Heckflosse

Erzählung zum Thema Besessenheit

von  Mutter

Corbens Wohnung sieht aus wie eine Junggesellen-Bude nach zwei Monaten Party. Überall stehen leere Bierflaschen und schmutzige Teller. Gläser, in denen noch Reste undefinierbarer Flüssigkeiten gammeln, wurden als Aschenbecher benutzt – Zigarettenstummel ragen aus braunem Sumpf.
Ich werfe einen Blick in die Küche, ziehe mich schnell zurück. Hoffe darauf, dass sie mich nicht bemerkt hat und hinterherkommt. Das einzige andere Zimmer ist in einem ähnlichen Chaos. Über dem zerwühlten Bett hängt ein riesiges Henry-Rollins-Poster - wie passend. Kann mir die zwei super zusammen vorstellen, an einem Samstagabend durch die Innenstadt marodierend.
Ich stehe im Türrahmen und denke darüber nach, auf dem Absatz kehrt zu machen. Wer will in einem solchen Leben herumwühlen? Ohne Gummi-Handschuhe? Ohne Haz-Mat-Anzug?
Lustlos hebe ich ein wenig Zeug an, lasse es wieder fallen. Vor allem, weil ich keine Ahnung, wonach ich suche.
Stattdessen beschließe ich, Paco zu nerven. Taco-Paco. Nach dem vierten Klingeln nimmt er ab.
‚Haben Sie schon was?‘, will ich mit strenger Stimme wissen. Immerhin bin ich erfolgreicher Jung-Redakteur und Yuppie-Arschloch.
‚Kommt darauf an …‘, sagt er.
Worauf, du Depp? Ich verkneife mir die Frage, warte, bis er damit rausrückt.
‚Die beiden scheinen sich in der Vergangenheit bereits gekannt haben.‘
‚Maddox und Blocher?‘
‚Uh-huh. Maddox ist in der Herforder Szene bekannt, aber vor ein, zwei Jahren vom Radar verschwunden.‘
‚Was haben Sie über den?‘
‚Mehrere Anklagen wegen Körperverletzung, schwerem Raub, sexueller Belästigung. Klingt nach einem netten Burschen.‘
Ganz sicher – jemand, mit dem man gerne mal ein Pint trinken würde, denke ich, und verdrehe die Augen. ‚Was hat der mit Blocher zu tun gehabt?‘
‚Soweit ich weiß, haben die beiden mal versucht, einen Fuß in die Autoschieberei zu bekommen. Gab da eine Anklage, allerdings nur gegen Maddox. Blocher hat als Zeuge ausgesagt. Wurde alles fallengelassen.‘
‚Was wollen die beiden in Berlin?‘
‚Keine Ahnung. Dazu habe ich nichts gefunden. Aber es sieht so aus, als würde Blocher Cash lockermachen. Der hat versucht, eine Menge Geld aufzutreiben. Wofür, kann ich nicht sagen.‘
‚In Ordnung. Melden Sie sich, wenn Sie noch mehr haben. Sobald ich weiß, was die beiden in Berlin vorhaben, sage ich Bescheid.‘
Ich beende das Gespräch, sehe mich ratlos im Flur um. Endlich wate ich vorsichtig ins Zimmer, kämpfe mich Schritt für Schritt nach vorne. Auf der Kommode, auf der ein großer Röhren-Fernseher steht, liegt ein Stapel Zeug. Den greife ich mir.
Ungeöffnete Briefe, das meiste sieht nach Rechnungen aus, eine Motorsport- und eine Martial-Arts-Zeitschrift, zwei Pornohefte und ein Stapel Papier. Die ersten paar Seiten sind handschriftlich in grober Schrift beschrieben, darunter finde ich Fotokopien. Hanni, Nanni, Irina – Corben hat sich Fotokopien aller von der Agentur beschäftigten Mädchen gemacht. Auf manchen Blättern finden sich kleine Zeichen wie ein Kreuz, ein Kreis, manchmal auch beides. Ich bin mir sicher, dass Gabi keine Ahnung hat, dass sich Corben im Besitz dieser Papiere befindet. Muss daran denken, was mir Taco-Paco zu den Vorstrafen des Walisers gesagt hat.
Schlucke trocken. Mein Beschützer-Instinkt für Nanni und Irina kickstartet. Wenn Corben jetzt hier wäre, würde ich dämlicher Hund ihm bestimmt an die Gurgel gehen.
Wutentbrannt feuere ich die Papiere zurück auf die Kommode. Entscheide mich plötzlich anders, stecke sie zusammen gerollt in meine Jackentasche. Soll der Penner sich doch totsuchen – niemals kann der sich sicher sein, den Stapel nicht irgendwo verkramt zu haben. Ich verschwinde wieder aus der Wohnung, kann es plötzlich nicht mehr eilig genug haben.
Völlig in Gedanken fahre ich nach Hause, will mir eine Auszeit nehmen. Zwinge mich, etwas zu essen, obwohl ich in der Küche kaum noch essbares finde. Brate mir zwei alte Eier in der Pfanne und esse dazu eine verschrumpelte Gurke und eine trockene Scheibe Brot. Ich sollte mal wieder einkaufen gehen.
Lege mich hin - unruhig wälze ich mich hin und her, wechsel zwei Mal das Shirt, weil ich so schwitze.
Wachträume, in denen Corben junge Frauen in Hauseingängen vögelt, führen dazu, dass sich meine Finger in das Laken krallen. Manchmal dreht sich sein Kopf um 180 Grad und er lacht mich an. Oder das Gesicht der Frau taucht über seiner Schulter auf. Die ersten Male ist es Nanni, dann Irina, zum Schluss fahre ich hoch, nachdem mich Julia süßlich angelächelt hat, während Corben sie motiviert wie ein Bulle stößt.
Ich habe keinen Bock mehr auf Corben in meinem Kopf. Stehe wieder auf. Fühle mich zerschlagener als vorher, will gleich wieder los. Ungeduldig nehme ich mir die Zeit, eine Dusche zu nehmen. Ich vermute, dass habe ich dringend nötig. In meinem Schrank finden sich kaum noch frische Klamotten – zu lange habe ich  nicht mehr gewaschen. Wann war Julia hier?
Verwirrt tappe ich in die Küche. In der Maschine liegt halb-feuchte, muffige Wäsche. Sie hat sie für mich gewaschen. Hätte ich die Sachen aufhängen sollen?
Mit einem Kopfschütteln schließe ich die Klappe der Maschine wieder. Darum kann ich mich später kümmern.
Erneut widerstehe ich dem Impuls, sofort aus dem Haus zu gehen. Obwohl ich nicht weiß, was ich hier soll. Lege mich auf die Couch, schalte den Fernseher ein. Ein paar Minuten später bin ich weg.

Schrecke in der Dämmerung hoch. Verwirrt brauche ich eine ganze Weile, bevor ich raffe wo ich bin. Einmal miaue ich sogar leise: ‚Julia?‘ Meine eigene Stimme kommt mir fremd vor.
Schnappe mir meine Jacke und die Schlüssel, einen Augenblick später bin ich wieder auf der Straße. Zögere kurz, als ich überlege, wo ich hinfahren soll. Blocher würde Sinn machen.
In meiner Jackentasche spüre ich die zusammengerollten Zettel, die ich bei Corben mitgenommen habe. Ich fahre in den Friedrichshain.
Ein weiteres Mal klingel ich bei Corben, er ist nicht zuhause.
Anderthalb Stunden später taucht er auf. Verschwindet im Haus, ich warte, bis ich sicher bin, dass er oben ist. Gehe rüber, klingel. Sanft und kurz diesmal.
‚Eh?‘ kommt es zurück.
‚Eh krass, deine Mutter heißt Bernd und boxt auf’m Rummel!‘ Ich bekomme keine Antwort. Grienend ziehe ich mich zurück, warte eine Weile.
Ich bin gerade wieder auf dem Weg über die Straße, um ihm auf die Nerven zu gehen, als die Haustür aufgeht. Es ist Corben.
Ficken!
Ich drehe sofort ab, nehme den Kopf zur Seite. Fummel mein Handy aus der Tasche, um so zu tun, als würde ich telefonieren. Nehme Kurs auf einen kleinen Zeitungsladen auf der Ecke, wage es nicht, mich umzusehen. Zu checken, ob er mich erkannt hat.
Ich betrete den Laden, grüße freundlich, wende mich dem Zeitschriftenständer direkt neben der Tür zu. Spähe durch das verschmutzte Fenster, nur teilweise beklebt mit Werbung für BZ, Bild und Pannini-Sticker.
Corben steht an der Straße, genau wie ich einen Moment zuvor sein Telefon am Ohr. Nickt, gestikuliert. Wenn man den telefonieren sieht, könnte man glatt denken, sein Vater sei Italiener. Er beendet das Gespräch, wartet. Sieht die Straße Richtung Lichtenberg runter.
Gemeinsam warten wir ein paar Minuten. Ich nehme mir immer wieder andere Zeitschriften vor, blättere nur kurz darin, um mir nicht vorwerfen zu lassen, ich würde lesen. Bin halt nicht entscheidungsfreudig.
Ein Wagen, der am Bordstein neben Corben hält, beendet die Warterei. Auberginefarben, mit zwei fetten Heckflossen.
Ich kenne den Wagen – bin selbst schon drin mitgefahren. Es ist die Karre von Benz.

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Kommentare zu diesem Text

Kitten (36)
(25.02.10)
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