Poomp Akshun!

Erzählung zum Thema Begegnung

von  Mutter

Statt zu tanken, fährt der Van tiefer in die Betonhöhle. Verwirrt sehe ich hoch, erkenne, dass die Tankstelle unten in einem riesigen Parkhaus liegt. Stout hat in zweiter Reihe gehalten, wartet auf mein Kommando.
Ich ticke gedanklich die Sekunden ab, lasse Bowman genug Zeit, um auf das erste Park-Level zu kommen. Gebe Stout herrisch ein Zeichen, er fährt los.
Wir rollen durch die geisterhafte Tanke, auf die Einfahrt zum Parkhaus zu. Ich bin überrascht, hier eine 24/7-Einrichtung zu finden, sehe erst dann die erhobene Schranke. Bowman hat dafür gesorgt, dass er hier rein kann. Ansonsten hat derart weit ab vom Schuss vermutlich niemand Interesse, spät abends oder nachts zu parken. Access all areas - sweet. Ich schieße Stout ein Grinsen rüber, aber er verpasst meinen Triumph. Ist zu sehr damit beschäftigt, den tadellosen Lack des Wagens von den näherkommenden Betonwänden abzuhalten.
‚Du weißt, dass das hier eine absolut beschissene Idee ist, oder?‘ fragt er mich mit zusammen gebissenen Zähnen, während sich der Wagen auf eine Rampe hebt, wieder senkt, als wir das erste Level erreichen.
‚Hell, yeah‘, stimme ich zu. Er hat Recht, es wäre kein Problem für Bowmans Männer, hinter einer der Ecken oder Säulen hervorzukommen, den Mercedes mit Kugeln durchlöchern.
‚Wär es dir lieber, wir würden zu Fuß hier reingehen?‘, knurre ich zurück. ‚Mach die Scheinwerfer aus‘, fahre ich ihn mit einem Seitenblick auf die Armatur an.
Er gehorcht, taucht das enge Labyrinth vor uns ins Dunkel – nur matt dringen die Leuchtstoffröhren in die zähe Schwärze ein.
Die Alternative, zu Fuß hier hoch zu kommen, wäre kein Deut besser – und die Chance, die Penner rechtzeitig zu erwischen, gering.
‚Nein. Aber deswegen muss mir die Scheiße nicht besser schmecken.‘
Level 1 ist dunkel. Keine Scheinwerfer zu sehen.
Level 2 ebenso. Ich deute ungeduldig mit dem Finger durch die Frontscheibe, treibe Stout an. Er verzieht das Gesicht, sagt nichts.
Level 3, Level 4. Nichts.
Level 5 sind Teile der Beleuchtung ausgefallen – sofort stellen sich meine Nackenhaare auf. Zu sehen ist nichts.
Level 6 – leer.
Level 7 senkt sich langsam vor unserer Frontscheibe ab, während der Wagen aus einem 45-Grad-Winkel wieder in die Waagerechte sinkt.
‚Da!‘, zische ich, steche mit dem Zeigefinger in die Luft vor uns. Stout nickt, killt sofort den Motor. Wir rollen aus, er steuert und sanft an die Seite.
Fünfzig Meter weiter vorne steht der Van. Abblendlicht, draußen ist niemand zu sehen.
‚Fahr da vorne rein‘, flüstere ich, durch die Atmosphäre gezwungen, die Stimme zu senken. Der Gedanke, uns könnte jemand hören, ist lächerlich.
‚Bist du sicher?‘, fragt Stout, zögert. Er will den Motor nicht noch mal anschmeißen – den könnte man sehr wohl hören.
Unschlüssig stehen wir einen Moment im Dunklen.
‚Warte‘, sage ich. ‚Nimm den Gang raus‘, füge ich hinzu und öffne leise die Autotür. Gleite geduckt zum Heck des Wagens, sehe mich um. Alles bleibt ruhig.
Ich lege die Hände auf den kühlen Lack, stemme mich gegen den Asphalt, um die Karre anzuschieben.
Schwarzer Schmerz lässt den Vorhang fallen, ich knalle mit den Knien auf den Beton, lehne die Stirn gegen den Kofferraum. Pulsierende, dunkle Wellen hüllen mich ein, drohen, mich davonzutragen wie eine sanft lächelnde Ebbe einen Ertrinkenden vom Strand.
Von weit entfernt dringt ein klackendes Geräusch zu mir rüber. Hände packen mich, ziehen mich fordernd nach oben. Stouts Arm um meine Schulter stützt mich.
‚Noch Seitenstechen?‘, dringt seine Stimme weich in mein Ohr.
Ich lächele schwach, deute ein Nicken an.
‚Lass mich das machen. Kannst du steuern?‘
Noch ein Nicken. Das kann ich – wenn ich es bis ans Steuer schaffe. Der Schwarze lässt mich los und mit beiden Händen am Wagendach schiebe ich mich nach vorne. Gleite mühsam in den Wagen, schließe langsam die Tür. Der Schmerz zieht sich enttäuscht zurück, lässt mich bei Bewusstsein. Ich checke, dass der Gang raus ist, das Lenkradschloss nicht eingerastet. Spüre Bewegung.
Stout macht das, was mir meine Rippen verwehrt haben. Er schiebt den Mercedes auf die Parklücke rüber, in die ich wollte. Nimmt langsam Fahrt auf – je mehr er die Masseträgheit der wuchtigen Limousine überwindet.
Früher hat unser Trainer uns beim Training geschunden, indem er uns seinen eisernen Schlitten quer über den Platz hat schieben lassen. Vor allem die Offense, aber oft genug auch uns aus der Defense. ‚Beine und Rücken!‘, hat er immer betont. ‚Die Wucht kommt aus den Beinen und aus dem unteren Rücken. Der Schwerpunkt hilft euch.‘
Jede Wette, Stout denkt dahinten jetzt auch gerade an den Coach.
Wir erreichen die Stelle, an die ich wollte, und für einen kurzen Moment denke ich darüber nach, ob ich die Tür öffnen und Stout Bescheid sagen soll. Zu laut, zu langsam.
Also trete ich auf die Bremse, ziehe die Handbremse zusätzlich an und stoppe Stout damit perfekter als es dreihundert Pfund Guard je gekonnt hat. Ein leiser Rumms zeugt davon, dass er zumindest teilweise mit dem Schädel gebremst wurde.
Kurz darauf gleitet er in den Sitz neben mich, reibt sich den Schädel.
‚Arschloch!‘, ist sein einziger Kommentar.
Ich nicke. Es tut mir leid.
Wir warten. Beobachten den Van da vorne, der genau wie wir in halber Dunkelheit steht. Das Parkhaus ist nur ungenügend ausgeleuchtet – keine Frau der Welt würde sich hier sicher fühlen, egal wie schwer bewaffnet.

Es vergehen zehn, fünfzehn Minuten, ohne dass etwas passiert. Mir fällt auf, dass das Parkhaus keine Seitenwände hat – hinter dem Van sind Teile der abendlich beleuchteten urbanen Szenerie zu sehen.
Stout tickert zwischendurch eine SMS in sein Handy. Ich will gar nicht wissen, welcher Braut er schreibt – der Kerl ist besessen vom Sex. Eine Weile lang hatten er und sein Bruder die Mädels zusammen abgeschleppt. Ihr gut funktionierendes Motto war „Death by Chocolate“ gewesen. Wenn Toffer ähnlich gut gebaut war wie Stout mussten die Frauen gebaut sein wie Gummipuppen, um so einen Trip unbeschadet zu überstehen. Das Handy quittiert die abgeschickte Nachricht mit einem nervigen Pieps-Ton.
‚Mir ist langweilig‘, beschwert er sich und fischt die Mossberg vom Rücksitz. Ich sehe ihm einen Moment zu, wie er weitere Patronen in das Monster schiebt und den Pump-Action-Mechanismus prüft. Ich hatte mir eine halbe Schachtel Patronen in die Jacke gestopft – falls das hier ein weiteres Mal in den Ardennen endet, bin ich vorbereitet.
Neben uns stechen Scheinwerfer in die Betonwand – ein Wagen kommt die Rampe von Level 6 hinauf.
Ich stoße Stout an – unnötig, er hat das Licht ebenfalls bemerkt. Er hält inne, streichelt gedankenversunken über den metallenen Lauf der Sturmschrotflinte. Der Wagen hat das Parkdeck erreicht, biegt ein.
Ein sportlicher Honda rollt langsam an uns vorbei, auf den Minivan zu.
‚Bingo!‘, flüstere ich heiser. Gleich geht es los.
Tschack-tschack! Das laute Geräusch der Mossberg reißt mich aus meiner Trance – Stout hat den Schlitten in Terminator-Manier vor und zurück fahren lassen, grinst mich wölfisch an.
‚Poomp Akshun!‘, stößt er triumphierend hervor.
Ich sehe ihn erst missbilligend, dann fragend an.
‚So nennen die Iraqis die Knarren der US-Boys, wenn die mit den Mossbergs rumlaufen‘, fügt er erklärend hinzu. Sein Grinsen wird nicht weniger und geht mir immer noch auf die Nerven.
‚Halt die Schnauze!‘, flüstere ich gereizt, wende meine Aufmerksamkeit wieder dem Treffen vor uns zu.
‚Komm schon, Corker - Rock’n’Roll!‘
Aus dem Van sind zwei Männer ausgestiegen, mehr als ihre Silhouetten kann ich nicht erkennen. Die Fahrertür des Sportwagens öffnet sich, eine weitere Person taucht auf. Mein Puls beschleunigt sich, als ich sehe, dass die Gestalt die anderen beiden um mehr als eine Kopflänge überragt. Mit einem Kreuz wie ein Doppelspind.
The Machine!
Schätze, dass ist der Moment, wo unser Held endlich die Gelegenheit erhält, gegen seine Nemesis anzutreten. Der echte den falschen Batman fertig macht.
Ich schlucke trocken. Bin ich der echte Batman?
‚Fuck! Der Bastard ist riesig‘, zeigt sich Stout neben mir beeindruckt.
Ich nicke grimmig. Kurzentschlossen trete ich die Kupplung durch, lasse den Motor mit einem Heulen an und ballere das Gas voll runter. Die Reifen drehen durch, wir schlingern über den Beton und schießen auf die kleine Gruppe zu.
Dann fluten meine Scheinwerfer die Szenerie vor uns, baden Bowman und seine Jungs in gleißendem Licht.

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