ruhende Zeit

Kurzprosa zum Thema Leben

von  Sylvia

Am Montag ist es soweit. Meine Tochter fährt für vierzehn Tage nach Spanien.
Ich nehme mir die Zeit, um mit ihr einzukaufen. Junge Damen brauchen wichtige Dinge des täglichen Gebrauchs, das ihr auswärtiges Überleben sichert. Deswegen erklärt sie mir sehr glaubwürdig, mindestens drei Paar Schuhe, sieben T-Shirts und drei Hosen zu benötigen. Ihre vier Monate alten Klamotten seien ja nun vollends alt und abgenutzt. Zur Krönung: auch noch unmodern. Genauso verhält es sich mit den vorhandenen Jacken.

Diese Logik erschreckt mich etwas. Was heißt erschreckt, muss ich mich eventuell schämen? Hastig schaue ich an mir herunter. Die Jeans, die in den letzten drei Jahren zum Vertrauten mutierte, sieht verwaschen aus. Bin ich out? Unmodern? Alt? Wo ist die Zeit nur geblieben? Dabei bin ich stolz darauf, eine passende Hose über die Jahre zu tragen. Da meine Gehirnzellen sich ausgiebig mit dem Thema beschäftigen, kaufe ich ihr mehr Kleidungsstücke als nötig. Insgeheim ärgern mich die hohen Kosten, die mein Budget erheblich schmälern, doch ich genieße die Zeit mit ihr. Erledigt sind somit auch meine Unmodern-Alt-Fragen. Naja, was tut Mutter nicht alles für ein strahlendes Mädchengesicht, beruhige ich mich.

Innerlich frohlocke ich, bald vierzehn Tage für mich zu haben. Das ist Urlaub der besonderen Art. Die Zeit kann ich in Ruhe für mich verplanen und einteilen, ohne Rücksicht zu nehmen.
Gedanklich stimme ich mich auf Wellness, gemütliche Spaziergänge, abendliche Ausgänge mit Freunden, dahinlümmelndes Sofabesetzen und Lesen ein. Herrlich! Endlich Zeit und Ruhe für mich. Keine lästigen Probleme, die mein Nachwuchs täglich aufwirft. Keine zickenden Streitereien, die meine Nerven unnötig belasten. Kein ständiges Telefon- und Türgeläut. Das anstrengende Kochen und Einkaufen fällt ebenso weg, wie das Sorgen und Hetzen.

Montagmorgen, 7 Uhr. Mist! Wir haben verpennt. Oh, herrjemine, das ist jetzt nicht wahr. Aufgeregt wecke ich sie.
»Los! Aufstehen, mein Stern. In einer halben Stunde fährt dein Bus ohne dich.«
Verschlafen, verträumt und unglaublich niedlich wirft sie mir einen verständnislosen Blick zu und reibt sich die Augen. Meine Lütte, seufzt mein Herz.
Auf einmal hellwach, hüpft sie aus dem Bett. Das Verschlafene weicht einem Meckerredefluss. Sie muss noch dies und das und jenes und alles. Bei ihrem chaotischen Verhalten springt eine Hektik auf mich über, die meine Beine eiliger in die Küche laufen lassen, um Frühstück auf den Tisch zu bekommen. Ungewaschen, ungekämmt und gesichtsgestresst hetze ich ins Auto. Mein Kind sieht übrigens, wie frisch aus einer Modezeitschrift entsprungen aus.

Gerade noch rechtzeitig erreichen wir den Busbahnhof. Für ausgiebiges Verabschieden fehlt die Zeit. Flüchtig küsst sie mich, drückt sich kurz an meinen Oberkörper und hinterlässt ein paar Worte.
»Mama, genieße die Zeit ohne mich. Ich hab dich lieb. Tschau.«
Der Bus fährt los. Lächelnd winke ich ihr hinterher.

Weg ist sie, einfach weg.
Mir wird kalt, ich schlinge die Arme um meine Mitte. Der Wind sorgt für Tränen in den Augen. Langsam fahr ich nach Hause.

Zeit! Zeit für mich! Zeit für mich?
Wo ist der Unterschied zwischen Ruhe und Zeit?
Was mach ich jetzt?
Jetzt habe ich Zeit, nur keine Ruhe!

Ich lege mich aufs Sofa, mir ist immer noch kalt.
Der Wind hört nicht auf, mir in die Augen zu wehen.

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Kommentare zu diesem Text

Grufti.Ente (28)
(20.05.08)
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 Sylvia meinte dazu am 21.05.08:
Hallo Jan, plötzlich sehr bewußt mit sich selbst umgehen zu müssen ist manchmal eine Hürde. Hab vielen Dank und einen schönen Abend, die Sylvia

 MrDurden (21.05.08)
Der Schluss gefällt mir am besten, macht nachdenklich... Naja, nichts für ungut, aber ich schätze der überwiegende Teil der Menschen die sich fragen ob sie auch "in" genug sind, setzt sich aus Eltern zusammen Das einzige worauf es ankommt ist, seinen eigenen Stil zu finden und ihm treu zu sein... finde ich zumindest. Echt guter Text finde ich, schön wenn Eltern und Kinder ein so gutes Verhältnis zueinander haben. Lieben Gruß und einen schönen Feiertag wünscht David!

 Sylvia antwortete darauf am 21.05.08:
Hallo David. Ich schätze mal, du hast es erfasst. Gerade mit Kindern vergehen die Jahre wie im Flug. Und manchmal fragt man sich, wo ist die Zeit nur hin? Danke dir und hab einen schönen Abend, die Sylvia
JowennaHolunder (59)
(23.05.08)
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 Sylvia schrieb daraufhin am 24.05.08:
Hallo Wally, na, dann wünsche ich dir wöchentliche Rummelarien...das soll auch wach machen...lieben Gruß Sylvia
Googlehupf (55)
(30.05.08)
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 Sylvia äußerte darauf am 30.05.08:
Vielen Dank, Herr Googlehupf, es freut mich natürlich, wenn das Geschriebene auch erreicht...Zeit und Ruhe sind natürlich wie Tag und Nacht...und manchmal berühren sie sich kurz...lä...hab einen schönen Tag, Sylvia
Symphonie (73)
(30.05.08)
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 Sylvia ergänzte dazu am 30.05.08:
Danke Ela, "erschreckt " ist ein netter Ausdruck für die Erkenntnis, das Eltern immerhin auch noch eigene Menschen sind, die im besten Falle auch ihre eigenen Interessen wahren...bzw. wahren sollten. Dir einen schönen Tag, Sylvia

 Sonnenaufgang (04.06.08)
liebe sylvia,
dieses gefühl ist mir bekannt. man ist einerseits froh zeit zu haben, doch dann, wenn das kind weg ist, ist es doch irgendwie ein seltsames gefühl. so eine art von leere, und darüber ist man dann verwundert.
nett geschrieben, diese geschichte.
lieben gruß von feli

 Sylvia meinte dazu am 05.06.08:
Hallo Feli..hab vielen Dank für dein Lob..ich denke, alle Eltern können diese Gefühle nachvollziehen...hab du einen schönen Tag, lieben Gruß Sylvia
yodafan (47)
(09.09.09)
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 Sylvia meinte dazu am 09.09.09:
Huhu Rolf

Ich freu mich sehr darüber, dass du meinen Schreibstil lobst...manchmal bin ich unsicher...es soll ja möglichst leicht zu lesen sein...deswegen hilft mir dein Kom sehr

Danke
LG Sylvia
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