Bushaltestellengespräch

Kurzgeschichte zum Thema Kommunikation/ Dialog

von  Skala

Ich kenne weder ihren Namen noch weiß ich wo sie herkam. Ich weiß nur noch, dass sie an dem Tag, an dem ich sie traf, fürchterlich nach einer Mischung aus nasser Katze und Kölnischwasser roch!
Normalerweise war ich um diese Uhrzeit längst zu Hause und brütete über Vokabeln und quadratischen Gleichungen bis mir die Zahlen und Formen aus den Ohren quollen, ich aufgab und ich frustriert die Bücher zuschlug. Leider war heute nicht normalerweise. Heute war heute und ich war dummerweise gestern erwischt worden, wie ich die Wand der Schultoilette mit roten Filzstift-Blümchen verzierte. Was das hieß war klar. Antanzen beim Direx, eine fünfzehnminütige Moralpredigt über mich ergehen lassen und zum krönenden Abschluss noch mit der reizenden Aufgabe betraut werden, unter der kritischen Anleitung unseres schweigsamen Hausmeisters mein und alle anderen Kunstwerke an der Klowand zu überstreichen. Also saß ich jetzt, um zwanzig vor fünf nachmittags allein auf der schiefen Bank an der Bushaltestelle und ärgerte mich über den Bus, der erst in zwanzig Minuten kommen würde.
Als sie sich neben mich setzte, war ich zuerst versucht, von ihr abzurücken, doch ich dachte bei mir, dass ich wahrscheinlich nicht viel besser röche, nachdem ich zwei Stunden in einer Schultoilette verbracht hatte.
Ich hatte auf den Boden gestarrt, die Kopfhörer meines MP3-Players in den Ohren und die Musik bis zum Anschlag aufgedreht. Mir doch egal, wenn ich in zwanzig Jahren taub war! Jetzt drehte ich vorsichtig den Kopf um zu sehen, wer dieses müffelnde Wesen neben mir war.
Erschrocken wandte ich mich wieder ab. Neben mir saß eine alte Dame, kaum größer als ich, aber mit so unheimlich klaren Augen, mit denen sie mich unverwandt anstarrte.
Ich hasse es, wenn mich jemand anstarrt!
„…leme ’nd?“, hörte ich etwas durch das Hämmern des Drummers. Verwirrt zog ich einen Kopfhörer aus dem Ohr.
„Bitte?“
„Ob du Probleme hast, Kind!“
Ich rümpfte die Nase. Seit der sechsten Klasse hatte niemand mehr gewagt, mich Kind zu nennen. Und überhaupt, wie kam diese Alte dazu, mich einfach so anzuquatschen?
„Geht so“, nuschelte ich.
„M-hm“, machte die Alte und nickte freundlich. „Wann kommt denn dein Bus?“
Ich verkniff mir, die Augen zu verdrehen. „Fünf.“
„Ah ja…“ Die Alte starrte mich unverwandt an. Irgendwie hatte ich das Gefühl, jetzt auch etwas sagen zu müssen.
„Äh… wann kommt Ihrer?“
Keine Antwort. Nervös drehte ich den Ohrstöpsel meines MP3-Players in den Händen. Ihn jetzt wieder ins Ohr zu stecken, erschien mir unhöflich, aber nur so neben dieser Alten auf der Bank zu sitzen kam mir auch dumm vor. Gerade, als ich die Hand hob, um mich wieder meiner Musik zu widmen, fragte meine Nachbarin:
„Magst du Katzen?“
„Nur die großen, gestreiften im Zoo“, erwiderte ich etwas zu heftig. Die Alte lächelte mich immer noch an. „Ich habe welche“, sagte sie.
„Was, Tiger?“
„Katzen. Tuffi, Molli, Käthe, Peter, Susi und Ted.“ Sie sah mich durchdringend an. „Die haben Probleme, Kind, und die reden auch darüber.“
Jetzt machte sie mich gegen meinen Willen neugierig. „Die reden darüber? Wie reden denn bitteschön Katzen?“
Wieder keine Antwort. Klar. Wahrscheinlich wusste die Alte selbst nicht, wovon sie redete. Verstohlen musterte ich die Frau. Sie trug einen langen, grünen Mantel mit bunten Flicken an den unmöglichsten Stellen, der für dieses Wetter eindeutig zu warm war. Die Taschen beulten sich in alle Richtungen aus und am Kragen klemmte eine große, goldene Brosche in Form irgendeines Blattes. Unter ihrem grauen Filzhut, den sie mit einem Gummiband unter ihrem Kinn festhielt, wallten graue Locken hervor. Die Haut in ihrem stetig lächelnden Gesicht und an ihrem Hals war faltig und hatte eine Farbe wie Seidenpapier. Ihre Augen waren jetzt geschlossen und sie schunkelte leicht hin und her.
Gut. Sollte sie. Solange sie nicht wieder etwas von sprechenden Katzen erzählte und mich in Ruhe Musik hören ließ!
Akku leer. Auch das noch. Stöhnend begann ich in den Tiefen meiner Hosentasche nach einer neuen Batterie zu suchen. Ich legte sie ein und wollte den MP3-Player einschalten, doch da hörte ich, wie die Alte sagte: „Die reden genau, wie du und ich.“
„Bitte?“
„M-hm.“ Die alte nickte und starrte mit ihren eisblauen Augen in den azurblauen Junihimmel.
„Sie meinen… Sie sitzen mit Ihren… Katzen im Wohnzimmer und unterhalten sich über das Wetter und die Tagespolitik?“
„Aber nicht doch, Kindchen“, antwortete die kauzige Alte tadelnd. „Unterhalten wir uns etwa über das Wetter oder die Tagespolitik?“
Darauf wusste ich nun wirklich nichts zu antworten. 
„Du hast keinen Liebeskummer, nicht wahr?“
Erstaunt über diese eigenartige Frage antwortete ich: „Nee. Wie kommen Sie denn jetzt darauf?“
Die Alte lächelte mich wieder an. „Wenn Susi Liebeskummer hat, jammert sie ganz furchtbar.“
Natürlich. Der Seelenzustand eines Stubentigers war ja auch prinzipiell vergleichbar mit meinem.
„Was habe ich denn noch nicht?“, fragte ich aufsässig.
Prüfend blickte die Alte mich an. „Was du hast, kann ich dir sagen. Was ausgefressen hast du und ein schlechtes Gewissen, weil du’s nicht erzählt hast.“
Ich war verblüfft. „Woher wissen Sie…?“
„Peter. Mein Lieblingskater.“ Jetzt strahlte sie wie die Sonne vom Himmel. „Wenn er wieder am Marmeladenglas war, guckt er genau wie du gerade.“
„Ich habe etwas an die Wand in der Schultoilette gemalt“, rückte ich zögernd heraus. „Musste heute den Mist wieder in Ordnung bringen, habe meiner Mam aber gesagt, ich wäre bei einer AG.“
Die Alte lächelte selbstzufrieden. „Warum hast du an die Wand gemalt? Hattest du kein Papier mehr?“
„Erstens machen das alle und zweitens kann ein bisschen Farbe unser Schulklo garantiert nicht verschandeln. Haben Sie nicht auf die Wände gemalt, als Sie jung waren?“
„Schönheit liegt im Auge des Betrachters“, erwiderte die Alte rätselhaft. Dann wurde ihr Blick wieder klar und sie beäugte meine schwarzgefärbten, geglätteten Haare. „Weißt du, Molli ist eine wunderschöne, schneeweiße Katze, die Reinlichste von allen, aber wenn die anderen im Dreck spielen, spielt sie mit.“
Ächzend griff die Alte nach einem krummen, knorrigen Stock, den ich noch gar nicht bemerkt hatte, und stemmte sich hoch. „Dein Bus kommt.“ Damit hinkte sie davon und ich stieg mit einem Kopf voll wirrer Gedanken in den Bus. Die Alte habe ich nie wiedergesehen.


Anmerkung von Skala:

Ob's für irgendwen Sinn macht, weiß ich nicht. Hat nur Spaß gemacht zu schreiben!

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Kommentare zu diesem Text

WhiteDevil (20)
(27.05.08)
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 Skala meinte dazu am 27.05.08:
Ja, das haben die Katzen auch gesagt...;-)

 Cassandra (01.12.08)
Schön geschrieben. Ich hab die Alte und ihre Katzen direkt vor mir gesehen...

LG
Cassandra

 Skala antwortete darauf am 01.12.08:
Danke danke^^. Die Alte wird - indirekt - auch noch in einem meiner nächsten Texte auftauchen... will sie jetzt durch meine Werke wandeln lassen... mal sehen, in welchem ich sie dann umbringe, damit sie aufhört, zu nerven^^!
(Antwort korrigiert am 01.12.2008)
unicum (58)
(18.01.10)
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 Skala schrieb daraufhin am 19.01.10:
Nee, so schnell wollte ich sie auch nicht umbringen, aber ich kann sie ja schlecht 150 Jahre alt werden lassen... irgendwann muss sie auch mal das Zeitliche segnen^^
Liebe Grüße, Ranky.
BBA (45)
(19.04.11)
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 Skala äußerte darauf am 19.04.11:
Müsste aber trotzdem dringend mal überarbeitet werden, stelle ich fest...
*grins*
Danke dir!
LG Ranky.
rumpelsophie (49)
(26.01.12)
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 Skala ergänzte dazu am 26.01.12:
Und ein sehr hübscher Kommentar! Dankefein und einen schönen Abend wünsche ich dir noch!
LG Ranky.
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