(Kein) Katzenwetter

Persiflage zum Thema Alles und Nichts...

von  theatralisch

Ich will mich mit dem unliebsamen Herbst vertraut machen, mit ihm warm werden, sozusagen, indem ich mich vor den Spiegel stelle und mir aufmunternd zunicke: "Du packst das schon! Dein Körper ist stärker als du denkst!" Dabei ist meine Stimme nicht mal von Nikotin oder Alkohol geschwängert, weil ich weder rauche, noch trinke. Ich bin bei klarem Verstand und dann doch wieder nicht.

Die Augen, die mich aus dem Spiegel heraus anblicken, sind voller Misstrauen und Klage, als wollte ich ursprünglich sagen: "Du kannst mich mal." Schlichtweg: "Du kannst mich mal." Ohne Ausrufezeichen und entsprechendem Tonfall.

Ich wende mich resigniert vom Spiegelbild ab und blicke auf den Kater, der zusammengerollt auf meinem Bett döst. Der Kater ist ein Symbol für den Herbst. Wenn der Herbst kommt, kehrt der Kater zurück in die Wärme, wenngleich er doch im Frühling und Sommer ganze Tage und Nächte im Freien verbringt. Doch wenn der Kater sich auf dem Bett zusammenrollt und zufriedener scheint als ich es jemals war, dann kann man mit Gewissheit sagen: "Es ist Herbst."

Der Herbst mit den bunten Blättern, deren Farbton schon in Kürze in mattes Grau überwechseln wird: Viel Regenwasser, kalte Hände und Füße, verschnupfte Nasen, graue Straßen, kalte Morgen, Nachmittage und Abende, vor allem aber die kalten Nächte, in denen ich ja doch kein Auge zutun werde.

Tage, in denen ich nur hoffen kann, dass mein Immunsystem nicht kapituliert, dass ich über all die mich zermürbenden Eindrücke hinwegsehen kann. Über all den Dreck, der die Straßen überschwemmt, desgleichen die Läden und Menschen. In ihren Gesichtern steht etwas geschrieben, das ich nicht lesen will. Sie warten. Sie warten lange und auch nicht auf Godot, sondern auf Weihnachten. Auf - hört ihr! - Weihnachten! Sie warten darauf, üppige Geschenke auszutauschen und unbefangene Schneeausflüge zu unternehmen, womöglich eine Reise in die Alpen - wohin man auch fährt, wenn man Skiurlaube zu schätzen weiß. Sie stehen Schlange an der Kasse, kaufen Weihnachtsgebäck - Ja, heißt es denn so? Sie versorgen sich gegenseitig mit Geld und reichlich Essen, aber weder mit Wärme und Verständnis.

Ich sorge mich an Weihnachten oder schon dann, wenn es kälter wird, um diejenigen, die ihre Morgen, Nachmittage und Abende, aber vor allem die Nächte, draußen auf der Straße oder auf irgendeiner Parkbank (Das ist nicht veraltet, das ist immer noch up-to-date!) verbringen müssen. Menschen, die niemanden außer sich selbst haben, der sie wärmt. Man selbst ist sich immer der Nächste, aber man selbst ist sich nie genug. Auch nicht in kalten Nächten, in denen man sich Alkohol - ich tippe auf billigen Schnaps (Was auch sonst..)- einflößt, um wenigstens nicht an die Kälte erinnert zu werden. Dann trinkt man weiter, weil die Nächte kälter und die Herzen einsamer werden (Würden nicht die Herzen reichen? Oder wenn nicht die Herzen, dann zumindest die Kälte? Was davon ist nun eigentlich richtig?). Man trinkt bis zur Bewusstlosigkeit und irgendwann - sofern man aufmerksam durch die Straßen geht - entdeckt man eine erstarrte Gestalt auf dem Gehweg, die von Menschen begafft und von Sanitätern (Die, die kommen, wenn ohnehin schon alles zu spät ist!) notdürftig zugedeckt wird. Einer sagt zu dem anderen: "Give me a hand with that; geh, hilf mir mal!" Vielleicht geschieht es so, vielleicht auch anders. Ich gehöre zu denjenigen, die sich aufgrund der Kälte in ein warmes Zimmer zurückziehen können. Ohne Alkohol, aber mit großem Loch im Herzen.

Später will ich mir ausreden, dass Kälte etwas Schlechtes sein muss. Ich lächle mich an, mal wieder im Spiegel, und gebärde mit den Händen - sie wollen mir Mut zusprechen. "Versuch es doch mal mit der Stimme?", krächze ich. Ein Krächzen, das ich unmöglich der jungen Frau im Spiegel zuordnen kann. Ganz unmöglich.

Die Stimme klingt, als wäre ich entweder nicht ganz bei Sinnen oder als hätte ich sie vor vielen Jahren das letzte Mal benutzt.

Noch immer sehe ich die junge Frau im Spiegel an und sage: "Wer zum Teufel bist du?" Muss lachen, weil ich mit dieser Art von absurden Momenten noch nie zurechtgekommen bin und gebe mir eine Ohrfeige. Die Stelle, an der meine Hand die Wange gestreift hat, ist rot, denke ich, obgleich ich mir das genausogut einbilden könnte. Immerhin bin ich so weit von dem, was ich da sehe, entfernt, dass ich nicht mal den Schmerz, der eigentlich unverzüglich nach dem Knall hätte folgen sollen, verspüre.

Ich grinse wie ein Verbrecher: Nicht misstrauisch, aber überlegen; dem Gesetz und den Menschen gegenüber. Ich tauche ein in eine andere Welt und will mich noch an mir selbst festhalten, als ich den Halt verliere und den Spiegel mitsamt der fremdartigen Gestalt mitreiße. Der Kater schmiegt sich an sich selbst, friert nicht, spricht nicht und scheint zufriedener als ich es jemals war. Für einen kurzen Moment sieht es so aus, als wollte er mich warnen: Vor einer Naturkatastrophe, möglicherweise; ich gehe einen Schritt auf das orangefarbene Bündel zu und kraule es am Kinn. Es schnurrt leise und gibt mir sein Köpfchen. Dabei vergesse ich, was wirklich wichtig ist und dabei vergesse ich sogar den Herbst.


Anmerkung von theatralisch:

Nicht grotesk genug für ne Persiflage? Nicht gut genug für ne Satire? Dann ist es wohl doch was anderes.

(Haha.)

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Kommentare zu diesem Text

artemidor (58)
(14.09.09)
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 theatralisch meinte dazu am 14.09.09:
Das Loch im Herzen ist ja auch irreparabel.

LG

I.

 Bergmann (14.09.09)
Irre Parabel - ?

 theatralisch antwortete darauf am 14.09.09:
Si..si si..:-)
PerpetuumMobile (22)
(15.09.09)
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 theatralisch schrieb daraufhin am 15.09.09:
Bist cool!

PLS.
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