Frühwerk: Eine Liebe

Kurzgeschichte zum Thema Liebe und Sehnsucht

von  Ephemere

Als er mich das erste Mal ansah, hatte ich das Gefühl, die Welt bliebe stehen. Er war so anders als all jene Männer, die mich betrachteten, lächelten und weitergingen. Seine Augen waren warm, schauten direkt in mich hinein. Und als er fortging, war mir, als nähme er mich mit.

Als ich sie das erste Mal sah, war ich fasziniert, konnte nicht weichen, nicht ablassen, ihre Schönheit zu betrachten. Das ebenmäßige, bleiche Gesicht, die dunklen, tiefen Augen, der entrückte Ausdruck in ihren Zügen. Was hatte sie, was mich so berührte und mich zwang, innezuhalten auf meinem Weg? Wie der sehnsüchtige Blick einer alten Geliebten kam es mir vor, als ich ging.

Dann kam er wieder und wieder zurück an den Platz, an dem ich wartete. Ich hatte ja keine Bestimmung, keine Beschäftigung, außer zu warten. Auf die lebhaften Blicke. Die grübelnde Stirn. Wer bist Du, der mich so anschaut? Bist Du gekommen, mich zu erlösen?

Ich wusste nicht, warum und es war absurd, doch zog es mich stets zurück zu ihr. Ich musste sie sehen, betrachten, bestaunen. Verstohlen, offen, suchend. Etwas tief in mir, in meinem Unterbewussten, streckte sich aus nach ihr, hatte etwas zu fassen bekommen. Etwas ganz und gar Ungewöhnliches. Unnatürliches. Unerhörtes. Wer war sie, die mich so fesselte, die mich bekommen machte in unsinnigem Sehnen? Ich musste sie enträtseln und so stahl ich mich weiter zu ihr. Zeig mir Dein Geheimnis, Schöne, sag mir, was Du herausschreist, während Du hier in Stille verharrst.

Nimm mich mit, Fremder. Trage mich davon wie ein Blatt im Wind. Zu lange verblieb ich hier, verdammt zum Blühen und doch welkend. Ich rufe nach Dir – hörst Du mich nicht? Ich vermag nicht, mich zu äußern, das steht mir nicht zu. Doch spüre die Sehnsucht, die Du in mir weckst. Spüre meinen Atem, mein spärliches, gerahmtes Leben. Nimm mich mit, Fremder!

Was willst Du mir sagen? Du berührst mich und kannst es nicht können! Jahrhunderte halten Dich fest. Doch oh wie Du blickst! Fast das Du Dich rührtest. Bringen Gedanken die Geister zum Leben? Ich bin klaren Kopfes, also was macht mich fiebern? Was ist so besonders am Ort, an Dir?

Hörst Du sie nicht, meine Schreie, die Zeichen? Komm, sie mich an, einen Wink geb ich Dir: Schau in meine Augen, ich schlag mit den Lidern. Das ist schon viel mehr, als der Fluch mir erlaubt.

Wahn ist es! Mir war, als säh’ ich sie blinzeln. Sie blinzelte sichtbar, doch kann sie es nicht. Ich kehre nie wieder, fliehe, vergesse. Sie kann mich nicht sehen: Sie ist nur ein Bild.


Anmerkung von Ephemere:

Soweit ich weiß die erste "ernsthafte" Kurzgeschichte, die ich als halbwegs Erwschsener geschrieben habe. Von 2000/1.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram