Auszeit

Alltagsgedicht zum Thema Aufwachen

von  Isaban

Wie zarte Taggespenster
schwebt Weißweißweiß auf klarem Blau
vom frischen Blattgrün tropft der Tau
dort draußen vor dem Fenster

streut Nachbars Kirschbaum rosa Schnee
als persiflierte er den Frost
am Gartentor leckt lüstern Rost
davor gähnt müde die Allee

der Dreibeinhund kippt klaglos um
auf seiner Morgenrunde
zu dieser frühen Stunde

bleibt selbst das Amselpärchen stumm
ist Vorstadt ein Aquarium.
Ich mag das wohl im Grunde.

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Kommentare zu diesem Text


 AndreasG (10.05.08)
Hallo Isaban.

Das Gedicht gefällt mir sehr gut. Klang und Meldoie harmonieren mit der (für mich) eindringlichen Atmosphäre; wobei ich zugeben muss, dass besonders das Aquarienlicht sehr ausdrucksstark ist. Diese Stimmung kenne ich nämlich, diese fast künstlich anmutende Stille in einem grün angehauchten Ganzen, die gesamte Wahrnehmung gedämpft ... wobei ich diesen Vergleich am ehesten dann bemühe, wenn noch die Feuchtigkeit nach einem Gewitter dazu kommt.
Trotzdem stolpere ich ein wenig über diese Zeile. Ausgerechnet über die Zeile, die dieses Bild enthält: "... wirkt Vorstadt wie Aquarium ..." holpert nach meinem Sprachempfinden.

Liebe Grüße,
Andreas

 Isaban meinte dazu am 10.05.08:
Hallo Andreas,
hey, ich freu mich sehr über deinen Kommentar!
Wo holpert den der Aquariumvers nach deinem Empfinden?
Ich würde ihn so betonen:

wirkt Vorstadt wie Aqurium
x Xx X xXxX

Liebe Grüße,
Sabine

 AndreasG antwortete darauf am 13.05.08:
Du hast es ja mit Bonobo ausdiskutiert und eine Lösung ist für mich nicht in Sicht. Melodisch ist es gut ... nur das automatische Verstehen des Inhalts lässt mich stutzen, denn im gewohnten Sprachgebrauch sind die Artikel eingebrannt.
Lyrik darf das natürlich, klar. Doch bei dem ansonsten sehr fließenden und intuitiven Verständnis holpert so eine Zeile etwas. Das kann gewollt, wortspielerisch, interessant oder fesselnd sein ... manchmal sogar eine Kernzeile, die man sich besonders gut merkt. In diesem Fall stört es mich allerdings (vielleicht wegen dem "Wie"? - Als Bild mag ich es ja ... "die Vorstadt ein/als Aquarium").
Wie gesagt: es ist vielleicht nur eine unterschiedliche Wahrnehmung.

Liebe Grüße,
Andreas
astromant (62)
(10.05.08)
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 Isaban schrieb daraufhin am 10.05.08:
Dir wünsche ich ebenfalls ein wunderschönes langes Wochenende, möglichst mit strahlendem Sonnenschein und blauem Himmel, lieber Bernd.
Viele Grüße,
Sabine
Bonobo (38)
(10.05.08)
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 Isaban äußerte darauf am 10.05.08:
Hallo Andreas,
hab vielen Dank für deine ausführliche Rückmeldung.
Wie würdest du Aquarium betonen?

Ich weiß, was du meinst, wenn du deine grammatikalischen Zweifel anführst. An besagten Stellen habe ich einmal etwas Neues ausprobiert. Anscheinend erschließt es sich nicht ganz so leicht, wie ich gehofft hatte.

Ich habe in diesem Gedicht bewusst auf Satzzeichen verzichtet, weil ich das Gleitenlassen des Blickes darstellen wollte, diesen sinnenden Blick aus dem Fenster, früh am Morgen, wenn man sein Reich noch ganz für sich allein hat, wenn alles ringsherum still ist, so still, dass man seine Gedanken schweifen lassen kann, von Gegenstand zu Gegenstand, von einem Gedanken auf den nächsten, von Hölzken auf Stöcksken.

Hier habe ich dieses Gedankengleiten auch durch die gleitende Übernahme der letzten Verse einer Strophe zum nächsten betrachteten Gegenstand (und somit zur nächsten Strophe) angedeutet/dargestellt. Wie hier die Interpunktion aussähe ist variabel. Möglich ist sowohl die Zuordnung des letzten Verses zur Vorstrophe, als auch zur nächsten.

Wie zarte Taggespenster
schwebt Weißweißweiß auf klarem Blau,
vom frischen Blattgrün tropft der Tau,
dort draußen vor dem Fenster.
(Ebenso möglich: Punkt hinter "Tau" und neuer Satzanfang in V4, Weiterführung dieses Satzes in V5.)

streut Nachbars Kirschbaum rosa Schnee,
als persiflierte er den Frost.
Am Gartentor leckt lüstern Rost,
davor gähnt müde die Allee.

Der Dreibeinhund kippt klaglos um,
auf seiner Morgenrunde,
zu dieser frühen Stunde.
(Ebenso möglich: Punkt hinter "Morgenrunde" und neuer Satzanfang in V11, Weiterführung des Satzes in V12.)

bleibt selbst das Amselpärchen stumm,
wirkt Vorstadt wie Aquarium –
Ich mag das wohl im Grunde.




Liebe Grüße,
Sabine
Bonobo (38) ergänzte dazu am 11.05.08:
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 Isaban meinte dazu am 11.05.08:
Warum muss denn dort ein Artikel hin, lieber Andreas?

Wenn nur ein vergleichender Eindruck beschrieben wird, also nicht der Gegenstand selber gemeint ist, weder ein ganz bestimmtes Aquarium noch konkret irgendein Glaskasten, nur ein bestimmtes Bild abgerufen werden soll, eine Wahrnehmung, ein Gefühl, die Assoziation, dann bedarf es meiner Meinung nach nicht zwingend eines Artikels vor dem zum Vergleich herangezogenen Nomen.

Nehmen wir mal zum Beispiel die Konstruktion

... schmecken Küsse wie Honig

Da würde auch jeder Artikel, ob nun bestimmt oder unbestimmt, stören.
Ebenfalls bei diesem Beispiel:

... wirkt ihr Duft wie Parfüm

oder mal ganz kitschig und schon hundertmal gelesen:

... brennt Leidenschaft wie Feuer



Hier ist es meiner Meinung nach ebenso.
wirkt Vorstadt wie Aquarium

Liebe Grüße,
Sabine
(Antwort korrigiert am 11.05.2008)
Bonobo (38) meinte dazu am 11.05.08:
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 Isaban meinte dazu am 11.05.08:
Hier werden beide Nomen wie Abstrakta angewendet, Andreas und zwar aus den oben geschilderten Gründen.

Wie ist das mit dem Honig-Beispiel oben oder mit etwas (Lächeln, Augenstrahlen, Regentropfen z.B.), das wie Schmuck wirkt? Nicht wie ein bestimmter Schmuck, auch nicht wie "der Schmuck", nein, einfach nur Schmuck, ein Eindruck, nichts, das man am Finger tragen oder verkaufen könnte, etwas Abstraktes also.
Hier wird nur innerhalb eines Vergleichs ein beschreibender allgemeiner Eindruck wiedergegeben, wodurch die entsprechenden Nomen meines Erachtens nach wie Abstrakta behandelt werden können.
Nicht "diese oder jene Vorstadt", sondern "Vorstadt" als Verallgemeinerung, wie z.B. "man" anstelle der Aufzählung bestimmter Personen oder Personenkreise - und nicht "das Aquarium" sondern die abstrakte, mit diesem Begriff verbundene Assoziation eines künstlichen, bunten, durch jemanden zu einem bestimmten Zweck geschaffenen, eingeschränkten Lebensraumes.

Edit: Nicht dass hier ein falscher Eindruck entsteht, lieber Andreas, ich finde diese textbezogenen Diskussionen sehr interessant und spannend, ganz gleich, ob sich unsere Meinungen jetzt irgendwann einander annähern oder nicht.

Regrüßle,
Sabine
(Antwort korrigiert am 11.05.2008)
Bonobo (38) meinte dazu am 11.05.08:
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 Isaban meinte dazu am 11.05.08:
Hm. Menschliche Vorstellungen, Zustände, Eigenschaften , Verhältnisse und Beziehungen, Maßbegriffe ...

- Aquarium als Synonym für Kunstwelt/künstlich erschaffene Welt, Vorstadt als Zustand oder Synonym für mäßiges Stadtleben (hihi, Maßbegriff) - also mit etwas Phantasie und gutem Willen kann ich beide Begriffe fast überall einbauen.
Nennen wir meine abstrakten Gedankengänge dichterische Freiheit.

Ich wünsch dir noch ein phantastisches Restpfingsten, lieber Andreas.
Gut gelaunte Grüße,
Sabine

 Didi.Costaire (10.05.08)
Tja, liebe Sabine,

wie genial du das wieder hinbekommen hast... alles ist so friedlich und still an diesem Morgen, etwas melancholisch, aber nicht traurig.

Dann schweifen die Gedanken ab... plötzlich taucht ein rothaariger, schwuler Junkie im Garten auf... kurz darauf ein Typ mit Wahnsinns-MoLa, der keinen passenden Gegenpart findet... aber, wie gesagt, die Gedanken schweifen ab... und am Ende löst sich alles in einem wohligen Schweigen auf.

Ich mag das wohl im Grunde.

Liebe Grüße
Dirk

 Isaban meinte dazu am 10.05.08:
Ich werde von nun an Nachbars rieselnden japanischen Kirschbaum mit ganz anderen Augen betrachten, Dirk.
(Hehe, als rosa Blütendealer gefällt er mir fast noch besser. )
Und der Typ mit der MoLa...
Doch, doch, durchaus höchst interessante Interpretation, deine Gedankenschweiferei - und so entspannend, gen Ende der Vorstellung.
Herzlichen Dank für deine wirklich gedankenanregende Rückmeldung und diese ganz neuen Sichtweisen.

Liebe Grüße,
Sabine

 AZU20 (10.05.08)
Ich nehme mir eine Auszeit, kommentiere das stimmungsvolle Gedicht nicht, sondern wünsche nur frohe, sonnige Pfingsten

 Isaban meinte dazu am 11.05.08:
Dir auch ein wunderschönes Feiertagswochenende, lieber Armin.
Ist das Wetter nicht herrlich?
Liebe Grüße,
Sabine

 Ingmar (11.05.08)
liebe sabine

die letzte strophe und die erste sind mir die liebsten. die sind meines erachtens einfach perfekt.

mühe hab ich ein wenig mit der zweiten strophe, mit dem rosa schnee: der tut den zarten, weißweißweißen taggespenstern nicht eben gut, da 'verschmieren' für mich ein wenig die farben. und das 'persiflieren' finde ich einen hübschen gedanken, der aber in diesem gedicht, find ich, wenig zu suchen hat: das ist mir um einiges zu intellektuell in diesem stimmungsvollen kontext.

eine veränderung wird aber wohl nicht drin liegen, schätz ich, zumal die reime da nicht unbedingt grossen spielraum lassen... so gesehen, denk ich, sind die von mir monierten stellen wohl dem reim geschuldet, ja?!

na ja, für eine empfehlung reichts allemal, ha!

ingmar

 Isaban meinte dazu am 11.05.08:
Nö, lieber Ingmar,
da ist nichts dem Reim , sondern alles meiner Stimmung und dem Blick aus dem Fenster geschuldet. Die Bilder zeigen genau das, was sie ausdrücken sollten. Zur Zeit herrschen hier Farben, die stark an Pleasentville erinnern, an bunte Comic-Zeichnungen oder an eine künstliche Aquarienwelt.
Die große, alte japanische Kirsche meines Nachbarn beschneit die gesamte Auffahrt und die halbe Straße, es gibt sogar überall kleine rosarote Blütenschneewehen am Straßenrand, ganz genau so, als würde da einer für einen Kitschfilm Winter spielen, der Himmel ist so blau, dass jeder Heimatfilmer neidisch werden würde, und das Grün ringsum so grün, dass es fast in den Augen weh tut. Nichts wirkt echt - und verdammt, es ist wunderschön so, wenn auch hart an der Kitschgrenze. Man wartet beinahe auf die dramatische Filmmusik, die den weißen Hai oder sonst eine Bedrohung ankündigt. Und genau das wollte ich einfangen. Diesen stillen Augenblick am Morgen, bevor die ersten Protagonisten den Schauplatz betreten, diesen unwirklichen Augenblick, wenn die Welt, kurz nach dem Aufwachen, noch frühlingsmärchenbunt und kaum zu glauben mir allein gehört und die Luft so gut schmeckt, dass man genau weiß, dass diese "Filmsequenz" nicht lange so phantastisch friedlich und schön bleiben wird und dass an der nächsten Ecke oder im toten Blickwinkel vermutlich schon wieder still und (un)heimlich Drama, Tragödie oder Horror lauern.

Liebe Grüße,
Sabine
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