Der Vorhang fällt nicht

Text zum Thema Theater

von  Erdbeerkeks

Ich mache meine Sache gut.
Echte Schauspieler versetzen sich in ihre Rolle hinein. So sehr, dass sie die Rolle leben. So sehr, dass sich Schauspieler und Rolle vermischen. Doch die Übergänge sind holprig.
Doch wenn Schauspielern mit nicht schauspielernden zusammenarbeiten, wird aus dem Liebesstück allzu schnell ein Drama. Oder vielleicht war es das von Anfang an. Ein Liebesdrama.
Ich weiß, dass ich ihn glücklich mache, den Protagonisten.
„Ich liebe dich.“, sage ich. Er seufzt und ich merke, wie sehr er es glaubt. Und glauben will, weil er es sich wünscht.
„Sag das bitte nochmal…“, haucht er, aus diesen wenigen Worten höre ich heraus, wie sehr er es will.
Und lächelnd, so real, wiederhole ich es, gehe seinem Wunsch nach.
Ich weiß, dass er seinen Text nicht abliest und auch nicht auswendig gelernt hat. Allein dafür sollte er eine Gage kriegen.
Er liebt mich, er liebt mich. Ich kann tun, was ich will, so schlecht schauspielern, das Drehbuch über den Haufen werfen und es später wieder aufheben, als sei es nie geschehen. Er liebt mich.
Er wird so schnell wie möglich bei mir sein, sagt er manchmal. Er will nur einen Kuss, mich halten. Aber das ist okay, denn Schauspieler tun das oft.
Meine zweite Liebesszene...
Und die, die geübt sind, lassen die Zuschauer nicht merken, dass sie gerade ein einziges Fantasieprodukt beobachten.
Was für ein wundervolles Stück, du warst grandios. Geh raus und verbeug dich noch einmal und lass deine größte Lüge feiern.
Aber das ist wohl der Job, schließlich werden wir bezahlt. Mit Ablenkung, Liebe, Verehrung.
Denn du denkst seltener an das, was hinter den Kulissen vor sich geht, wenn du deine Sache gut machst und deinen Lohn bekommst, wie immer.
Nur nicht das, was du willst. Aber manchmal ist das genug. Kurz. Für Momente.
Wie lang es diesmal laufen wird? Solange, wie ich es will, sagt der Regisseur, der den Stein ins Rollen gebracht hat. Aber hey, er macht doch auch nur seinen Job, wie ich auch. Er bringt den Schauspielern bei, wie sie täuschen.
Er ist der einzige, der, neben den Maskenbildnern, weiß, dass das Theaterstück nicht das wahre Leben ist.
Der, der nicht klatscht, wenn er sein eigenes Werk sieht.
Der, der sich nicht respektvoll von seinem Sitz erhebt, wenn es endet.
Er ist bloß der, der meinen schuldbewussten Blick auffängt, wenn ich, erdrückt von der Last der jubelnden Masse, auf der Bühne stehe und mich hoheitsvoll verbeuge, ohne auch nur ein Wort der Reue verloren zu haben.

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