Safehouse

Erzählung zum Thema Rache

von  Mutter

Auf der Straße mache ich mir die Mühe, ihn wieder runterzulassen und mir seinen Arm um die Schulter zu legen. Ich packe ihn mit der rechten Hand um die Hüfte und schleppe ihn weiter. Ist anstrengender und dauert länger als würde ich ihn tragen, aber ein Kerl der seinen versoffenen Kumpel nach Hause schleppt kommt schon mal vor in Kreuzberg.
Eine halbe Leiche auf der Schulter zu haben zwar auch, aber deutlich seltener. Das Aufsehen würde ich gerne vermeiden.
Nach ein paar Minuten halt ich kurz an, löse meinen festen Griff um sein Handgelenk und fische mein Handy aus der Tasche. Wähle Collies Nummer.
Nach einem kurzen Gespräch hangeln wir uns an der Bahn entlang, Richtung Post.
Biegen rechts ein, ich schleppe ihn in einen Hauseingang. Klingele bei dem Namen, den Collie mir gegeben hat.
Ein Summer ertönt schwach und ich muss zweimal drücken, bis die widerspenstige Tür nachgibt.
Neben der Treppe, die in den ersten Stock führt, öffnet sich rechts eine Tür und fahles Licht fällt auf den schmutzigen Fliesenboden.
‚Erster Stock rechts, bei Suderstedt’, sagt die Alte und drückt mir einen Wohnungsschlüssel in die Hand.
Ich  spüre ihren Blick auf meinem Rücken, als ich uns beide die Treppe hoch wuchte. Wenigstens nicht vierter Stock. Danke, Collie.

Völlig erschossen lasse ich den Filius auf das uralte Sofa sinken. Die ganze Wohnung ist – absolut Oma. Riecht nach alten Menschen. Collie übernimmt manchmal Wohnungen, wo die Leute sterben, ohne direkte Verwandte, räumt den Krempel raus und checkt, ob was Wertvolles dabei ist. Und manchmal behält er die Wohnung für eine Weile. Um Leute wie mich da unterzubringen, kurzfristig. Meistens Ost-Europäer, Albaner, Serben. Die eine Unterkunft brauchen, um nach ein paar Tagen wieder spurlos zu verschwinden. Die wohnen dann bei Suderstedt.
Junior stöhnt.
Ich gehe zu ihm, nehme eins der großen Kissen weg, damit er mehr Platz hat. Das Kissen ist aus demselben roten Samt wie das Sofa, mit goldenen Troddeln an der Seite. Ich schmeiße es in einen dazu passenden Sessel.

Die nächste halbe Stunde verbringe ich mit Telefonieren. Ich rede mit Leuten, die was wissen oder Dinge herausfinden können.
Zunächst erfahre ich, dass der Junior auch Dougherty heißt. Ist der Neffe zweiten Grades von Mister Dougherty. Drecksack Dougherty.
Niemand hat echte Beweise. Zweifelt trotzdem keiner daran, dass Junior für den Tod der Mädchen verantwortlich ist. Er ist krank, hatte vor Jahren schon mal Anzeigen wegen Körperverletzung und Misshandlung laufen. Die Mädchen hatten schon länger mit ihm zu tun, eine hat er schon mal ins Krankenhaus gebracht.
Ich verfluche die Türken. Warum sind die nicht schon früher auf seine Spur gekommen? Vielleicht würden die beiden Mädchen dann noch leben. Und ich hätte nicht diesen verschissenen Job am Arsch.
Fuck.
Ich gehe zum Sofa und betrachte den Scheiß-Junkie. Der Mund steht halb offen, ein kleiner Speichelfaden entkommt in den Samt.
Mein Blick fällt auf das große Sofakissen. Ein kleiner Griff nur und etwas Druck. Er würde hinterher noch genauso aussehen wie vorher.
Und ich wäre den Pisser los. Könnte Mister Dougherty anrufen, damit er jemanden zum Aufräumen schickt. Ich wäre raus – keiner kann mir einen Strick draus drehen, wenn der Wichser oh-deed.
So läuft das leider nicht. Nicht mit mir. Scheiß geas.
Ich rotze auf den Boden, schlage in das Kissen. Ein Schlag, der eigentlich für das kranke Schwein ist. Könnte ihm eine verpassen, würde keiner merken. Aber ich traue mich nicht. Weiß nicht, ob ich dann wieder aufhören kann.
Und wenn seine Fresse danach aussieht wie acht Pfund Gehacktes, habe ich eventuell Schwierigkeiten, Mister Dougherty zu erklären, dass ich damit rein gar nichts zu tun habe.

Ich gehe in die Küche, telefonieren.
Das Gespräch dauert nicht lange. Dann warte ich.
Kurz darauf klopft es. Ich öffne Mister Dougherty, Jordan Kid und zwei Gorillas die Tür auf.
Kid würdigt mich keines Blickes, aber Mister Dougherty klopft mir im Vorbeigehen auf die Schulter. ‚Nice work, sonny. Well done.’
Ich nicke.
Halte ihnen die Tür auf, während die Schläger Junior in den Flur schaffen. Mister Dougherty schüttelt mir die Hand, Kid übergibt mir den Umschlag mit meinem Geld. Cobra, übernehmen Sie! Doughertys Jungs kümmern sich jetzt um die kleine Ratte – passen auf, dass die Türken ihn nicht auseinander nehmen. Ich bin damit raus - die Nummer wird zu groß für reines Baby-Sitting.
Die Arbeit von fünf Tagen an einem getan. Schafft auch nicht jeder.
Ich sehe ihnen nach, wie sie sich durchs Treppenhaus abmühen, schließe dann die Tür.
Erlaube mir, kurz durchzuatmen.
Was für ein verfickter Tag.
Mister Dougherty wird Junior jetzt so lange irgendwo aufbewahren, bis er ihn wegschaffen kann. Über den Kanal vielleicht. In Berlin wird er sicher nicht bleiben.
Junior wird wieder zu sich kommen, sich an wenig erinnern und nach seiner nächsten Pfeife verlangen.

Zwei von den Daltons schauen alarmiert hoch, als ich den Parkplatz hinter dem Vereinshaus betrete. Sie stehen an den offenen Türen vom Dreier, dem sie neue Reifen verpasst haben. Warten auf Passagiere.
Der eine Bruder hat ein weißes Pflaster auf der Nase, der andere trägt den linken Arm in einer Schlinge. Jetzt kann ich sie gut auseinander halten. Ich lächele ihnen zu.
Aus der grünen Stahltür treten der Hamburger und die anderen beiden Daltons. Der eine hat ein blaues Auge, der letzte ist unverletzt. Noch nicht markiert.
Die beiden wollen sich sofort vor den Hageren stellen, aber der stoppt sie. Glaubt nicht, dass ich alle fünf hier auf dem Parkplatz platt machen will.
Er kommt langsam auf mich zu, beobachtet mich mit zusammen gezogenen Brauen. Die vier Dicken folgen ihm im Halbkreis.
‚Was willst du Arschloch hier?’, will er wissen. Inzwischen kenne ich seinen Namen. Collie hat ihn für mich herausgefunden. Er heißt Turgay, sagt er. Bei dem Telefonat musste ich lachen. Soll bloß aufpassen, dass ihm das ‚T’ nicht irgendwann abhanden kommt. ‚You’re gay!’ Bist du schwul, Alta, oda was?
Lag ich ja so falsch nicht.

Ich antworte nicht sofort, will aber das Spiel nicht zu lange spielen.
Hebe die Hand. Dort befindet sich ein kleiner weißer Zettel zwischen dem ausgestreckten Zeige- und Indexfinger.
Bereits während Turgay ihm ein Zeichen gibt, setzt sich der Kerl mit dem Nasenpflaster in Bewegung. Er kommt näher, greift nach dem Zettel. Ich mache keine Bewegung, nicht mal, um ihm den Job zu erleichtern.
Er schnappt sich das Papier und geht halb rückwärts gewandt zurück zu seinem Boss. Will mich nicht aus den Augen lassen.
Nachdem Turgay den Zettel aufgefaltet hat, sieht er mich an.
‚Was ist das?’ fragt er.
Ich antworte nicht. Er weiß genau, was das ist.
‚Warum gibst Du uns das?’
Ich antworte immer noch nicht.
Er nickt. Auf sein Zeichen hin stapeln sich die vier Dicken in den Dreier, der dabei sichtlich in die Knie geht. Hoffentlich hat der Wagen gute Stoßdämpfer. Turgay gleitet auf den Beifahrersitz und die Karre fängt an, im Niederfrequenzbereich zu vibrieren, als das Nasenpflaster den Motor anlässt.
Im Vorbeifahren wirft mir Turgay noch einen Blick aus dem Seitenfenster zu. Ich nehme an, er denkt, wir sind noch nicht fertig. Hat irgendwo ein großes Buch des Grolls, in das er meinen Namen mit Tigerblut geschrieben hat. Ist mir egal. Ich steh’ schon in so vielen Büchern – da kommt’s auf eins mehr nicht an.

Ich gebe dem Dreier eine Viertelstunde Vorsprung. So dass sie fast bei Junior und seinen Babysittern sind. Dann wähle ich Mister Doughertys Nummer. Erzähle, dass ihnen die Türken auf der Spur sind. Irgendwer hat denen gesteckt, wo sich Junior aufhält. Wünsche ihm viel Glück. 
Als ich das Handy zuklappe und vom Parkplatz gehe, seufze ich kurz. Ich hoffe, dass Mister Dougherty nicht im Safehouse ist, wenn die Türken da aufschlagen. Würde vorher gerne noch herausfinden, ob er mein Mister Right ist. Ob er Goth-Girl beerdigt hat. Und wenn ja, würde ich mich gerne persönlich um ihn kümmern.
Junior werde ich vermutlich in der Hölle wieder sehen.


Anmerkung von Mutter:

Teil V von V.

Nu' iss erstmal gut. Hab's ja verstanden ... :D

*edit: Vielen, lieben Dank, herzensgute AK ...
Puh, mir gehen die Dankes-Texte aus. :D

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Kommentare zu diesem Text

Steinwolke (65)
(08.01.09)
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 Mutter meinte dazu am 09.01.09:
Klingt ein bisschen wie ein Danaer-Kommentar ... :D
Steinwolke (65) antwortete darauf am 09.01.09:
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 Mutter schrieb daraufhin am 09.01.09:
Erinnerst Dich wohl nicht mehr an Dein Asterix, eh? ;)
Genau darum geht's ja ...
Steinwolke (65) äußerte darauf am 09.01.09:
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sonnengrau (26)
(09.01.09)
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 Mutter ergänzte dazu am 14.01.09:
Danke schön, sehr schön - ja, geht auf jeden Fall weiter - der Dougherty iss da noch nicht raus ... :)
kontext (32)
(14.01.09)
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 Mutter meinte dazu am 14.01.09:
Ich sag' dem Corker, er soll Dich anrufen, wenn er losgeht - falls der Drecksack Dougherty es wirklich war. :D

Danke, Grauzonen sind gut ...

Und zu 'Freebase': Ja, das 'sein' hat sich da wohl verlaufen. Wird umgehend geändert ...
kontext (32) meinte dazu am 14.01.09:
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 RainerMScholz (14.01.09)
Was heißt hier "nu' iss erstmal gut"? Das geht aber gar nicht.
Grüße,
R.

 Mutter meinte dazu am 14.01.09:
Ja, habe auch schon von anderer Stelle auf den Deckel bekommen ... :)

Lässt der Corker wahrscheinlich auch gar nicht zu, dass ich da den Sack zu mache. Der boxt sich raus, nehme ich an ... :D
Leyla (29)
(16.04.09)
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 Mutter meinte dazu am 17.04.09:
:D
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