Aphorismen, Gedanken, Kurzgedichte (1990-2009) – Teil zehn

Aphorismus

von  JoBo72

91. Es kostet Kraft, zu tun, was man sagt.
Es verlangt Mut, zu sagen, was man denkt.
Es ist Gnade, zu denken, was wahr ist.

92. Wer das Verfügungssystem Wissenschaft zur Orientierung nutzt, kann dies ruhig tun, nur ist diese Nutzung keine wissenschaftliche. Jedenfalls ist sie nicht mehr oder weniger wissenschaftlich als die Nutzung originärer Orientierungssysteme wie eine politische Lehre oder ein religiöser Glaube.

93. Oft halten wir für wahr, was uns überzeugt, obwohl uns nur überzeugen sollte, was wahr ist.

94. Christliche und weltliche Ethik unterscheiden sich im Hinblick auf die Duldsamkeit gegenüber Handlung und Verfehlung. Gott erlaubt wenig und vergibt alles. Die Welt erlaubt viel, vergibt aber nichts.

95. Wenn vor dem Urteil ein Vorurteil stand, liegt es oft daran, dass eine Tatsache nichts zur Sache tat.

96. Manche Religionskritiker sind das glatte Gegenteil von frisch Verliebten. Diese verstehen sich, ohne viele Worte zu verlieren, jene verlieren viele Worte, ohne zu verstehen.

97. Klimawandelleugner gleichen bisweilen Menschen, die ihren Arzt beschimpfen, wenn der auf ihren erhöhten Cholesterinspiegel zu sprechen kommt.

98. Der Wert einer Gesellschaft zeigt sich darin, ob sich die Bürger im Geiste der Brüderlichkeit begegnen oder auf dem Gang der Arbeitsagentur.

99. Es gibt Leute, die halten Katholiken für dumm, weil sie ohne zu denken dem Papst nachplappern. Sich selbst halten sie indes für klug, weil sie ohne zu denken Nietzsche zitieren.

100. Die gemeinsame Quelle von Wissenschaft und Religion ist das kindliche Staunen angesichts des Seins. Für die wissenschaftliche Vernunft muss es enden, in der religiösen Vernunft bleibt es erhalten.

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