Mein erster....

Tagebuch zum Thema Grenzen/ Grenzen überschreiten

von  Mac

Langsam schritt ich die drei Stufen hinunter in das Halbdunkel des Refektoriums, dem Speiseraum der Mönche. Das ungute Gefühl war wieder da, nicht ungut, nein, vielleicht beklemmend, vielleicht bedrückend. Auf jeden Fall musste ich mich jedes Mal überwinden die Stufen hinunter zu gehen.
Meine Kollegen waren froh, dass ich diesen Job übernommen hatte. Sie hatten dieselben Gefühle -- nur noch stärker als ich. Das sah ich in ihren angespannten Gesichtern, doch sie schwiegen. Durch die hohen, schmalen Burgfenster im Refektorium fiel kaum Tageslicht herein und die Eichenvertäfelung an den Wänden schluckte das übrig gebliebene Licht. Der Raum atmete ein bedrückendes, modriges Schweigen.

Als ich den Boden des Speisesaals betrat, verging das Gefühl wieder. Meine Laune wurde besser.
Ich dachte nach. Eine Woche hatte ich ihn schon, diesen Job als Mönchsdiener in der Fort Augustus Abbey, einer Burg direkt am Südwestende von Loch Ness. Eine Benediktinerabtei mit angeschlossenem Hotelbetrieb, gelegen auf einem starken Stück Erde. Eingesäumt von zwei reißenden Flüssen und den Hügeln der Highlands, geheimnisumwittert, von den Touristen geliebt und herrlich anzusehen.

Die ersten vier Wochen hatte ich in der angeschlossenen Burghotelküche als Spülhilfe gearbeitet. Danach fragte mich meine Chefin, Liz Fergusson, ob ich nicht den Job bei den Mönchen wollte. Easy job, easy money, meinte sie nur mit einem Augenzwinkern. Genau das Richtige für dich. Ich lachte.

Nachdem ich einen Tag Probe gearbeitet hatte, willigte ich ein. Die Mönche waren zufrieden mit meiner Arbeit und ich sah diesen Job als eine Art geniales Spiel. Drei Mal am Tag Essen auftragen, nach dem Essen das Geschirr zur Burgküche zurück bringen, die Holztische blank polieren und staubsaugen. Das war alles. O.k., frische Milch, Brot und Butter hatten auch immer bereit zu stehen. Einfach der ideale Job für einen Traveller. Unterkunft, Essen, ein paar schottische Pfund in der Tasche für das Bier mit meinen Freunden und Kollegen, was wollte ich mehr.

Wenn nur nicht dieses komische Gefühl wäre. In Gedanken versunken polierte ich die Holztische. Da! Da war es wieder! Stärker als je zuvor. Jetzt wusste ich es genau. Irgendjemand beobachtete mich. Aber es kam nicht aus den Sehschlitzen in den Mauern. Die hatte ich längst erkundet.
Langsam drehte ich mich weiter um meine Achse, um den Speiseraum genau zu kontrollieren. Ich glaubte eine Bewegung auf der Kanzel am Ende des Raumes gesehen zu haben. Hatte sich da ein Mönch versteckt, um mich zu beobachten? Ich hielt den Atem an. Nichts zu hören, nichts zu spüren und doch bewegte sich ein Art hellgrauer Schemen auf der Kanzel in diesem diffusen Licht.
Angestrengt starrte ich durch das halbdunkle Refektorium. Der Schatten auf der Kanzel glitt jetzt langsam die Stufen hinunter. Was war das? „Ein Mönch ohne Kopf“, raunte etwas in mir. „Lächerlich“, dachte ich. Doch der Lappen in meiner Hand vibrierte leicht vor Aufregung. Die Gestalt erreichte die letzte Stufe und glitt auf den Boden. Ca. 15 m von mir entfernt stand die kopflose Erscheinung eines Mönches, der denselben dafür unter seiner rechten Hand trug. Das Gesicht grinste mich hämisch an und der Geist glitt langsam näher. Er trug nicht das schwarze Habit der Benediktiner, eher das graue der Zisterzienser. Mir stockte der Atem. Ein Teil von mir versuchte sich umzudrehen und so schnell wie möglich abzuhauen. Meine innere Stimme raunte: „Steh, bleib stehen!“

Als ob der Geist meine Zerrissenheit erkannt hätte, kam er nun schnell 3-4 Meter näher. Nach der Angst stieg langsam die Wut in mir empor. Der Gestalt glitt noch näher heran und stand jetzt am anderen Kopfende des Tisches, den ich polieren wollte. Das Tuch in meiner Hand fiel zu Boden und unwillkürlich ballten sich meine Hände zu Fäusten. Ich war doch nicht 1500 km meinen Träumen nachgereist, um mich von einem blöden Geist erschrecken und verjagen zu lassen. Ich hatte immer geglaubt, dass es Geister gibt, doch in natura hatte ich noch keinen kennen gelernt. Jetzt hatte ich das Vergnügen.

Mein Logiksektor meldete sich: „Wie willst du einen Geist verprügeln? Du haust doch nur Löcher in die Luft.“ „Halt die Schnauze“, ranzte ich zurück, erwachte aus meiner Bewegungslosigkeit und lief auf den Geist mit geballten Fäusten zu. Das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht und machte einem Mitleiderregenden, jämmerlichen Gesichtsausdruck Platz. Die Gestalt wirbelte um ihre eigene Achse und floh durch den Speisesaal. Ich folgte ihm. Die Eichentür am Kopf des Refektoriums beendete das Rennen. Der Geist glitt durch die geschlossene Tür und bevor ich diese aufgerissen hatte, war er über den inneren Kreuzgang geflohen. Das Einzige was ich an diesem Tag noch von ihm sah, war, dass er in den Schatten der Kirchengemäuer verschwand.

Ich schloss die Tür des Speisesaals, schaute mich um und lachte, lachte lauthals in diesen düsteren Raum. Das beklemmende Gefühl war weg, und zum ersten Mal nahm ich die Sonnenstrahlen war, die durch den Raum tanzten. „Mein erster Geist! Ich hatte wahrhaftig eine Begegnung mit einem Geist. Natürlich in einer alten Burg in Schottland“,  schoss es mir durch den Kopf und ich lachte noch mehr.

Als ich vergnügt meiner Chefin davon erzählte, schaute sie mich entsetzt an. Sie wussten alle, ob Angestellte oder Mönche, von dem Geist. Nur mir hatten sie es nicht gesagt. Sie erzählte mir, dass es der Geist eines toten Abtes wäre, der in der Burg spukte. „Der kommt nicht mehr“, antwortete ich Liz lächelnd. Und in der Tat, seit dem machte dieser untote Geist des Abtes einen großen Bogen um mich, wenn ich mich im Schloss aufhielt.

Tja, lach, und da meine Chefin quasi die Mutter der Verschwiegenheit war, war dies der Anfang meiner Karriere als Ghostbuster in den Highlands.

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Kommentare zu diesem Text


 DariusTech (06.07.10)
Fesselnd wie immer! Kann mir sehr gut vorstellen wie Du es in Deiner ruhigen Stimme vorliest.
Dir glaub ich sogar die Geisternummer... irgendwie.
lg Darius
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