Als die Rentiere streikten

Märchen zum Thema Humor

von  tastifix

„So, meine Sechs. Jetzt futtert schön. Morgen wird es anstrengend!", gähnt Nikolaus.
Um seine Rentiere bei Laune zu halten, hat er ihnen als Abendmahlzeit Himmelsmöhren und Granatäpfel spendiert. Kalli, das Leittier, schnappt sich selbstverständlich die größte der Möhren. Erst danach dürfen die Anderen sich gütlich tun.
„Was ist denn morgen?", fragt Fränzi, das Rentiernesthäkchen, neugierig.
„Wir müssen schuften!", erklärt Goldi, das Vizechef-Rentier.
„Wie jedes Jahr um diese Zeit. Die Menschen auf der Erde drehen echt durch, die mit den Kilometer langen Wunschzetteln!", knurren Braunchen, Knabbs und Schnubi.
„Und was geht uns das an?"
„Nikolaus packt den Schlitten so voller Geschenke, bis der fast bricht und wir müssen den zur Erde ziehen!", murrt Kalli.
Bei dem Gedanken fröstelt es ihn, obwohl der Rentierstall wirklich gut geheizt ist.
„Juhuuh! Ich darf mit zu den Menschen!", jubelt dagegen Fränzi.
„Freu dich nicht zu früh!", versetzt Braunchen: ´Genauso blöd wie ich früher. Wenn ich damals schon geahnt hätte ...`
„Schluss, jetzt wird geschlafen. Sonst kommen wir morgen nicht aus dem Stroh!", kommandiert Kalli und plumpst auf seinen Lieblingsschlafplatz direkt neben der Stalltür.
Von dort aus hat er nämlich das Haus des Nikolaus und die Wolkenburgen der Engelteenager bestens im Blick.

Am nächsten Morgen reißt Nikolaus die Rentiere extrem früh aus den Möhrenträumen. Zum Frühstück gibt es nur ein bisschen Heu.
„Sonst seid ihr gleich zu träge!"
Und wenig später drängt er:
„Los geht`s, keine Müdigkeit vorschützen! Auch du nicht, Fränzi!"
Er führt die Rentiere zum Schlitten. Mit Riesenaugen bestaunt Fränzi die glänzend eingepackten Geschenke.
„Oh, sind die schön!"
„Hm, schöner Mist!!", knurrt Goldi dem Kleinen zu und erntet prompt von Nikolaus einen strafenden Blick.
„Ich mein ja bloß - ziemlich schwer, das alles!"
Aber viel mehr ärgert es die vierbeinige Truppe, dass sich die neugierigen Jungengel um sie scharen und munter drauflos sticheln:
„Ätsch, dann viel Spaß!"
„Verlauft euch nur nicht!"
„Macht bloß nicht schlapp!"
„Kommt, wir flegeln uns auf die Sonnenbank. Hach, wird bestimmt toll!"

Die Rentiere sind wütend und würden die Bengel nur zu gerne kneifen, aber das ist im Himmel streng verboten. Es ginge auch gar nicht, denn Nikolaus hat ihnen bereits die Geschirre umgelegt. Deshalb schnauben sie die geflügelten Möchtegern-Erwachsenen nur drohend an. Leider interessiert die dies nicht die Bohne, sondern sie schweben hämisch grinsend von dannen.
„Müssen wir uns das gefallen lassen?", fragen die Anderen Kalli.
Als der Älteste hat er ja bereits Jahrhunderte lang Erfahrung mit den Schnöseln.
„Ganz ruhig! Wir erledigen unser heutiges Pensum und morgen ... Hihi, für morgen lass ich mir etwas einfallen!", feixt Kalli.
„Hoo,hoo!", befiehlt da Nikolaus den Aufbruch.
Die Sechs legen sich in die Leine und Klein-Fränzi bemüht sich, genauso schnell zu laufen wie die Freunde.
„Gut machst du das!", lobt Nikolaus.

Es wird eine sehr anstrengende Reise. Nikolaus wie auch die Rentiere atmen auf, als endlich sämtliche Geschenke verteilt sind und sie wieder zum Heimatstall fliegen.
„Fertig!", freut sich Fränzi.
„Denkste!", widerspricht Braunchen. „Morgen noch mal das Gleiche!"
„Ja, aber nicht mit uns", versetzt Kalli lustig.
„Wiiee??"
„Wir streiken nämlich!"
„Streik? O weia, das gibt Ärger!"
„Und was wird dann mit den Geschenken?"
„Die bringen die Engel zur Erde!", verrät Kalli. „Wir spielen nämlich alle krank. Dann muss Nikolaus notgedrungen die Engel mit den Gaben nach unten schicken. Sonst werden  Millionen von Kindern zu Weihnachten traurig unter dem Tannenbaum stehen!“

Am nächsten Tag betritt Nikolaus den Stall:
„Auufstehen!“
Nichts rührt sich.
„Habt ihr nicht gehört? Na, aber dalli!“
Die Rentiere bleiben liegen. Verunsichert geht Nikolaus von einem zum anderen und erschrickt gewaltig. Goldi stöhnt leise, Braunchen, Knabbs sowie Schnubi kauern dort mit halb geschlossenen Augen und bewegen noch nicht einmal einen Huf. In der hintersten Ecke wimmert Fränzi laut herum.
„Oh nein! Was ist denn mit euch los?“
„Mir ist soo schlecht!“, stöhnt Schnubi.
„Mein Bauuch!“, melden sich Knabbs und Braunchen matt.
„Nen doppelter Nikolaus!“
Kalli leidet scheinbar schon unter Wahnvorstellungen.
„Ihr Armen!!“

Auf Zehenspitzen verlässt Nikolaus den Stall. Er kommt fast um vor Sorge:
„Sie haben sich hoffentlich nicht mit der Höllen-Grippe angesteckt?“
Aber, je länger er darüber nachgrübelt, für umso unwahrscheinlicher hält er es. Dagegen kommt ihm plötzlich ein völlig anderer Gedanke:
„Oder haben sie heimlich zuviel von der Rentierminze genascht, sind total beschwipst gewesen und nun quält sie ein furchtbar Kater!??“
Aber weil er seinen Tieren vertraut, verwirft er es wieder, eilt zurück ins Haus, greift sich den Erste-Hilfe-Kasten und hastet zurück in den Stall. Dort verteilt er warme Umschläge und Extra-Hafer-Happen mit Anti-Übelkeit-Tabletten.
„Ihr bleibt heute hier drinnen und ruht euch aus. Verstanden!?“
Ganz offensichtlich sind die Vierbeiner zu keiner Antwort mehr fähig.

Kurz entschlossen stapft Nikolaus zu den Jungengeln.
´Na, die werden sich umgucken!`
Obwohl sie wegen des Vollmondes kaum Schlaf gefunden haben, ist die Halbstarkenbande erstaunlicherweise schon auf den Beinen.
„Hört zu: Die Rentiere sind schwer erkrankt. Ihr müsst heute also deren Arbeitspensum übernehmen!“
„Wie bitte? Wir sollen all die Pakete schleppen!?“
„Keine Widerrede oder ich melde es dem Chef!“
Es wirkt.

Kurz darauf beladen sich die Engel mit den Geschenken und düsen zur Erde.
„Aua, ich hab mir ne Feder abgequetscht!“
„Uff, sind die schwer!“
„O je, ich hab tatsächlich eines verloren!“
Es ist für den kleinen Hund der Familie Meier in Hundhausen bestimmt gewesen, der so oft schrecklich friert. Stattdessen freut sich nun der Wetterhahn auf der Kirchturmspitze über den roten Mantel. Stolz bestaunt er sich im Fensterspiegel des gegenüber stehenden Hochhauses.
„Oh, wie schick!!“
Stunden um Stunden verrinnen. Mittlerweile stöhnen die Engel vor Anstrengung. Ihre Hände tragen Schwielen, die Flügel sehen total ramponiert aus und die Gewänder starren vor Dreck.
„Ich kann nicht mehr!“
„Und diese Knochenarbeit erledigen die Rentiere wirklich jedes Jahr aufs Neue!“
Sie bereuen es tief, dass sie zu den Sechsen so fies gewesen sind und treten, nachdem alle Gaben abgeliefert worden sind, ausgesprochen kleinlaut den Rückflug an. Völlig groggy erreichen sie schließlich ihre Wolkenburg.

Im Rentierstall ist nach der zermarternden Nacht alle Freude verflogen und die Stimmung auf dem Nullpunkt angelangt. Geplättet vor Gram liegen die Sechs im Stroh. Zudem verspüren sie Hunger. Weil sie unter den Tieren des Himmels eine Sonderstellung genießen, wird ihnen eigentlich das Frühstück stets von Nikolaus persönlich serviert, aber heute ... Die Zeit verstreicht. Inzwischen hängt ihnen der Magen unter den Hufen, aber kein Nikolaus erscheint. Nach drei Stunden endlich schütten zwei Tierpflegerassistenzputten einen Eimer Futter in die Tröge.
„Ihr sollt nachher bei Nikolaus antreten. Übrigens ist der mies drauf heute. Macht euch also besser auf etwas gefasst!!“
„Klingt ja richtig schadenfroh!“, flüstert Kalli Goldi zu.
Der streift ihn mit einem warnenden ´Halt-jetzt-bloß-die-Klappe-Blick` und Kalli verkneift sich im letzten Moment eine weitere biestige Bemerkung. Grußlos verschwinden die Putten wieder, die Stalltür fällt mit lautem Getöse zu. Deprimiert mümmeln die Vierbeiner den Hafer.
„Ich hab` keinen Appetit!“, wimmert Schnubi.
„Mir ist es zum Kotzen!!“, würgt Braunchen.
Knabbs verdreht zustimmend die Augen.

Eigentlich müsste Kalli die Beiden ausschimpfen, aber dazu plagt ihn viel zu sehr das eigene Gewissen.
„Wir waren so gemein zu Nikolaus!“, meldet sich Fränzi kläglich. „Und dabei ist er immer so lieb zu uns!“
Mit vor lauter Scham geröteten Ohren und Schaufelspitzen graben sich die Sechs tief ins Stroh ein.
„Ich ertrag es nicht länger!“, wimmert Goldi kurz darauf. „Tun wir doch endlich etwas!"
Knapps und Schnubi nicken schwach.
„Und was??“
„Beichten, wir müssen beichten!“, haucht Kalli.
Bei diesem Gedanken stehen die Rentiere kurz vor einer Ohnmacht.
„Wir haben es wirklich verdient, wenn Nikolaus uns ´ne saftige Strafe aufbrummt!“, gibt Knabbs zerknirscht zu.
„Es wird ein Gang nach Cannabis!“, murmelt Braunchen.
„Du meinst wohl: Nach Canossa!“
Kalli kennt sich ein wenig in der Geschichte der Menschen aus. Trotzdem vermag er über Braunchens Schnitzer nicht zu lachen. Dazu ist die Lage viel zu ernst.
„Da müssen wir durch! - Oder wollt ihr ihn endgültig als Freund verlieren?“
Entsetzt schütteln seine Kameraden den Kopf. Nur das nicht!!
„Na denn: Auf zu Nikolaus!!“
„Oh weh!"

Mit bis zum Boden gesenkten Köpfen und deutlich wackelnden Beinen machen sie sich auf den Weg.
„Sag du es!“
„Nein, du kannst es bestimmt besser!“
„Feigling!“
„Angsthase!“
„Bin kein Hase. Bin ein Rentier!“, schmollt Fränzi.
„Hört auf zu streiten. Jetzt heißt es zusammenzuhalten!“, mahnt Kalli energisch. „Also: Ich habe euch zu dem Mist angestiftet. Deshalb werde selbstverständlich ich mit ihm reden.“
Kurz darauf stehen sie vor seinem Haus und schauen durchs Fenster.
„Drinnen brennt Licht. Er ist da!“
Die Rentiere tauschen bange Blicke, aber ein Zurück gibt es nicht mehr. Kalli klopft mit dem Huf gegen die Tür. Sie hören die vertrauten, schlurfenden Schritte und Nikolaus öffnet.
„Wiiee? Was macht ihr denn hier?? Ihr solltet euch doch ausruhen!“
„Wir müssen dir etwas sagen!“, murmelt Kalli stockend und vermeidet es, ihn dabei anzusehen.
„Genau, etwas gaanz Wichtiges!“, starren die Anderen verschämt zu Boden.
„Kommt erst einmal rein!“

Im Wohnzimmer quetschen sich Kalli, Goldi und Knabbs aufs Sofa, Schnubi und Braunchen hocken sich auf den Teppich und Klein-Fränzi verzieht sich schlotternd unter den Couchtisch. Von dort schielt er hoch zu Nikolaus.
„Uund??“, forscht der.
Erst stockend, dann immer fließender beichtet Kalli den Streit mit den Jungengeln, dass sie auf die schwer sauer gewesen sind und was sie gemacht haben, um ihnen eins auszuwischen.
„Zur Strafe sollten die mal die Geschenke zur Erde schleppen anstatt immer wir!!“
„Ihr habt euch also nur verstellt, ihr seid überhaupt nicht krank gewesen?“
Weiß wie die Wand hockt Nikolaus im Lehnstuhl.
„Und euch habe ich vertraut! Wie konntet ihr nur ... ?“
Genau dies fragen sich die Rentiere auch gerade.
Für mehrere Minuten herrscht eine unheimliche Stille im Raum. Dann flüstert Nikolaus:
„Kalli, dass ausgerechnet Du, mein aller ältester Rentierfreund, mir das angetan hast ...“
„Mir tut es so schrecklich leid, Nikolaus!“
Eine dicke Rentierträne rollt ihm übers Gesicht.
„Und uns auch!“, schniefen die Anderen im Chor.
Nikolaus erhebt sich, tritt ans Fenster und betrachtet das Sternenmeer. Dann wendet er sich zu den Tieren um:
„Geht, lasst mich allein! Dass es eine deftige Strafe nach sich ziehen wird, dürfte euch klar sein. Ich gebe euch noch Bescheid!“

Gebrochenen Herzens schleichen die Vierbeiner zurück in den Stall.
„Noch gemeiner hätten wir gar nicht sein können!"
„Immerhin haben wir es freiwillig zugegeben!“, versucht Goldi die Kameraden aufzumuntern.
Doch umsonst. Kaum im Stall angekommen, verkriecht sich jedes Rentier in eine Ecke und wälzt sich die ganze Nacht lang schlaflos hin und her.

Früh am nächsten Morgen bullert jemand mit den Fäusten dröhnend gegen die Stalltür. Erschrocken schnellen die Rentiere hoch.
„Bestimmt Nikolaus ...“
Kalli schielt auf die Vorderlaufuhr, ein Geschenk von Nikolaus an ihn als Zeichen der Anerkennung seiner treuen Dienste.
´Halb sechs. Ist der verrückt geworden?`
„In spätestens fünf Minuten sehe ich euch hier draußen. Ist das klar!?“
Die Stimme verrät Unheil.

Die Rentiere schlappen hastig einen Schluck Wasser, mümmeln einen Haferhalm, sortieren eilig die schlotternden Beine und stolpern in die Eiseskälte hinaus.
„Morgen!“
Nikolaus brummt nur etwas Undefinierbares in den Bart, durchbohrt die Vierbeiner mit stahlharten Blicken und bombardiert sie dann mit einer Strafpredigt, die sich gewaschen hat.
„So: Weihnachten ist vorbei. In sämtlichen Wolkenburgen der Engel sieht es aus wie auf Schlachtfeldern. Und die werdet ihr so lange schrubben, bis ich selbst mit einer Lupe kein einziges Staubkorn mehr entdecken kann. Verstanden!??“
„Aber ... ,“ muckt Kalli auf.
Seine Kameraden ducken sich sicherheitshalber.
´Woher nimmt Kalli jetzt dazu bloß noch den Mut?`
Goldi versetzt dem Freund heimlich einen Tritt.
„Au!“, quietscht Kalli.
„Sscht! Du machst alles nur noch schlimmer!“
„Abeeer!?“, brüllt Nikolaus Kalli an.
„Neihein, nichts!“
„Ist auch dein Glück!“

Ausgerechnet Klein-Fränzi hat die rettende Idee. Zögerlich den Kopf hebend, sieht er Nikolaus flehend an.
„Was ist!!?“, reagiert der ziemlich unwirsch.
„Nikolaus, uns tut es doch dermaßen leid und wir haben alles von uns aus zugegeben. Bei den Menschen auf der Erde fällt die Strafe dann etwas weniger hart aus. Könntest du denn nicht auch ... ? Bitte, bitte!“
Demütig scharrt Fränzi mit den Hufen. Die Anderen schließen sich dem schleunigst an.
Nikolaus guckt zwar noch ziemlich sauer, aber die Vierbeiner kennen ihn gut genug und schöpfen Hoffnung.
„Sag doch endlich etwas, Nikolaus!“
Der marschiert grübelnd auf und ab.
„Verdient habt ihr es eigentlich nicht. Aber eine solche Frechheit habt ihr euch ja noch nie erlaubt und werdet es hoffentlich auch ...“
„Niemals mehr wieder!!“
„Gut. Denn will ich mal Gnade vor Recht ergehen lassen!“, entscheidet Nikolaus. „Und nun die Augen zu!“
Kalli und seine Kameraden gehorchen.
´Was hat er nur vor?`
Sie spüren ein eigenartiges, ständig heftiger werdendes Kribbeln in den Schaufeln und an den Mäulern. Dann ist es vorbei.
„Augen auf!“
Schüchtern blinzeln die Rentiere ins Helle. Nikolaus hat den prächtigen Himmelsspiegel aufgestellt. Neugierig lugt Kalli hinein und ist dem Herzschlag gefährlich nahe.
„Wie sehe ich denn aus?“
Sein Geweih streckt sich nicht mehr wie bei jedem anständigen Rentier stolz nach oben, sondern ist halbrund nach unten gebogen wie die Schaufel eines Baggers. Den Kameraden ergeht es kein bisschen besser als Kalli. Goldis Maul sieht aus wie ein Staubsaugerrohr, Schnubi schleppt einen Schrubber, Knapps und Braunchen hängen Mikrofaserstaubtücher an den Mäulern und Fränzi trägt ein Kehrblech in der Schnauze.
„Jetzt verschwindet und wehe, wenn ihr eure Arbeit nicht ordentlich erledigt!!“

„Wie konnte er nur ... ?“
Die Sechs fühlen sich rentierelend.
„Die Engel kriegen nen Schreikrampf vor Lachen!“
Von Gewissensbissen geplagt, eilen sie zur nächstschwebenden Wolkenburg und schellen. Nichts passiert.
„Uund was jeetzt?“
Ratlos blicken sie sich an. Noch während sie überlegen, ob sie es wagen können, unverrichteter Dinge wieder bei Nikolaus vorzusprechen, öffnet sich dann doch wie von Geisterhand die Tür. Die Rentiere traben ins Engelsgemach.
„Ach, du Sch... !“, entfährt es Braunchen.
„Biste verrückt, jetzt noch zu fluchen?“, weisen ihn die Anderen ängstlich zurecht.
An den Wänden und auf den Möbeln pappen grässliche Kleberschmierereien, auf dem Teppich stapeln sich Unmengen an Papier- und Geschenkbandschnipseln und das edle, weiße Parkett verunzieren grauenhafte Plackafarb- und Tintenkleckse. Zudem wirbeln überall Federn umher.

„Die haben sich die Engel garantiert beim Geschenke schleppen ausgerissen!“, murmeln die Rentiere mitleidig.
Aber noch nicht einmal für das Mitleid haben bleibt ihnen Zeit übrig. Jetzt müssen sie schuften. Kalli betätigt sich als Baggerschaufel und schaufelt den Papierkram zusammen. Goldi saugt währenddessen eifrig Federn auf. Knabbs und Braunchen machen Jagd auf jedes noch so winzige Staubkorn. Schnubi schrubbt das Parkett. Fränzi saust mit dem Kehrblech hinterher und entsorgt den ganzen Weihnachts-Abfallmist in die Himmelsbiotonne neben dem Eingang.
Die Hausarbeit ist kein Zuckerschlecken, was die Sechs heftig zu spüren bekommen. Stunde um Stunde haben sie sich abgemüht und noch immer ist kein Ende abzusehen. Kalli schmerzt mittlerweile vom Schaufeln das Geweih. Goldi fühlt sich wie vollgesaugt. Schnubi spürt die Knochen kaum noch. Knapps und Braunchen verzweifeln an den stets neuen Scharen von Staubflocken und Fränzi würde das Kehrblech am liebsten zur Erde pfeffern, weil ihm inzwischen vom andauernden Bücken der Rücken schrecklich weh tut.
Erst am späten Nachmittag dürfen sie aufatmen. Alles blinkt und blitzt wie vor den Festtagen. Völlig groggy von der Putzstrapaze hocken sich die Vierbeiner auf den Teppich, tasten die schmerzenden Knochen ab und stöhnen sich ausgiebig etwas vor.
„Nie wieder ärgere ich Nikolaus!“, jammert Kalli.
„Nie, niiee wieder!!“, klagen seine Kameraden.
Kaum haben sie es ausgesprochen, trägt Kalli erneut sein stolzes Geweih. Goldis Rüssel bildet sich zu einem hübschen Maul zurück und Schnubis Schrubber, Knabbs und Braunchens Staubtücher wie auch Fränzis Kehrblech entschweben in den wolkenburgischen Hauswirtschaftsraum.
In übermütigen Sprüngen galoppieren die Rentiere zum Stall zurück. Im Himmel ist wieder alles okay.


Anmerkung von tastifix:

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Kommentare zu diesem Text


 tueichler (17.01.10)
Klasse Geschichte, endlich mal Weihnachten, wie's wirklich ist!
Übrigens müssen die Viehcher sich ja immer so beeilen. Darum sind's ja auch Renntiere .....

lg Tom :)

 tastifix meinte dazu am 26.04.10:
Jahaah, Tom, sie tragen diesen namen nicht ohne Grund, lach! Ich freu mich, dass dir dies märchen gefallen hat.

Lieben Gruß Gaby
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