Des Königs neue (alte) Kleider

Kurzprosa zum Thema Weltanschauung

von  Momo

Man stelle sich einmal vor, der König wäre nackt. Der König, von dem wir immer angenommen hatten, dass er prunkvolle Kleider trägt, prachtvoll ausgestattet mit Goldknöpfen und allerlei Tand, wäre nackt und es würde sich herausstellen, dass wir uns geirrt haben. Dass wir uns alle selber an der Nase herumgeführt haben und der König gar keine Kleider hat.

Da würde er dann in unserer Mitte stehen, all unserer schönen Illusionen und Annahmen und Theorien und Philosophien beraubt und er wäre nackt bis auf die Knochen. Das wäre nicht mehr komisch! Ich glaube, die Leute würden nicht darüber lachen, sondern sich betroffen abwenden und sich fragen, wie es passieren konnte, dass sie an ihrem König immer prunkvolle Kleider gesehen hatten, obwohl gar keine da waren. Und sie würden sich selbst betrachten und hoffen, dass jedenfalls sie noch ihre Kleider trugen – und würden dann entsetzt feststellen, dass auch sie nackt waren.

Dann würde ein großes Geschrei und Gezeter losgehen oder vielleicht würden die Leute auch endlich einmal still sein, weil ihnen nun das Lachen vergangen ist. Sie würden endlich einmal verharren, in sich gehen und sich fragen, wie sie in all der Zeit etwas sehen konnten, was gar nicht da war. Und wenn sie sich von diesem Schock erholt hätten, würden sie sich vielleicht überlegen, auf welchem Wege sie sich nun neue Kleider beschaffen könnten.

Den König würden sie darüber wohl vergessen, weil sie genug mit sich selbst beschäftigt wären. Aber der König brauchte dann auch keine neuen Kleider mehr.

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