ist sicher wahr. Denn Ihr Mann konnte nur sein wie er war und das tun, was er tat, weil Sie waren, wie Sie waren und nichts taten. Sie dachten nicht, Sie fühlten nicht und damit meine ich die Intuition, Sie übernahmen keine Verantwortung für sich und Ihr Leben und das Ihrer Kinder.
Aus dieser gewollten Bewusstlosigkeit heraus konnte erst das geschehen, was jetzt die Öffentlichkeit fassungslos zur Kenntnis nehmen muss. Dass inmitten ihrer zivilisierten Gemeinschaft jemand ein Vorrecht auf die Spitze getrieben hat und damit grell beleuchtet, was doch versteckt und im kleineren Maßstab überall anzutreffen ist, gelebt wird und darum auch gar nicht mehr wahrgenommen wird.
Schon in der Bibel steht, die Frau wurde geschaffen, dem Manne zu dienen und ihm Untertan zu sein. Spätestens seit mit dem Christentum das patriarchalische Denken in unserer Gesellschaft auf allen Ebenen die Vorherrschaft übernommen hat, sind Frauen natürlich auch Menschen, das schon, und alle Menschen sind gleich, aber erst in Bezug zum Mann. „Da sprach der Mensch: …man wird sie Männin nennen, weil sie vom Manne genommen ist.“ AT 2.3.23 „…Und dein Verlangen soll nach dem Manne sein, aber er soll dein Herr sein.“ 3.4.16

Mittlerweile, im 21. Jahrhundert angekommen, haben wir die Gleichberechtigung von Mann und Frau erreicht, so sagt man, und die meisten Frauen glauben das auch. Aber warum werden Frauen dann immer noch für die gleiche Arbeit wesentlich geringer entlohnt wie ihre Kollegen? In einem erst kürzlich gelesenen Leserbrief eines Mannes zu diesem Thema las ich sein schlagendes Argument: Weil Frauen meistens auch Familie haben und darum auf dieser persönlichen Ebene viel mehr mental und emotional abgelenkt sind. Aus diesem Grund könnten sie auch nicht so viel leisten wie die Männer. Mit anderen Worten, Männer sehen die Welt mit anderen Augen  (denn sie haben ja wohl ebenso eine Familie), aus männlicher Sicht eben, und die ist diametral entgegengesetzt der weiblichen, wobei es natürlich verschiedene Abstufungsgrade gibt. Aus diesem Grund leiden Frauen mit Familie und Beruf auch viel häufiger an Erschöpfungszuständen, weil nur sie sich offenbar dafür verantwortlich fühlen, dass in der Familie und mit den Kindern alles rund läuft. Hätten wir eine wirkliche Gleichberechtigung, würden die Männer sich auch berechtigt fühlen, an der Verantwortung für den Partner, der Familie und den Kindern zu partizipieren und erst dann würden sich die Lasten von Familie und Beruf auf beiden Schultern gleichmäßig verteilen.

Britische Wissenschaftler vom Autism Research Center der Cambridge University haben festgestellt „… dass Menschen aus dem Autismus-Spektrum eine übersteigerte Form des männlichen Profils nachweisen.“ (Science, Bd. 310, S. 819).
Das ausschließlich rationale Denken trennt ab vom Gefühl, von Beziehung, vom Sinn.  Das macht es auch fähig, alles, womit es zu tun bekommt, als Objekt zu betrachten, das es gilt, nach seiner Nützlichkeit zu bewerten, nach seiner Beschaffenheit zu analysieren und auf seine Bestandteile hin zu sezieren. Und da Männer über eine mehr oder weniger ausgeprägte Triebhaftigkeit verfügen, betrachten sie die Frauen erst einmal als Objekt,  um sie dieser Triebhaftigkeit nutzbar zu machen. Erst wenn die Liebe oder eine Passion mit ins Spiel kommen, ist er auch fähig und willens, eine Beziehung zu jemandem oder etwas herzustellen.

So benutzten Männer schon seit jeher die Schwäche der Frauen, die zugleich auch ihre Stärke ist, nämlich, etwas in sich hinein zunehmen auf  körperlicher wie auch auf emotionaler Ebene, um diese zu missbrauchen für ihr Macht- und Dominanzstreben. Sexuelle Ausbeutung erlebt heute eine neue Blüte und als Kriegswaffe waren Vergewaltigung und sexuelle Foltermethoden schon immer ein wirksames und sehr beliebtes Mittel. Erst in der heutigen Zeit erleben diese perfiden unmenschlichen Spielchen durch die Einbeziehung von Kindern, für die in früheren Zeiten noch ein absolutes Tabu galt, eine neue Variante.
Über die Unterdrückung und Ausbeutung von Natur und Mensch durch die männliche Art zu denken könnte man noch Seiten füllen.

Dieses Denken kann aber erst dann eine unbegrenzte Zerstörungskraft entfalten, wenn das entsprechende Gegengewicht fehlt. Das männliche und weibliche Denken haben sich einander angenähert. Manche gehen gar soweit, zu behaupten, Männer und Frauen würden erst durch die Erziehung im weitesten Sinne dazu gemacht – und wurden eines besseren belehrt.

Frauen haben vergessen, wer sie eigentlich sind und damit auch vergessen, welche Stärken und einzigartigen Fähigkeiten sie haben. Vergessen und nicht mehr wissen, also Bewusstlosigkeit, entbindet aber nicht von Verantwortung, die man für alles Lebendige hat, weil man ein Teil von es ist.

Ihre Tochter, Frau Rosemarie F., entbindet sie von jeder Verantwortung für das, was mit ihr geschah, weil Sie es nicht wussten. Sie wussten nicht, aber Sie hätten wissen können. Wenn Sie Ihren Ahnungen, Ihrer Intuition und Ihrem gesunden Menschenverstand gefolgt wären. Wenn Sie Verantwortung übernommen hätten für Ihr eigenes Leben und das Ihrer Tochter. Aber vielleicht wollten Sie nur zu gern glauben, was Sie in Wirklichkeit nicht glaubten, gern gehorsam sein, weil dann ein anderer die Führung Ihres Lebens übernahm und eigenes Denken im Kein erstickte.
Diese masochistische, unterwürfige Haltung, wie wir auch schon in der Geschichte erlebt haben, führt meistens in die Katastrophe.

Vielleicht befinden Sie sich jetzt noch in einem Zustand des Schocks, ungefähr wie Menschen nach einem Erdbeben, bei dem sich Abgründe auftaten, aber, Frau Rosemarie F., im Grunde haben Sie doch die ganzen Jahre gewusst, dass etwas nicht stimmte, dass etwas auf fatale Weise ganz falsch war. Diesem Gefühl hätten Sie nachgehen müssen –als Frau und Mutter.


Anmerkung von Momo:

Jedes Ding unter dem Himmel hat
seine Zeit,
es gibt eine Zeit der Liebe und der Fürsorge
und eine Zeit der Verwahrlosung
und des Mißbrauchs
es gibt eine Zeit der Blendung
und eine Zeit der Wahrheit.

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Kommentare zu diesem Text


 Elén (05.05.08)
Ich will ehrlich sein, und, vielleicht bin ich sogar schockierter darüber, dass mich diese Geschichte in keinster Weise schockiert, als über der Tatsache als solches. Es gibt so viele Menschen die das unvorstellbare Leid erfahren. - Ich habe einen Freund, der ist Kurde und er hat den Krieg gesehen, ich habe einen Freund, der ist Rumäne und er hat die Armut gesehen, ich habe einen Freund, der ist Albaner und, er hat das Grauen gesehen. Ich habe viel erfahren über diese Länder, über diese Menschen, über die Kultur der Tragödie. Der Mensch erträgt sehr viel und allzuviele Menschen sehen das große Entsetzen mit eigenen Augen, nur, - über sie schreibt niemand.

lg

 Momo meinte dazu am 05.05.08:
Liebe Elén,
es geht bei "dieser Geschichte" auch nicht nur über die vielen Tragödien und Grausamkeiten, die es überall auf der Welt gibt. Wir brauchen keine Hölle erfinden, wir leben in ihr. Es geht hier um die Spannung, den Konflikt zwischen Mann und Frau, zwischen dem männlichen Prinzip und dem weiblichen, der -immer noch- auf allen Ebenen mehr oder weniger subtil ausgetragen wird und der oft tiefe Wunden reißt.
Ich habe hier meine Gedanken dazu formuliert, weil mir "diese Geschichte" wie ein überzeichnetes Lehrstück vorkommt: ein patriarchaler chauvinistischer Familienvater, der "es doch nur gut meint" mit seiner Tochter und der sich, um sie vor den schrecklichen Männern und der Welt da draußen zu schützen, sich lieber selber ihrer annimmt. Überall in der Welt geben Männer vor, ihre Frauen zu lieben und sperren sie ein hinter Schleiern und dogmatischen Traditionen, um über sie verfügen zu können. Das ist für mich der Hintergrund.

Liebe Grüße
Momo

 Elén antwortete darauf am 05.05.08:
a) Ich persönlich lebe in keiner Hölle. Ich lebe in einem Land, das überquillt vor Luxus, ich habe hier mehr, als ich zum Leben brauche. Und, da Du Internet besitzt und, da du gut schreiben kannst, daher ne gute Schulbildung genossen hast, durchaus ein kritisch denkender Mensch bist, auf deinem Foto normalgewichtig und nicht unterernährt wirkst usw., wage ich zu behaupten, das trifft auch auf dich zu. -

b) wenn du das Spannungsverhältnis zwischen Mann und Frau auseinandersetzen möchtest, weshalbt lehnst du deine Themen an den Fall F. an? -

c) Meine Meinung zum Mann-Frau-Gefälle: eine Gleichberechtigung wird es nicht geben, solange unsere ethische Gesellschaft so dermassen im Arsch ist. Da kann man noch hundert Jahre über Rollenbilder diskutieren..

d) nochmal meine Meinung: für meinen Geschmack bedienst du mir zuviele Clichées und, ach, diese ewigen Generalisierungen und zusammengeflickten Fetzen, die man da man dort aufschnappt und was halbes draus macht ..

e) nix für ungut.

liebe grüsse, E.
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