salome

Erzählung zum Thema Verzeihen

von  Zeder


eine tablette vor dem frühstück für den tag, salome. dabei auf der bettkante sitzen und auf die uhr starren und wenn es zeit ist zu gehen, dann geht man einfach. man blickt nicht zurück.


[II]
ich kenne jemanden, der immer von ferne erzählt, sagt: dunkle menschen und helles licht und nicht wie hier, eigentlich sogar ganz anders, sagt: der wind weht die röcke hoch, nachts fröstelt man manchmal, am tag saugt man sich mit schatten voll und senkt den kopf vor der sonne.
und wirklich: ich schaue mir filme an, schaue mir bilder an, träume nachts davon, manchmal am tage. immer barfuß laufen, immer laufen. nirgends sein.
ich wache nachts auf, weil der sturm am hausdach rüttelt. er hat arme wie geister, hat viel mehr kraft als ich, hat viel mehr raum für sich. mein raum endet an den fußspitzen, beginnt an der kopfhaut, oder andersrum, mehr zählt nicht zu mir, ich halte die arme so nah wie möglich am herzen, damit nichts verloren geht.
am morgen ist der sturm verzogen, tatsächlich kommt ein strahl sonne raus. ich trete aus dem haus und sauge mich mit schatten voll, ich senke den kopf. mein lächeln bleibt im bauch...
man muss illusionen zerstören, aber sich selbst...?
schon wieder abend. ich gehe den weg zurück, meine fußabdrücke verblassen hinter mir, aber ich weiß auch so, dass ich hier schon gewesen bin. besser die augen schließen.
die tür fällt ins schloss und dahinter ist stille. ich streife durch die wohnung und öffne die fenster, löcher in weißen wänden, sage: wind. und der wind zieht in den süden und nimmt alle vögel mit.
nachts dann unwetter: klopft es da an der balkontür? ich schlafe kurz ein und träume von weißen männern mit leeren augenhöhlen, wache auf, schreie: esther, wache auf.
abbruch.
wer sagt, dass er seine träume nicht deuten kann, belügt sich selbst.


[III]
salome wacht im schlaf über ihre vorfahren.
sie redet auf der arbeit mit den menschen, sagt "guten tag", hält dann den kopf schief, ordnet ihr gegenüber ein und denkt: könnte das einer... und darauf antwortet nicht mehr, als ein: vielleicht.
an der bushaltestelle pult sie einen aufkleber ab, zerreist ihn in stücke und weiß nicht wohin damit, sie verbrennt das häufchen heimlich auf dem gehweg und vergräbt die asche im schlamm, wäscht sich zu hause stundenlang die hände rau, den mund, die augen bis es brennt. meditiert dann von sonne und licht. denkt: da hätte ich sein sollen, nicht hier.
um zwölf ein glas wasser und eine tablette fürs schlafen gehen, salome. dann träumt man nicht schwer. 


[IV]
kurz vorm traum (endlich schlafen), schnell heraus gerissen um dies zu diktieren: wir wissen garnicht, was wir alles haben, wir haben alles, weil wir nicht mehr kennen! und wir hätten kaum etwas, nur nichtigkeiten, wenn wir alles kennen würden, also lasst uns ersteres denken und lasst uns das, was wir kennen unter den menschen verteilen! sonst kippt die erde irgendwann - es gibt menschen wie bäume, und wenn die bäume weg sind, werden auch die menschen weg sein, also lasst uns etwas retten, wenn nicht uns, dann etwas um uns herum - esther, entschuldige meine schimmligen reden, entschuldige all meine phrasen, ich sprach nie aus liebe und ich liebe erst jetzt, da du fort bist.


[exit permit]
ein gedenktag. denkt denn jemand daran, fragt salome, als sie in der s-bahn nach hause fährt. (sie fragt die dinge, die überdauert haben: bäume (und sie weiß, dass es die bäume nicht berührte).)
sie fährt den selben weg wie immer, kauft lilien an der ecke vor ihrer straße, kürzt sie zu hause alle auf die selbe länge, stellt sie in einer vase ab und denkt: und wo war dieses wasser?
sie sucht im radio nach nachrichten, wartet, lackiert sich die fingernägel dabei, wartet, bis sie trocken sind, kämmt sich ihr haar aus, cremt ihre beine ein und putzt sich die zähne. um zwanzig vor zwölf zieht sie ein schwarzes kleid über und steckt sich die dunklen haare fest, legt sich dann vorsichtig ins bett und zieht die decke bis an die brust, eine hand streift die kleinen falten glatt, um zwölf stellt sie das radio aus.
mit einem glas wasser spült sie die restlichen tabletten aus dem röhrchen herunter. ein letztes mal: und wo war dieses...? (und wo war ich? (und wird wohl jemand meiner gedenken?).)
abbruch.

nachts wieder unwetter, ein blitz schlägt in die buche vor salomes wohnung. der stamm bricht, die krone neigt sich zum haus und knickt gänzlich ein, die wand ist rissig, bricht durch, der boden rieselt, das glas zerbricht. auf der straße rast ein auto in ein anderes. die lichter im umkreis springen nacheinander an.



ich wache auf. schreie: esther, der baum ist tot! wache auf.
draußen wieder sonne. klopft es da an der balkontür? ich kannte jemanden, der nur von fremde erzählte, bis er starb.

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Kommentare zu diesem Text

ungesagt (34)
(29.01.09)
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 Zeder meinte dazu am 29.01.09:
mh, das mit der intensität: zum teil gewollt, weil in dem part eher die handlung dominieren soll, als die unterdrückten gefühle (wobei die ja die handlung auslösen. naja. auf jeden fall passiert endlich mal was.)
ich werds aber später nochmal durchgucken und alles. gerade ists noch so frisch.
ich danke dir sehr, lina. auch so allgemein. aber nicht hauen.
conejo (31)
(29.01.09)
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 Zeder antwortete darauf am 29.01.09:
also, mit dem "wir" war ich anfangs auch unsicher. aber ich glaub, das geht schon so. es ist halt die plötzliche euphorie, deshalb hat sie sich auch nochmal aus dem schlaf gerissen. mh.. was genau empfindest du denn als gepresst? er soll schon abgehackt klingen, weil sich die gedanken überschlagen...
nochmal: danke! und ich freu mich. :)
(Antwort korrigiert am 29.01.2009)
conejo (31) schrieb daraufhin am 29.01.09:
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Samjessa (28)
(29.01.09)
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 Zeder äußerte darauf am 29.01.09:
oh, vielen dank sami. freue mich über dein lesen und mögen und über deine worte, auch bezüglich des photos, weil ich das auch ein wenig so empfinde. :)

 Jorge (29.01.09)
Tolle Bilder, tolle Sätze:
Die zedersche Kuschelhaltung (Avatar) verglichen mit dem Wind; sich mit Schatten vollsaugen; Fußabdrücke verblassen hinter mir; ich liebe erst jetzt, da du fort bist...
All das sind Steinchen einen schönen Literaturkette.
Sehr gern gelesen und empfohlen.
paulinewilhelm (35)
(29.01.09)
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 Zeder ergänzte dazu am 29.01.09:
ja! :)
thammü (22)
(02.02.09)
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 Zeder meinte dazu am 03.02.09:
danke dir, thammü. ich freu mich.

und mörderjuwelenvorschlaghammersätze ist ein mörderjuwelenvorschlaghammerwort.
Sojafisch (18)
(04.02.09)
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 Zeder meinte dazu am 04.02.09:
hallo =) danke für den kommentar! und du triffst ziemlich genau den kern, den auch ich nicht greifen kann.
ein erklärungsversuch, es wird wahrscheinlich auch nicht nur dir so gehen:
es sind geschehnisse, die nebeneinanderlaufen... was davon traum ist? es gibt wohl verschiedene deutungen. man könnte salome insgesamt als traum der ich-erzählerin auffassen. oder die beiden protagonistinnen als bekannte/freunde betrachten. die verbindungen zwischen ihnen sind, wie du auch erkannt hast, einfach die verbindung von wörtern - und die sehnsucht, die sie beide fühlen. salome stirbt an ihrer sehnsucht nach einem anderen leben, ihrer sehnsucht danach sich und anderen zu verzeihen. und die andere, deren name unbekannt bleibt, wird durch den tod salomes aufgerüttelt. sie sehnt sich nach esther. esther ist, wie salome auch, hebräischen ursprungs und bedeutet "stern" - ist von mir bewusst gewählt, ebenfalls um die sehnsucht der ich-erzählerin auszudrücken. von solchen verbindungen ist der text also durchzogen. für mich ist der höhepunkt salomes tod. sie bringt sich mit ihren tabletten um, wäre aber in der selben nacht auch durch den blitzschlag in den baum gestorben. das shcmeckt irgendwie nach schicksal, aber sie hätte auch ihr leben genießen können, statt immer nur schuld auszusprechen und in vergangenheit zu leben, sie hätte verzeihen können, sie wäre wohl trotzdem in dieser nacht gestorben. und es ist ja auch ein stück religion dahinter. und gesellschaftskritik, aber ich habe nun schon so viel gedeutet. also: das ganze drum herum soll eigentlich auf salomes tod vorbereiten. und die ich-erzählerin ist die, die daraus lernt, ob es nun geträumt ist, oder nicht, also nicht immer nur an ferne denken: sondern entweder in die ferne gehen oder nicht, aber dann im jetzt leben. ich konnte das alles nur nicht so gut zusammen führen.
ich weiß nicht, ob dir das nun geholfen hat, dem text näher zu kommen, oder dich eher noch mehr verwirrt hat. ;) wahrscheinlich kann man dem kern einfahc nicht nahe kommen, aber du darfst ihn natürlich trotzdem gern noch ganz oft lesen ;)
(ich komme mir seltsam vor meine eigenen texte so auseinander zu nehmen )
liebste grüße und danke für die mühe und hoffentlich mal bis bald!!!
theresa
(Antwort korrigiert am 04.02.2009)
(Antwort korrigiert am 04.02.2009)
Sojafisch (18) meinte dazu am 04.02.09:
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 Zeder meinte dazu am 04.02.09:
jetzt natürlich: danke für die empfehlung! =) dann hats ja wirklich was gebracht ;)
nöö war schon in ordnung. ich verzeih dir, dass du mich zu sowas gebracht hast. hihi.
Sojafisch (18) meinte dazu am 05.02.09:
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leeaim (23)
(27.02.09)
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 Bergmann (03.11.09)
Beachtlich!
Uli
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