Schmerzgrenze

Erzählung zum Thema Grenzen/ Grenzen überschreiten

von  Mutter

Ohne nachzudenken drücke ich auf den Summer, öffne die Haustür einen Spalt. Keine Ahnung, wer es ist. Gehe zurück in die Küche, um mir mein Brot fertig schmieren. Ich höre Schritte im Treppenhaus, die Tür, dann Schritte im Flur.
Das Brot in der Hand und kauend, gehe ich zur Küchentür, sehe in den Flur. Verschlucke mich fast. Corben!
Der Waliser lächelt grimmig, drückt die Haustür zu, ohne sich umzusehen. Panik erfasst mich. Ich weiß, warum er hier ist. Lasse das Brot fallen, will durch die offene Tür ins Wohnzimmer. Keine Ahnung, warum. Raus aus dem engen Flur.
Er wirft sich nach vorne, erwischt mich mit den Händen an der Hüfte, ich knalle schmerzhaft an den Türrähmen. Bin im Zimmer, drehe mich um, die Hände erhoben. Er stolpert mir hinterher.
Mühelos weicht er meinen ausgestreckten Armen aus, duckt sich darunter weg. Hämmert mir seine Faust in den Magen. Keuchend klappe ich zusammen wie ein Gartenstuhl, lande auf alle Vieren auf den Dielen. Ich spucke die Reste meines Brotes hustend auf den Boden.
Seine Hand packt meine Haare, reißt mir den Kopf hoch. Der Schmerz treibt mir Sternchen vor die Augen. Mit einem süffisanten Grinsen hämmert er mir die Rechte ins Gesicht. Mein Kopf kann nicht zurück, die Haare reißen an seinen Fingern. Die Agonie, die meinen Skalp überzieht, als würde ich gerade skalpiert, vermischt sich mit dem wummernden Schmerz, der sich von meinem Jochbein her ausbreitet. Ich sehe nur noch Teile von ihm, vom Zimmer – der Rest ist bereits in Schwärze getaucht.
Er verpasst mir eine Backpfeife mit der offenen Hand, lässt mich los. Ich kippe zur Seite, mein Kopf schlägt auf dem Holz auf. Die gesamte rechte Seite meines Gesichtes steht in Flammen. Was hatte Mick gesagt? 2a? Ohne Narben?
Corben tritt heran, beugt sich über mich. ‚Du kleine miese Ratte. Hast gedacht, du kannst uns erpressen. Deine eigenen kleinen Regeln durchsetzen, ja? Du verfickter Bettnässer – einen Scheiß kannst du.‘
Ohne viel Kraft tritt er mir in die Seite – ich krümme mich auf dem Boden zusammen wie ein Embryo. Er packt erneut meine Haare, reißt mich hoch, so dass ich gezwungen bin, ihn anzusehen.
‚Du bist ausgestiegen – raus aus der Muppetshow. Was willst du noch? Wo ist dein Problem?‘
Ich weiß, dass ich einfach die Fresse halten sollte. Dann schlägt er mich noch ein, zwei Mal, fragt, ob ich meine Lektion gelernt habe und gut ist. Er geht, ich kann aufstehen, meine Prellungen kühlen und zusehen, dass ich mein Ego genauso balsamiert bekomme. Das wäre clever.
‚Ich werde dafür sorgen, dass eure Scheiß-Agentur verklappt wird, du Armleuchter‘, nuschel ich. Mein Mund fühlt sich taub an.
‚Wie bitte?‘, zischt er, kommt näher. Seine große Hand zieht an meinem Schopf. Ich weiß, was als nächstes kommt.
‚Du kannst dich auf den Kopf stellen, Corben – ich habe keine Angst vor dir.‘ Nicht mehr, füge ich in Gedanken hinzu. Plötzlich bin ich wieder bei Millwald, liege auf der Straße, mit meinem Einkaufszettel in der Hand.
Pinienkerne
Das hier ist auch ein Job. Etwas, das ich durchziehen muss. Und auf einmal ist mir egal, was er mit mir anstellt. Den Schmerz halte ich aus, der macht mich größer. Ich  habe nicht mehr das Gefühl, dass ich verlieren kann. Umbringen wird er mich nicht, dafür ist der nicht der Typ.
Aber es fühlt sich so an! Seine Faust erwischt mich oberhalb des Auges, hämmert meinen Schädel gegen den Fußboden, mir platzt fast der Schädel. Blut läuft mir ins Auge.
Er packt mich grob am Kragen, zieht mich halb herum. Dreht mich auf den Rücken. Mir wird die Luft schmerzhaft aus den Lungen gepresst, als er sich auf meinen Brustkorb setzt. So wie der dicke Thorsten Schmitt das früher auf dem Schulhof gemacht hat. Ich muss lächeln.
Wie zur Antwort schlägt mir Corben auf den Mund – ein, zwei Mal, dann ein dritter Schlag. Ich schmecke Blut.
‚Du kleine Mistgeburt. Keine Angst?‘ Er grinst, holt wieder aus. Als nächstes kommt eine weitere Backpfeife, reißt meinen Kopf herum.
‚Nimm mal die andere Wange, du Schwachkopf‘, presse ich mühsam hervor, grinse mit blutigen Zähnen. ‚Auf der Seite fühle ich schon gar nichts mehr.‘
Ich muss an Gabis Worte denken. Jemandem für Geld die Fresse polieren – keine große Sache. Passiert. Für Geld die Fresse poliert bekommen? Auch kein Ding. Wo ist die Kohle, hier ist meine rechte Wange. Die andere kostet extra.
Für einen Moment ist Corben fassungslos. Dann drischt er erneut wütend auf mich ein. Seine Schläge kommen schnell, aus der Schulter, aber ohne die Wucht von vorher. Ich drehe mich weg, so gut es geht. Klappt nur bedingt. Mein Gesicht fühlt sich an, als besteht es aus Grießbrei. Ein Grießbrei aus pochendem Schmerz.
Schnaufend erhebt er sich, drückt sich mit einem Knie von mir hoch. Meine Rippen knacken. Heftig Luft holend steht er über mir, betrachtet mich aus kleinen Augen. Stöhnend rolle ich mich zur Seite, huste, schnaube Blut.
‚Hast du jetzt genug, du Pissnelke?‘
Ich schüttel den Kopf. ‚Wirst du schon müde?‘, keuche ich zwischen Blutstropfen hervor.
Mit einem spitzen Schrei tritt er mir in die Seite – meine Arme und die gekrümmte Haltung fangen die meiste Wucht ab. Er holt noch mal aus, tritt allerdings nicht zu. Scheint müde zu werden. Passt mir gut – ich weiß nicht, wie lange ich mich noch von der Ohnmacht fernhalten kann. Jede Faser meines Körpers sendet alarmiert rote Schmerzsignale in mein Hirn. Flammende Nervenenden.
Corben betrachtet mich. Verzieht sein Gesicht voller Verachtung und rotzt mir auf den Sweater. ‚Das nächste Mal mache ich dich richtig fertig, du Arschgesicht. Halte dich von der Agentur fern.‘ Seine Schritte entfernen sich. Angespannt warte ich darauf, dass er es sich anders überlegt. Zurückkommt, mich mit neu gefunden Kräften noch eine Weile weiter verdrischt. Der Gedanke lässt mich fast flennen. Ich kann nicht mehr.
Aber er kommt nicht wieder. Die Haustür klappt zu, schließt ihn aus, mich ein. Ich schicke ein Stoßgebet zu wem auch immer, fühle Tränen meine Wange herunterlaufen. Alles tut so verflucht weh. Gleichzeitig verzieht sich mein Gesicht zu einem Lächeln. Ich habe es geschafft, verdammte Scheiße!
Dieser Penner hat keine Macht mehr über mich. Ich habe mir meine Seele vom Teufel zurückgeholt.

Erschöpft bleibe ich auf dem Boden liegen. Keine Ahnung, wie lange. Dämmerung kriecht ins Zimmer. Dort zu liegen, zu atmen, und mich gegen die Schmerzen zu wehren, kostet mich alle Kraft, die ich noch habe.
Irgendwann rolle ich mich auf die Seite. Versuche mich hochzustemmen. Glühendweiß flammt es durch meine Seite, ich falle in mich zusammen wie ein erschreckter Hefeteig bei zu kalter Luft. Atme weiter, sammel Kraft.
Als ich endlich wage, einen weiteren Versuch zu unternehmen, schaffe ich es bis auf die Knie. Eine weitere Pause, ich stehe auf.
Falle fast sofort wieder hin, so schwindelig ist mir. Meine Hand greift nach der Wand, verschmiert Rostbraun auf dem Weiß. Ich taste mich ins Bad, lasse kaltes Wasser über mein verformtes Gesicht laufen.
Presse einen feuchten Waschlappen ins Gesicht, meide den Spiegel. Habe Angst davor, mich  selbst zu sehen. Dafür habe ich gerade nicht die Kraft.
Ich schleppe mich zurück ins Wohnzimmer, lege mich vorsichtig, Zentimeter für Zentimeter, auf die Couch. Der Waschlappen auf meinem Gesicht gibt mir die Illusion von Linderung. Ich dämmere weg.

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Kommentare zu diesem Text

Träumerveve95 (17)
(07.03.10)
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 Mutter meinte dazu am 08.03.10:
Cooles Lob - danke schön ... :)
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