Seiltänzer

Text zum Thema Anerkennung

von  Erdbeerkeks

Ich hab niemals gedacht, dass du besser seist, als ich. Niemals.
Aber ich neige trotzdem dazu, mich selbst zu überschätzen.
Immerhin weiß ich, dass du etwas hast, das mir fehlt. Oder dass dir einfach etwas fehlte, das bei mir zuhauf vorhanden ist. Es kommt darauf an.
Meistens waren es ja nur die Kleinigkeiten, die winzigen Dinge eben, die mir den Tag versauten. Nichts Großes, also fühl dich nicht schuldig, okay?
Ich weiß doch, dass du nicht begabt warst und du hattest auch nicht mein Feingefühl und meine Sympathie. Nein. Und doch -
Selbst heute, wenn ich dich ansehe, sehe ich diese unverkennbare Eleganz in deinen Augen, diese Grazie, die dich doch so mühelos über den spindeldürren Faden spazieren lässt, den ich schon seit Nächten durchzubeißen versuche. Sie macht dich so verdammt schön während ich nur als kleine Nebenrolle dastehe und dich bejubeln darf.
Wie eine gehasste Untergeordnete stehe ich unter dir und bewundere dich, während du von hoch oben auf mich herabsiehst, angestrahlt von den bunten Lichtern, die Balance haltend und von den Zuschauern angefeuert, und mich verachtest.
Aber ich glaube, du weißt die Wahrheit.
Dass jeder der hoch oben steht, irgendwann auch wieder runter kommt.
Und vielleicht nimmst du dieses Mal nicht die Leiter.
Vielleicht rutscht du aus, vielleicht trittst du daneben, vielleicht reißt dein Seil.
Aber du wirst fallen.
Und ich glaube, genau dafür verachtest du mich.


Anmerkung von Erdbeerkeks:

Es geht um Seiltänzer... (:

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Kommentare zu diesem Text


 MagunSimurgh (07.03.10)
Drastisch.

Die Konkurrenz in diesem Text ist derart destruktiv. Mich erschüttert es. Dieses fast schon Versprechen: "Du wirst fallen." Was ist es? Neid? Woher kommt dieser Hass?

Warum richtet sich der Ich-Erzähler so nach seiner Konkurrenz? Ist das nicht eine gewisse Identitätsproblematik? Sicherlich sind andere ein Spiegel – aber wenn einem Kleinigkeiten den Tag versauen, weil jemand anderes etwas tut, das einen nicht mal direkt betrifft – zum Beispiel besser Seiltanzen. Ist das so in Ordnung?

Ich meine, von der "sittlichen" oder "moralischen" Literatur sind wir spätestens seit dem Expressionismus weg, aber an diesem Text stört mich die fehlende Spannung zur Realität – d.h. die Protagonistin(?)/ der Protagonist nimmt seine Situation so selbstverständlich hin, als wären diese Gedanken unzweifelhaft, als wäre das schon in Ordnung so.

Aber das ist es nicht, glaube ich.

Gut geschrieben alle Mal, aber dieses Negativdurchtränkte stört mich ein wenig.

Liebe Grüße,
Magun

 Erdbeerkeks meinte dazu am 07.03.10:
Vielleicht geht es doch nicht so ganz um Seiltänzer...
Hm.
Vielleicht geht es nicht nur um das Seiltanzen oder die Metapher, die sich dahinter versteckt.
Obwohl ich nicht genau weiß, wie das ist, denke ich, dass Hass fast immer destruktiv ist. Ansonsten wäre es vielleicht einfach eine konstruktive Kritik, die man für sich behält, einfach nur etwas objektives, das einen im Stillen stört. Hass ist immer irgendwie hinterhältig und verlogen...
Aber vielleicht seh nur ich das so.
Also erklärt sich das wahrscheinlich auch mit dem unzweifelhaft.
Meinetwegen hat der/die Angesprochene das besagte Feingefühl des/der Protagonisten/-in.
Aber das ist egal, total egal. Man redet viel über Menschen, die man nicht mag. Auch erzählt man vielleicht Dinge, die nicht annähernd stimmen, aber der Hass nährt den Drang dazu.
Eigentlich echt arm.
Aber manche Leute machen das so. Auch wenn's nicht vorbildlich ist.

Danke für den ausführlichen Kommentar.

Beste Grüße

Keks
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