Ruhetag

Satire zum Thema Zeitgeist

von  JoBo72

Heute ist Ruhetag bei der Tour de France. Zeit für Regeneration, auch für den Fernsehzuschauer, der nach zwei Wochen Frankreichrundfahrt – je nach Temperament – von Männerwaden oder von Luftaufnahmen bretonischer Klöster träumt, die „lange vor der ersten Tour erbaut wurden“ (ARD). Außerdem sind sie „ziemlich groß“ (Eurosport).

Ruhetag. Zeit, sich wieder Dingen zu widmen, die während eines Sportsommers an die Peripherie der Lebenswelt gedrängt werden: dem Abwasch, dem Auffüllen des Getränkelagers und dem, was sonst noch wichtig ist in der Welt. Der Blick fällt auch mal wieder in den Politikteil der Tageszeitung. Da ist in den letzten Tagen viel vom Klimawandel die Rede und von den ambitionierten Zielen der Großen, für die man die Kleinen erst noch gewinnen muss, wobei das Problem zu sein scheint, dass die Kleinen mittlerweile nicht mehr klein und die Großen nicht mehr groß sind. Denn folgt man der nächsten Nummer auf dem Stapel der angestaubten und wegen der langwierigen Flachetappen noch ungelesenen Mitteilungsblätter wird jeder dritte Mensch in ein paar Jahrzehnten entweder Chinese oder Inder sein. Und die werden dann nicht Fahrrad fahren. Soviel steht fest. Um vor diesem Hintergrund die ambitionierten Ziele in Sachen CO2-Reduktion zu erreichen, muss man sich schon was einfallen lassen.

Je länger dieser Ruhetag dauert, desto mehr reift in mir die Idee, endlich mal umzusetzen, was Generationen von Tour-Kommentatoren den Radsportlern beim Schlussanstieg am Col de soundso begeistert attestierten: eine Energieleistung vollbracht zu haben. Überschlagsrechnung: Wenn die 180 Fahrer 3 Wochen jeweils 5 Stunden am Tag mit durchschnittlich 200 Watt unterwegs sind, dann macht das insgesamt 3,6 Megawatt Leistung. Energie für den 3tägigen Dauerbetrieb von 1000 Schreibtischleuchten. Und da ist Jan Ullrich noch nicht dabei.

Also, Vorschlag: Die nächste Tour findet auf Ergometern statt. Wer den meisten Strom erzeugt und am wenigsten ausatmet, gewinnt das grüne Trikot. Die Fernsehanstalten können ja trotzdem berichten, irgendwelche alten Geschichten aufwärmen, ab und zu Puls, Blutdruck und Krankenversicherungsnummer der Fahrer einblenden. Was sie eben so tun. Nicht zu vergessen: Gesprächsthema „CO2-Bilanz“. Zwischendurch Luftaufnahmen bretonischer Klöster. „Lange vor dem Klimawandel gebaut.“ ZDF. „Ziemlich groß.“ Eurosport. Es gäbe nur Gewinner. Die Tour wäre über jeden Zweifel erhaben, Ullrich rehabilitiert. Ich bekäme für meine Idee den Nobelpreis für irgendwas und dürfte mit Al Gore vegetarisch essen gehen.

Der Solar-Wecker klingelt. 8 Uhr 15. Heute ist Ruhetag. Verdammt.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (20.07.09)
Und wer bekommt das gelbe Trikot?

Die Senderzitate gefallen mir gut.

 Dieter_Rotmund (22.07.09)
Okay, da es Jobo nicht für nötig hält, springe ich mal für die Leser in die Bresche: Das grüne Trikot ist für den Fahrer mit den meisten Sprintpunkten, das war wohl von DJ Jobo nicht so intendiert, vermute ich, sondern das gelbe Trikot des Gesamtbesten. (Es gibt noch gepunktetes und ein weißes Trikot, aber das interessiert in der derzeitigen deutschen Profi-Radsportabstinenz niemand).

Finde aber schön, dass es noch Schreiber gibt, die Radsportvergleiche bemühen!
(Kommentar korrigiert am 22.07.2009)
Mitternachtslöwe (27)
(22.07.09)
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