Die Wand

Kurzprosa zum Thema Angst

von  blauefrau

Heute Morgen prallte ich direkt beim Aufstehen gegen eine Wand. Sie war breit, hoch und dunkel, und ich zuckte zusammen, als ich sie erkannte.

Die Mauer war wild mit Graffiti versehen. Mal sah ich einen bizarren Totenschädel, der mir die Zunge herausstreckte, mal nahm ich undeutlich einen Ordner mit vielfältigen Mahnungen wahr, ich erkannte ein Kind, das gefüttert werden wollte, ein altes Ehepaar, meinen Eltern sehr ähnlich, das mit einem Telefonhörer drohte. Ich bemerkte einen Arzt, der mir aus einem Fenster einen Untersuchungstermin entgegenstreckte, ich erkannte ein F, das ich sofort auf Finanzamt verlängerte, und als ich mich zum Schluss soweit gefasst hatte, dass ich die Mauer ein wenig mehr im Überblick wahrnehmen konnte, erkannte ich die Zusammengehörigkeit der folgenden schwarzen riesengroßen Lettern:

A  N  G  S  T.

Ich streckte meine Finger nach dem  großen  N  aus, das sich plastisch aus der Wand direkt mir entgegenwölbte. Kaum hatte ich den Buchstaben berührt, vereinigte sich dieser mit den anderen vier dicken Buchstaben rasch zu einem schwarzen Spruchband, das die ganze Wand schwarz überzog. Diese Symbiose formte sich  schließlich zu einer Glocke, die sich über mich stülpte und mich hochsaugte und runterprallen ließ. Hoch und runter, hoch und runter.
Ich fiel auf den Boden. Mühsam richtete ich mich wieder auf. Ich konnte nur einmal kurz einatmen, da verwandelte sich die Glocke auch schon  in eine oszillierende Röhre, die mich ganz umschloss. Als ich meine Ellenbogen gegen sie drückte, fesselte sie sie in dem Bruchtal einer Sekunde. Ich konnte meine Arme nicht mehr bewegen. Ich versuchte es mit meinen Beinen. Den Widerstand meiner Beine brach sie, indem sie diese zunächst zum Zittern brachte, sie dann verdrehte und schließlich die Füße fesselte.
Die Röhre war so hoch, dass ich kaum das Ende eines Tunnels wahrnehmen konnte, sie schien mit dem Boden verwachsen, denn sie ließ auch meine Füße nicht hinaus, und ich versank schließlich im Erdboden.

Jetzt brach es erst richtig auf.
Die Angst sog mich in ihren großen dunklen Schlund, ich fiel in sie hinein wie ein geschredderter Autoreifen, und ich merkte, wie mir die Angst jetzt erst richtig entgegenschlug, wie sie meine Gedärme aufwühlte und mir die Luft abschnürte, wie sie meine Gedanken umwälzte, immer und immer wieder, wie sie mir bizarre Schreckensbilder vor mein inneres Auge zauberte, in schrillen, selten gesehenen Farben, die  auch mit schwarzen endzeitlichen Eindrücken  und Visionen vermischt waren. Sie durchsetzte alle meine Fasern.
Es gab eine kurze Ruhepause, in der ich Versprechungen für die Zukunft machte. Doch es nützte nichts. Ich war in der Angst
g e f a n g e n.
Ich wollte mich an meinem Schrank festhalten  und brachte mich schließlich selbst zu Fall , da meinen Hände wie gelähmt den Schrank nicht mehr umgreifen konnten. Sie mussten durch den Angstnebel hindurchgreifen. Ich  wankte und fiel schließlich zu Boden, meine Hände, inzwischen feucht, glitten vom Bettrahmen ab, meine Beine verkrampften sich, selbst meine Stimme versagte, nachdem ich vergeblich ein wenig dünn krähend noch einen Mitbewohner als Hilfe angefordert  hatte. Mein Mund war trocken, mein Herz schlug beschleunigt. Ich brachte keinen Ton mehr heraus.
Panik jagte mir den Rücken rauf und runter. Meine Hose war vollständig nass, ich kam gegen diese Röhre nicht an, die  noch über die Zimmerdecke hinaus zu ragen schien, und mir wurde schwarz vor Augen.

Als ich aufwachte, sah ich zwei Füße vor mir, die mich nach Größe und Beschaffenheit an die meines Mitbewohners erinnerten. Und wirklich, er war es, und er hatte ein Karaffe mit Wasser in der Hand, deren Inhalt er großzügig über mich auszubreiten schien. Ich schrie und sprang auf.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (09.03.10)
Dass die Protagonistin Angst hat, mußt Du nicht ständig und so nachdrücklich sagen + wiederholen; wir Leser sind nicht dumm!
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