Partytime

Erzählung zum Thema Begegnung

von  Mutter

Geschmeidig fließen wir durch den Abendverkehr in der Hauptstadt, von West nach Ost. Neben uns in ihren Wagen Party-Blondinen und Beach-Boys, getränkt in Metrosexualität, auf dem Weg, um im Hot-Spot-Universum ihren Claim für den heutigen Abend abzustecken. Wenn ich sie zu lange mustere, fange ich mir Seitenblicke ein. Nur kurz – wahrscheinlich sieht man mir an, dass ich dabei bin, mir einen ganz anderen Claim zu holen. Ansonsten unterscheidet uns nur wenig – Stout und ich sind ebenfalls unterwegs, um in eine Bombenstimmung einzutauchen. Im Ostteil der Stadt, im tristen Lichtenberg.
Als ich noch den Verdacht hatte, Drecksack Dougherty könnte für die ganzen Schweinereien verantwortlich sein, als ich noch für ihn gearbeitet hatte, hatte ich meine Hausaufgaben gemacht. Wusste, wo er wohnte, in welchen Bars er sich rumtrieb und was für dreckige Hobbies sein Spezi Jordan Kid hatte. Als Dougherty sich noch nicht in Bowman verwandelt hatte.
Die Luft in Lichtenberg schmeckt anders – sie erinnert mich an den Geruch von frischem Beton, an Rohbau. Das harte Licht der Straßenlaternen scheint schärfer, kälter als anderswo. Nicht die heimelige Gaslicht-Atmosphäre, wie sie auf feuchtem Kopfsteinpflaster zum Beispiel jenseits der Spree in Kreuzberg herrscht.
Lichtenberg passt gut zu Bowman – ein harter, erbarmungsloser Bezirk. Unglücklicherweise, für ihn, passt der Bezirk zu mir noch viel besser, denke ich mit einem wölfischen Grinsen, während Stout uns in der Limousine weiter Richtung Osten steuert.
Bowman besitzt ein großes Loft direkt an der Frankfurter Allee – das ist unser erster Anhaltspunkt, dort geht die Party los.
‚Hast du die Waffen dabei?‘, will ich mit einem Seitenblick auf meinen schweigsamen Fahrer wissen.
Er nickt. Nimmt eine große Hand vom Lenkrad, deutet auf das Handschuhfach.
Ich öffne die Klappe, spähe in dem matten Licht der winzigen Birne hinein. Mattschwarz, ölig glänzend. Zwei Eagles – mit Sechs-Zoll-Lauf, nicht so fett wie die, die mir Dale in Belfast besorgt hatte. Immer noch Monster. Mir läuft ein Schauer den Rücken hinunter. Gun-Porn.
‚Fuck‘, entfährt es mir, während ich sie herausnehme, die Zwillinge betrachte. ‚Sie sind wunderschön.‘
Ein Seitenblick auf Stout enthüllt sein breites Grinsen. Zufrieden sagt er: ‚Gefallen sie dir?‘
‚Alter, gefallen ist gar kein Ausdruck. Die beiden sind die reinste Poesie.‘
‚Der Dealer hat sie die Schwarzen Schwestern genannt. Meinte, mit denen kannst du gar nicht danebenschießen.‘
‚Mann, die sind fast zu schön, um sie auf einen Wichser wie Bowman abzufeuern. Geschweige denn, eine Assel wie Kid damit umzulegen.‘
Unbeeindruckt zuckt Stout mit den Schultern. ‚Dann prügelst du die Sau einfach tot. Kein Ding.‘
Ich lehne mich nach hinten, wo auf der Rückbank meine Tasche steht. Zippe sie auf, nehme die beiden Rückenholster heraus. Die nächsten paar Minuten bin ich damit beschäftigt, mir die Dinger umständlich umzuschnallen.
Entnervt fragt Stout: ‚Soll ich kurz rechts ranfahren?‘
‚Geht schon‘, antworte ich gepresst, während sich mein rechtes Ohr an die Tür drückt.
‚Dann nimm gefälligst deinen verfickten Ellenbogen aus meinem verfickten Gesicht, sonst landen wir beide auf der Gegenspur‘, grollt er.
‚Fertig‘, verkünde ich, und lasse mich mit einem Seufzer zurück in den Sitz fallen. Füge mit einem Seitenblick auf ihn hinzu: ‚Was ist mit dir? Hast du was dabei?‘ Ihm würde ich auch zutrauen, dass er ohne Knarre gekommen ist. Stout hat im Totprügeln durchaus einige Erfahrung.
‚Hinten im Kofferraum. Das Ding hätte nicht mal gefaltet ins Handschuhfach gepasst.‘ Er lacht und ich spüre seinen Bass im Bauch.
‚Hey Stout, wenn ich eine Braut wäre, würde ich ein Baby von dir haben wollen.‘
Das Lachen wird lauter, tiefer. ‚Corker, wenn du eine Braut wärst, würde ich dich nicht mal mit der Kneifzange anfassen.‘
‚Was hast du dabei? Was Automatisches?‘
Er schüttelt den Kopf. ‚Mossberg.‘
‚Holy Cow!‘
‚Hey, du hast gesagt, du willst die mofos diesmal richtig verarzten. Gefangene brauchen wir keine mehr, oder?‘
Nachdenklich sehe ich aus dem Fenster, spüre die Eagles im Rücken. Schüttele den Kopf. Nein, diesmal nicht. Keine Gefangenen – no quarter asked, no quarter given. Einfach nur aufs Maul und aus die Maus. Hat das Scheiß-Rumgetappe, der Eiertanz, endlich ein Ende.

Stout lenkt den Wagen in eine Parklücke, zeigt nach vorne. ‚Da vorne ist es. Ich nehme an, du willst nicht direkt vor der Tür parken.‘
Will ich nicht. Ohne mich  zu rühren, starre ich auf die geschäftige Straße draußen. Die Frankfurter Allee ist breit, so breit wie die alten preußischen Prachtstraßen, die es fast ausschließlich noch im Osten der Stadt gibt.
‚Soll ich uns Kaffee holen?‘, will Stout wissen. ‚Da vorne  gibt es einen Balzac.‘
‚Warum nicht‘, entgegne ich müde. ‚Der Abend wird noch lang genug.‘
Ein paar Minuten später ist er zurück, reicht mir einen der Pappbecher mit Plastikdeckel.
‚Worüber denkst du nach?‘, fragt er, nachdem wir beide einen langen Schluck genommen haben. ‚Sind wir zu früh?‘
‚Für die Party?‘
Er nickt, grinst.
Nach einem Augenblick und einem weiteren Mund voll Kaffee sage ich: ‚Ich weiß, wo Bowman wohnt. Aber Bowman weiß, dass ich das weiß. Werde das Gefühl nicht los, dass wir mitten in die Esse wandern, wenn wir da jetzt reinspazieren.‘
‚Wo isses? Da?‘ Er zeigt durch die Frontscheibe auf die Ecke eines Häuserblockes, in dem ganz oben große, hell erleuchtete Fenster zu sehen sind.
Ich nicke, trinke weiter. In Bowmans Appartement ist gerade Partytime, alle haben die Gute-Laune-Hüte bereits aufgesetzt - warten auf die Ehrengäste.
‚Fuck it!‘, rufe ich und hämmere mit der Faust auf das Armaturenbrett. Bin dankbar für den Plastikdeckel, der eine heiße Hose verhindert. Ich hatte mich so dicht an Bowman herangearbeitet, dass ich seine Pheromone förmlich auf der Zunge prickeln fühlen konnte, und wieder verbaut mir etwas den Weg. Wie die beschissene Offense-Line, die sich mit ihren fetten Körpern zwischen mich und den Quarterback schiebt, den ich jage.
‚Okay, wir ändern den Plan‘, sage ich entschieden, sehe Stout an.
Der zeigt sich nicht beeindruckt – nickt und legt die Hand auf den Zündschlüssel. ‚Sag mir wohin, und ich fahr‘ los. Ganz easy, Bruder.‘
‚Jordan Kid!‘
‚Die rechte Hand von Dougherty?‘
‚Bowman‘, korrigiere ich ihn, bejahe. ‚Collie hat mir mal erzählt, wo der seine Wohnung hat. Den gehen wir besuchen. Falls der ebenfalls dort oben auf der Party auf uns wartet – scheißegal. Wir verwüsten seine Bude, machen es uns bequem, irgendwann wird der Arsch schon aufkreuzen.‘
Die weißen Zähne begrüßen meinen Plan. ‚Das gefällt mir. Wir verlegen die Party – neuer Veranstaltungsort.‘ Er startet den Motor, rollt aus der Parklücke. ‚Mach eine Ansage – wo geht’s hin?‘

Jordan Kid ist nicht zu Hause. Wir haben unten einen Block weiter geparkt, sind ausgestiegen. Stout hatte aus dem Kofferraum eine verdächtig aussehende, längliche Sporttasche geholt, außerdem noch ein kleines Brecheisen. Musste ich kurz an die Bento-Brüder denken.  Wir sind zu Fuß zu Kids Wohnung - alles dunkel. In den Hof rein, bei einem Nachbarn geklingelt. Die Treppe hoch, mit dem Eisen die Tür aufgedrückt. Die alten Berliner Türen stellen in der Beziehung absolut keine Herausforderung dar – nicht mal, wenn man keinen Rammbock wie Stout dabei hat.
Die beiden Schwarzen Schwestern im Anschlag, durchsuche ich kurz die Wohnung. Stout folgt mir gemächlich, die Mossberg noch im Sack. Der glaubt nicht dran, dass Kid zu Hause ist. Hat er mir immer wieder auf dem Weg erzählt, der Depp.
Besser paranoid als tot, hatte ich bloß entgegnet.
‚Wo willst du warten?‘, grollt es hinter mir aus dem dunklen Flur, nachdem ich das letzte Zimmer der großzügigen Drei-Raum-Wohnung gechecked habe.
‚You’ll always find me in the kitchen at parties.‘
Mit einem Lächeln folgt er mir in die halbdunkle Küche, in die etwas Licht von einer Straßenlaterne draußen scheint. Links und rechts Einbauküche, am Ende, vor dem Fenster, ein kleiner Tisch mit drei Stühlen. Tischdeckchen, Spitze vor dem Fenster. Gott, was bist du für ein verschissener kleiner Spießer, Jordan Kid!
Wir hocken uns an den Tisch, starren ins Dunkle. Stout stellt ein, zwei Fragen zu Belfast, aber bald schon kommt unsere Konversation zum Erliegen. Zu sehr fühlt sich das Im-Dunkeln-Sitzen wie ein Hochstand an – auf der Jagd. Wir warten darauf, dass das Wild an die Tränke kommt.
Stout hat die Mossberg aus ihrer textilen Schutzhülle befreit, sich über die Knie gelegt. Im Zwielicht kann ich nicht viel davon erkennen, aber ich erahne die Monstrosität, die das Model 590 ist. Dagegen nehmen sich meine Eagle-Zwillinge als damenhafte Derringer aus. Der olle Protzer – besorgt mir dicke Wummen, nur um dann mit einer noch größeren Kanone aufzulaufen.
Kann mir egal sein – so lange er faustgroße Löcher in Kid und Bowman stanzt, darf er sogar Panzer fahren. Bloß kein falscher Neid.

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Kommentare zu diesem Text


 bluedotexec (03.12.09)
Da ich wie immer meinen Senf dazu geben muss, sei Dougherty hiermit als Würstchen genannt.

Das ganze erscheint mir als ein schöner corker'scher "back-to-the-roots"-Umschwung zu sein. Sieht interessant aus.

Liebe Grüße,
Patrick

 Mutter meinte dazu am 03.12.09:
Ja, wir nähern uns (endlich ;)) dem Ende ...

Danke.
Mondscheinsonate (39)
(28.01.10)
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 Mutter antwortete darauf am 28.01.10:
Sehr gut, freut mich ... :)
Danke schön.
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