Manche Sachen passieren, weil es sein muss

Erzählung

von  Secretgardener

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Laurance geht jeden Tag in die Bibliothek. Sie liest die Bücher dort, als Einzige. Jeder kennt sie, sie kennt niemanden. Sie redet kaum, vermeidet es so gut es geht. Aus ihren Augen spricht genug. Laurance will sich nicht mit jemandem anfreunden.
An den Wochenenden kümmert sie sich um Mira, die Katze von Frau Sommer. Frau Sommer ist bereits 79 Jahre alt und lebt allein. So allein wie man lebt, wenn man nur seine Katze hat. Die Familie von Laurance weiß nichts von Frau Sommer. Sie war ihr Leben lang Fahrkartenverkäuferin gewesen. Man hatte sie durch einen Automaten ersetzt. An diesem Tage lief ihr Mira – die da natürlich noch nicht Mira hieß – zu. Sie glaubt nicht an Schicksal, oder Zufall. „Manche Sachen passieren, weil es sein muss“. Frau Sommer fühlt sich alt, der Besuch kostet Kraft, aber sie weiß, daß er ihr gut tut. Deshalb auch nur das Wochenende, das passt beiden gut. Und auch Mira freut sich. Das würde sie natürlich nie direkt zeigen, aber alle wissen es.
Frau Sommer bekommt nicht mehr alles mit. Sie freut sich, wenn sie beide miteinander sieht. Sie macht sich Gedanken dazu; gibt dem Bild einen Untertitel. Wie es gewesen wäre, hätte sie eine Tochter gehabt. Sie hätte viel gegeben.
Laurance und Frau Sommer reden miteinander. Es ist Frau Sommer peinlich, daß sie so schlecht hört und so oft nachfragen muss. Das hemmt Laurance, die dort Laura genannt wird, manchmal etwas, aber sie ist froh, daß sie jemanden zum Reden hat.
„Ich mag keine Menschen, die immer fröhlich sind, ich traue ihnen nicht. Ich vertraue alten Menschen, die traurig sind, und streng. Denen man es ansieht, wie es ihnen geht“ schrieb sie auf einen Zettel und legte ihn unter das Kopfkissen von Frau Sommer.
Wenn Laurance zu Frau Sommer geht, sagt sie zuhause, sie gehe „nur raus“. Und irgendwie stimmt das auch. Bei Frau Sommer zieht sie sich freier an; sie ist freier. Beide kleben an der Existenz des anderen, und Mira ist ihr Kleber. Sie räumt auf in der Wohnung von Frau Sommer, und organisiert so gut sie es kann. Meist geht es um Arztbesuche oder Geld.
Im Kalender von Frau Sommer steht für diesen Samstag „Laura“. Ganz groß und fett geschrieben. Es ist der einzige Name im Kalender. Den Namen schrieb Laurance selbst rein, Frau Sommer bestand darauf. Sie kaufte heute einen kleinen Kuchen für Laura, und Kerzen zum Auspusten. Die muss sie aber selbst anzünden. Frau Sommers Finger sind kaputt. Sie konnte die Kerzen nicht aus- und ihr Geschenk nicht einpacken. Ihr Lieblingsbuch.
Ein Buch über soviel und doch so wenig. Frau Sommer schrieb für Laura ihren Namen in das Buch, auf die Schmutzseite. Die Schrift ist krakelig und kaum zu lesen, aber Laura muss weinen. (Hier kann sie weinen.)
Sie weiß, was es bedeutet.
„Herzlichen Glückwunsch zum 10. Geburtstag, meine Laura“ sagt Frau Sommer. „Ich werde heute 9“ denkt sich Laura und ihre Augen lachen Frau Sommer an. Sie pustet die Kerzen aus und ihr Oberteil rutscht ein Stück nach oben. Frau Sommer sieht die blauen Flecken nicht.
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Anmerkung von Secretgardener:

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Irgendwie zu kurz.
Ich mag die drei.

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Kommentare zu diesem Text

Elvarryn (36)
(11.06.09)
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 Secretgardener meinte dazu am 11.06.09:
Für die "Handlung" kam mir zuerst die Idee der Bibliothek, da sollte sich eigentlich auch das meiste abspielen; Frau Sommer kam später. Deswegen der Einstieg, weiter hinten gefällt mir die Geschichte auch besser.
Aber es geht eben nicht um die Geschichte, sondern um die 3 und ihre spezielle Beziehung. Am Ende sind auch ein paar Sachen drin, die man nicht gleich sieht, und ich mag die Bilder. Besonders, wie Frau Sommer ihren Namen in das Buch schreibt, das hat viel Kraft finde ich.
Die Bühne ist die Wohnung von Frau Sommer.
Naja, soweit wird es wohl nicht kommen, daß die Leute von "einem Secretgardener" reden. ;) "Ausgebrannt" würde in so vieler Hinsicht nicht passen, aber das klemm´ ich mir jetzt. ^^
Elvarryn (36) antwortete darauf am 11.06.09:
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 Secretgardener schrieb daraufhin am 11.06.09:
Dialoge benutze ich sehr wenig. Ich kann sie ganz gut, aber ich habe es lieber, wenn wenig geredet wird, und dann jedes Wort Gewicht hat. Meist aber finde ich sie unpassend (Dialoge, nicht Worte ^^). Einer meiner Lieplingssätze ist der unspektakuläre "Das ist es?".
Dialoge ziehen sehr hinein, das muss man abwägen; hier soll man mehr von außen zuschauen... Und ich mag das Vorstellen von Leuten, die Geschichte ist da für mich nicht immer so wichtig...
Zum Kompliment, ich beherzige da mal die Wirtschaftsregel (eine von denen, die nicht in Büchern stehen) "Akzeptiere ein Ja als Antwort!". ;) Danke.

 Unbegabt (11.06.09)
Ich mag es, gerade wegen der fehlenden Dialoge, man kann sie sich selbst denken, viel wird der Fantasie und der Stimmung des Lesers überlassen, nur der letzte Satz drückt sie in eine gewisse Richtung was das erleichert es zu deuten. Ein bisschen.
Ja, also. Ich finde es großartig.
Wieder einmal; toll. :)
Besonders die Stelle mit den aneinander geklebten Existenzen; mir stiegen Tränen in die Augen.

Knuddel,
Nele

 Secretgardener äußerte darauf am 11.06.09:
Hej,
danke für das Kompliment und die Empfehlung.
Ich mag die Freiräume, die dieser Erzählstil lässt.
Ja, der letzte Satz verändert die sicht auf ein paar Sachen; lässt Zeichen erkennen.
Puh, danke mit dem Existenzen-Satz - da war ich mir nicht ganz sicher, ob das Bild gut umgesetzt ist.
Freut mich wirklich, wenn mein Text Dich so bewegt.

Re-Knuddel,
A..
Hardrock-Joe (27) ergänzte dazu am 04.02.10:
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 Secretgardener meinte dazu am 04.02.10:
Hej,
danke für Deinen Kommentar, hab´ mich sehr gefreut.
Ja, das ist auch mit das Schönes bei französischen Filmen, da bekommen wir dummen Zuschauer nicht alles gesagt, man muss mitdenken und sich selbst was zurecht spinnen; Freiheit eben. Bei "Das Mädchen, das die Seiten umblättert", als das Mädchen und die Mutter im Labyrinth nebeneinander stehen und sich ihre Hände berühren...

Viele Grüße, Du.
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