Reise. Reise

Text zum Thema Selbsthass/verletzung/mord

von  ZornDerFinsternis

Narben erzählen eine stumme Geschichte. Erzählen von einem Leben, das mit jedem Tag an Wert und Hoffnung, verliert. Von einem Menschen, der diese Welt und dieses Leben einfach nicht verstehen kann. Von Unrecht und Schmerzen. Von Liebe und Leblosigkeit. Von Tränen, die in Alkohol und Blut leise untergehen. In diesem Herzen flackert kein Hoffen mehr. Es schlägt keine Liebe mehr in dieser Brust, die sich kaum mehr hebt und senkt. In den Augen, dieses Menschen lacht keine Farbe der Freude mehr. Die Seele liegt in Trümmern, ebenso, wie Träume und Sehnsucht. Die Leere in diesem Leben, kann nichts mehr ausfüllen. Weder du. Noch ich. Weder Alkohol, noch Zigaretten. Selbsthass hat mich zerfressen. Messerschnitte, haben mich oft, für einen winzigen Moment, vergessen lassen. Der Alltag wich einer angenehmen Stille, die mich sanft in die Arme schließt. Von der ich immer wieder gehofft hatte, sie würde mich nicht loslassen. Wenn Leere und Schmerz sich mit Ausweglosigkeit verbünden und alte Bilder durch meinen Kopf jagen, greift meine Hand wie selbstverständlich zum Messer. Die Klinge glänzt so unschuldig. Nimmt die Last der Schuld und diesen endlosen Hass von mir. Tiefer. Und noch ein bisschen tiefer. Dunkelrotes Blut, das langsam meinen Körper verlässt und sich auf meinen blassen Unterarmen ausbreitet. Ein atemberaubendes Gefühl. Fast so, als sei ich doch noch am „Leben“. Wenn ich sehe, wie unbeschwert und glücklich die anderen sind, bricht für mich wieder eine Welt zusammen. Eine Welt, in der ich nicht überleben kann. Nur wenige Minuten würden mich vom Bahnhof trennen. Ein wenig mehr Entschlossenheit, und ich würde mich auf die Gleise werfen. Die Augen schließen und endlich nichts mehr hören. Nur den nahenden Zug, der mich mitnimmt und nicht mehr zurückbringt. Der mich in eine andere, bessere Welt bringt. Habe oft dort gestanden. Den Menschen zugesehen, wie sie sich vor Freude über ein Wiedersehen, glücklich in die Arme fielen. Wie sie mit Tränen in den Augen „Auf Wiedersehen“ sagten, dastanden und gewunken haben. Menschenmengen drängen sich vorbei, ziehen vorüber. Steigen ein. Fahren weg. Steigen aus – fahren weiter. Nur ich bleibe hier stehen. Bleibe in meinem Unglück und meiner Einsamkeit, allein zurück. Steige in keinen der vielen Züge, um in eine Stadt zu fahren, in der ich zuvor noch nie gewesen bin. Löse keine Fahrkarte, um ins Glück, oder die Arme eines Menschen zu fahren. Sitze da. Die Zigarette im Mund und die Schwere im Herzen. Gesichter ziehen vorbei. Hunderte. Zu viele, um sich an eines davon genau erinnern zu können. Ob sich an mich jemand erinnern würde? Was wären seine Gedanken über mich? Die Narben? Den dicken, schwabbeligen Körper? Die trostlosen, grünen Augen? Die Tattoos und Piercings? Die Uhren zeigen die Zeit. Und sie läuft haltlos, wie die ankommenden und abfahrenden Züge. Wie der Menschenstrom und die Beständigkeit. Zeigen genau an, wie lange ein Moment braucht, bis er in Bedeutungslosigkeit versinkt. Es bleibt noch viel Zeit. Viel zu viel, und doch zu wenig, um zu leben. Zu viel, um das hier ausstehen zu können. Ich stehe auf. Den Blick fest an den Boden geheftet. Werfe die Kippe aufs Gleis und gehe. Wieder einmal hält mich etwas hier, wobei ich mich frage, was es sein soll. Vernunft? Angst? Gewissen? Ersteres und Letzteres habe ich nicht. Der Himmel ist trostlos und grau. Wolken gibt es heute keine. Im Dämmern ziehe ich schwermütig nach Hause. Nach Hause… Eine 12m²-Wohnung. In der Niemand auf mich wartet. In der es keine Wärme gibt. Wo Geborgenheit nie eingezogen ist. Wo Kerzenlicht und Zigarettendunst die Oberhand haben. Wo die Wände in einem bedrückenden Weiß auf mich herab starren. Wo die Nächte schlaflos sind und Einsamkeit sich bis in die kleinste Ritze verkrochen hat. Zwei Bilderrahmen und ein Poster. Eine Grünpflanze und ein Bett. Ein mickriges, verdrecktes Fenster. Leere Schnapsflaschen und Zigarettenschachteln. Das Messer sieht mich an. Zumindest fühle ich, dass es danach verlangt, Blut zu vergießen. In mir regt sich kein Gefühl; kein Gewissen. Ich schneide. Schneide tiefer. Fester. Tiefer. Wieder einer dieser Tage, der mir die Bestätigung schenkt, dass ich ein Niemand bin, der nichts erreicht. Nichts richtig machen kann. Ein Niemand, zu dumm, seine Nichtexistenz, auszuradieren. Hoffentlich, wache ich morgen nicht wieder auf, ich kann das nicht mehr.

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (27.11.09)
Aus allen Texten spricht eine tiefe, verletzte Einsamkeit. Wo ist der Weg, der hinausführt? LG

 ZornDerFinsternis meinte dazu am 28.11.09:
Das ist eine gute Frage. Kannst du es mir sagen?

 AZU20 antwortete darauf am 28.11.09:
Der von dir geschilderte Mensch müsste bereit sein, sich professionell helfen zu lassen, denke ich. LG
(Antwort korrigiert am 28.11.2009)

 ZornDerFinsternis schrieb daraufhin am 28.11.09:
Bei aller Liebe, dieser Mensch hat Hilfe gesucht. Aber was er bekommen hat, hat nichts besser gemacht. Resignation steht immer noch ganz groß vor ihm.
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