Wildcard

Erzählung zum Thema Besessenheit

von  Mutter

‚Das heißt, du entlohnst Selbstmordkandidaten königlich dafür, dass sie sich von unseren Kunden umbringen lassen?‘ Nach der anfänglichen Begeisterung sieht Benz plötzlich zweifelnd aus. ‚Und wieso landen unsere Kunden nicht alle im Knast?‘
‚Weil es Notwehr ist, Hase!‘ Gabi grinst. ‚Ich habe euch das Paradebeispiel geschildert – ich werde bedroht, lebensgefährlich, ich wehre mich. Zack. Irgendwer ist tot – nicht ich. So einfach.‘
‚Was machst du, wenn die gerade keine Knarre dabei haben?‘ Meine Stimme klingt wie trockenes Laub. Würde gerne einen Schluck trinken, aber meine Tasse ist leer.
Er zuckt mit den Schultern. ‚Wir liefern die Waffe gleich mit, zusammen mit einer ersten Einweisung und Schießunterricht für den Kunden. Unser Selbstmord-Kandidat bringt die Waffe mit – lässt sie vielleicht fallen. So dass der Kunde sie aufheben und benutzen kann. Das muss man auf Maß schneidern, da fällt uns schon etwas zu ein.‘ Verschwörerisch fügt er hinzu: ‚Der Aufwand und die Logistik können auch gerne etwas aufwändiger sein. Ich habe nicht vor, den Kunden einen waschechten Kill für ein paar hundert Euro zu servieren.‘
‚Was stellst du dir vor?‘, will Benz wissen.
‚Keine Ahnung, muss man sehen – aber ich schätze zehntausend aufwärts kann man für so eine Aktion schon nehmen.‘
‚Du bist vollkommen durchgeknallt!‘, stelle ich fest. ‚Ich fasse es nicht, dass wir darüber reden, als wäre das eine echte Möglichkeit, so etwas durchzuführen.‘
Bei seinem Lächeln fühle ich mich wie in einem Tierfilm. Er Jäger, ich Beute. Oh-oh, fährt es mir kurz durchs Hirn.
‚Ich bin mir bewusst, dass dieser neue Geschäftszweig sagen wir, etwas abenteuerlicher ist als unsere anderen Unternehmungen. Deswegen hat jeder von euch die Möglichkeit, zu entscheiden, ob er dabei sein möchte oder nicht. Wir werden die Agentur etwas umstrukturieren – ich habe einen Investor aufgetrieben, der uns dabei helfen wird.‘
Blocher!
‚Wie gesagt, die Summen, über die wir für Killer Deluxe reden, bewegen sich weit jenseits von dem, was ihr gewohnt seid. Einfache Briefumschläge werden da nicht mehr ausreichen.‘ Wieder das brutale Lächeln, widergespiegelt auf den Gesichtern von Stecher und Benz. ‚Jedenfalls steht es jedem einzelnen von euch frei, euch aus diesem neuen Zweig der Agentur rauszuhalten. An eurem Status als Teilhaber der eigentlichen Agentur ändert sich nichts. Nur profitiert ihr natürlich nicht von den neu anstehenden Gewinnen, das ist klar.‘ Sein Blick wandert zu mir. ‚Wem die ganze Geschichte insgesamt zu heiß wird, der ist ebenso willkommen, komplett auszusteigen. In diesem Fall besprechen wir gemeinsam, wie viel unseres momentanen Kapitals wir flüssig machen können, um eine Auszahlung vorzunehmen. Auch hier gibt es ein oder zwei interessierte Parteien, die möglicherweise eine freie Position als Teilhaber übernehmen würden.
Corben! Das kleine walisische Dreckschwein.
‚Denkt darüber nach. Ich will von keinem bereits heute eine Entscheidung. Lasst es sacken, verdaut das Ganze. Ich weiß – das ist keine Kleinigkeit. Sondern eine Riesen-Sache. Eine Riesen-Chance, so viel kann ich euch gleich sagen. Und noch etwas: Wir haben bereits zwei erste Interessenten für einen Auftrag. Zwei potentielle Kunden. Großwildjäger aus dem Ruhrgebiet.‘ Mit diesen letzten Worten entlässt er uns.
Ich zögere, in einer Mischung aus Rebellion und Benommenheit. Will mit Gabi reden, mich weigern, die Diskussion als beendet anzusehen. Benz nimmt mich am Arm, zieht mich mit nach draußen.
Unten vor der Tür stecken sich er und Stecher Kippen an. Bieten die Schachteln mir und Juri an, wir schütteln zeitgleich den Kopf.
Ich warte, bis sie die ersten beruhigenden Züge genommen haben. Inhale, exhale.
‚Das Ganze ist ein Scherz, oder?‘, fange ich vorsichtig an.
‚Wieso? Ich finde die Sache zwar absolut abgefahren, aber ich hätte da total Böcke drauf.‘ Stecher nimmt noch einen tiefen Zug, fährt fort: ‚Ich meine, das mit den Versicherungen – das hat doch Hand und Fuß. Warum sollten wir da nicht dran verdienen? Zusätzlich ein geiles Event aufziehen?‘
Dass Stecher dämlich genug ist, die Sache geil zu finden, habe ich mir fast gedacht. Wirklich gespannt bin ich auf die Reaktion von Benz. Vielleicht hat es ja gar nichts zu sagen, dass er mit Corben ein wenig in der Gegend rumgegurkt ist.
Benz kneift die Augen beim Rauchen zusammen, zuckt mit den Schultern. ‚Weiß nicht. Ist abgedreht, das alles. Aber wenn er wirklich einen Investor hat – der wird schon wissen, in was er seine Kohle buttert. Die überprüfen so was.‘
Ich werde hellhörig. ‚Was soll denn das für ein Investor sein?‘, bohre ich nach. ‚Der sein Geld ist so ein Ding investiert?‘ Ich schnaube abfällig, um ihn aus der Reserve zu locken.
‚Was weiß ich denn? Ich habe doch keine Ahnung, wen Gabi da aufgetrieben hat.‘ Benz ist kein guter Lügner. Ich bin mir sicher, dass er von Anfang an in der Blocher-Geschichte mit dringesteckt hat. Stecher vermutlich nicht – der ist einfach genug zu überzeugen. Warum sollte sich Gabi die Mühe machen, ihn vorab einzuweihen?
Lahm fährt Benz fort: ‚Vielleicht die Deutsche Bank?‘ Verzieht das Gesicht zu einem schiefen Grinsen.
Stecher lacht. Stellt dann fest: ‚Ich bleibe jedenfalls dabei. Werde mir so eine Gelegenheit doch nicht entgehen lassen. Zu fett für einen Briefumschlag!‘, zitiert er Gabi. Voller Begeisterung holt er aus, will Benz auf den Arm boxen. Hält inne, fürchtet das Echo. Er dreht sich zu Juri um. Auch keine gute Idee. Bis er endlich bei mir angekommen ist, habe ich mich längst außer Reichweite gebracht. Langsam lässt er die Faust sinken. ‚Jedenfalls finde ich das richtig geil. Würde ich auch mal gerne machen.‘ Er hebt seine rechte Hand, zur Pistole geformt, schießt nacheinander auf uns alle. ‚Bist du dabei?‘, will er von Benz wissen. Der zögert, schürzt die Lippen, nickt.
‚Juri?‘ Der Russe zuckt mit den Achseln. Wahrscheinlich hat Stecher keine echte Antwort erwartet.
‚Jakob?‘ Ich sehe Stecher in die Augen, schüttel den Kopf.
‚Echt nicht? Lässt die Kohle sausen? Bist du zu feige?‘ Er pendelt mit dem Oberkörper hin und her, duckt sich, als würde er unsichtbaren Schlägen von mir ausweichen. ‚Mehr für uns!‘, stellt er befriedigt fest. ‚Mehr vom Kuchen.‘
‚Leute, ich muss los!‘, sagt Benz. ‚Soll ich irgendwen mitnehmen?‘ Stecher meldet sich, Juri schüttelt den Kopf. Die beiden trollen sich, Stecher schlingt den Arm beim Gehen kumpelhaft um Benz.
Ich werfe Juri einen kurzen Blick zu, den er tatsächlich erwidert. Mache eine Kopfbewegung Richtung Rad, dann die Straße runter. Er nickt.
Kurz darauf gehen wir schweigsam Seite an Seite Richtung Kottbusser Tor.
‚Wusstest du davon?‘, sage ich endlich, breche das russische Eis.
Juri schüttelt den Kopf. Schießt mir einen knappen Blick zur Seite, blickt wieder zu Boden. Wir gehen eine Weile schweigend weiter.
Endlich sagt er: ‚Aber ich habe mir so was schon gedacht. Er bekommt den Hals nicht voll. Wird nicht satt.‘
‚Bleibst du wirklich dabei?‘ Wieder ein Schulterzucken als Antwort.
‚Hast du nicht das Gefühl, man muss da den Stecker ziehen? Dafür sorgen, dass die Geschichte nicht völlig aus dem Ruder läuft?‘
‚Hör zu, Jakob, ich weiß, dass du mit der Agentur deine Schwierigkeiten hast. Warum steigst du nicht einfach aus? Lässt das alles hinter dir. Mir macht der Scheiß keine Angst.‘ Er kickt eine leere PET-Flasche in die Büsche. ‚Ich habe schon ganz anderen Mist erlebt. Das ist wie ein bei einem möglichen Flugabsturz.‘
Ich raffe nicht, was er mir sagen will. Bleibe stehen, sehe zu ihm rüber. Er lächelt. ‚Ich habe einen Fallschirm. Muss nur aussteigen, wenn’s eng wird.‘
Habe ich einen Fallschirm? Überstehe ich den Start, oder wird mir vorher schlecht? Stürzen wir ab, oder handelt es sich nur um Luftlöcher?
‚Du wirst mir nicht helfen?‘
Er schüttelt den Kopf. Sieht traurig aus. ‚If you can’t stand ze heat, get ze fuck outa ze kitchen‘, sagt er mit hartem Akzent. Ich  muss lachen, er grinst.
‚Ich habe Hunger‘, stelle ich fest. Ziehe ihn mit vorwärts. ‚Lass uns mal ‘nen Döner einsammeln.‘

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Kitten (36)
(04.03.10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Träumerveve95 (17)
(04.03.10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram