Onkel Hotte - für Eisenvater

Erzählung zum Thema Alles und Nichts...

von  Lala

Heute musste ich an meinen Onkel Hotte denken, als ich eine Anekdote des Autoren Eisenvater las.

Onkel Hotte, war der Bruder meiner Tante und wir alle sind Frühaussiedler aus dem kaukasischen Raum. Hotte nicht. Der kam später und hat noch immer diese Schaumschläger Attitüde. So sei er z. B. der Herrscher der Erde oder könne, wenn er wolle, jede American Express Karte bekommen, die er wolle. Jede.

Auch sagte er des Häufigeren: „Ach fick mir doch den Storch.“ Er bestand darauf, dass es eine alte kaukasische Redensart sei, den Storch zu ficken, wenn ein Wechselbalg das Licht der Welt erblicke.

Meine Tanten und meine Mutter mochten Hotte nicht. Er sei zu lange bei „denen“ gewesen. „Die“ waren nicht die, wie ich vermutet hatte, die hinter dem Eisernen Vorhang die Leute bespitzelten, nein, meine Tanten meinten mit denen, alle die, die zu lange in diesen kaukasischen Wäldern gehockt hätten und einfach nicht zivilisiert seien. „Die“ konnten nicht richtig deutsch, benahmen sich unmöglich und – am Schlimmsten - seien laut. Ja, das war Hotte tatsächlich: laut.

Wenn er zu uns zu Besuch kam, hörten wir ihn schon drei Straßenkreuzungen vorher. Mindestens seine Hupe. Aber meistens brüllte er auch aus dem Fenster andere Verkehrsteilnehmer an, dass sie ihre faulen Ärsche schneller bewegen, sich ein anderes Auto kaufen sollten oder vom Storch gefickt seien. Hotte fuhr natürlich einen Benz. Immer schon. Also seit er in Deutschland lebte. Aber natürlich sahen die nicht immer gleich gut aus. Geputzt hat er sie immer und mit großem Stolz bewegt. Alle anderen Autos seien Mist, sagte er mir immer. Seien Mist oder Blech mit 4 Rädern und Tür. Könnte ich nehmen und wegschmeißen. Wer seinen Opel geklaut bekommt, solle dem Schöpfer danken und sich nicht beklagen. So ein Diebstahl sei kein Diebstahl sondern so etwas wie eine Art von Chance. Man müsse das nur verstehen. Benz dagegen ist Ausdruck von Lebensart. Die könne einem nie geklaut werden, also hat man die auch immer, Kleiner.

In dieser Logik gab es für Hotte keine Fehler oder Brüche. Leben ist geradeaus, Straße geht immer weiter, Uhr geht immer weiter – also? Guck Dich um. Auch das war eine Argumentation, die Hotte gerne mir gegenüber wiederholte. Das Einzige, was nicht weiterging, war die Kilometerscheibe und der Tacho in seinem Benz. In keinem. Nie. Hotte fuhr immer nach Gehör. Ist nur äußerlich, antwortete er mir, als ich ihn einmal darauf ansprach, dass es – obwohl es ja immer weiterginge – bei den Anzeigen in seinen Autos sich anscheinend nicht so verhält. Ich dachte ich sei clever, hätte ihn erwischt, als ich ihn das fragte. Aber Hotte blieb gelassen und wiederholte, dass es nur äußerlich sei. Innerlich zähle die Uhr weiter. Er würde das ja auch hören und wüsste genau, wie viele Kilometer der Motor drauf hat oder wie schnell er grade führe.
Könne jeder. Könne jeder, der zuhören und lernen wolle. Aber wenn Du nur ablesen willst im Leben, Kleiner, wenn Du glaubst, dass es immer eine VDO zertifizierte Anzeige gibt, die Dir sagt wie gut oder schlecht der Motor, die Maschine oder die Frau ist, wirst Du nie etwas verstehen. Die Anzeigen seien äußerlich. Und viele Leute, die eigentlich Idioten seien, achteten eben auf die Anzeigen, weil sie nichts verstehen. Sie brauchen eine positive Anzeige für ein positives Lebensgefühl. Und er, Onkel Hotte, würde den Idioten genau das schenken: ein positives Gefühl. Ein positives Gefühl, wenn sie ihm seinen Benz zu einem tollen Kurs abgekauft hätten.

Ja, das war Hottes Stärke, er konnte an den Dingen, an allen Dingen, so lange rumfummeln, bis sie wieder liefen oder gut aussahen. Sehr zum Leidwesen meiner Tanten, die von seinem Talent auch wussten und irgendeine von Ihnen hatte immer ein Problem oder etwas gekauft, was dann doch nicht lief oder so lief, wie sie sich das vorgestellt hatten. Dann kam Hotte und fixte es. Trank Tee, schlabberte an den Torten und ich durfte ihm die Werkzeuge reichen. Am Ende lief es fast immer. Wenn es nicht lief, dann sei es vom Storch gefickt, hätte nie etwas getaugt und Hotte nahm es dann mit und verkaufte es weiter – mit einem positiven Gefühl.

Während meine Tanten in ihren Nestern hocken blieben und mich bemutterten, wuchs der Hinterhof-Laden von Hotte. Er wuchs nicht direkt, aber peu a peu veränderte sich der Look. Eine frisch gestrichene Fassade, eine neue Fassade, ein besserer Benz, moderneres Werkzeug und Computer.

Es dauerte auch nicht lange, da schraubte Hotte auch an diesen Geräten herum. Ist auch keine Raketenwissenschaft, hatte er mir einmal gesagt. Ja, Raketenwissenschaft, dass schien die Wissenschaft zu sein, vor der Hotte noch so etwas wie Respekt hatte.

Tantchen hatte mir mal erzählt, dass Hottes Vater in Baikonur bei einem riesigen Unglück, bei der eine Rakete mit zwölf Turbinen in die Luft gegangen sei, verbrannt sei. Seit dem Tag hätte Hotte Respekt vor Raketenwissenschaft. Vor allem anderen aber leider nicht, wie sie dann hinzufügte. Aber das wisse ich ja bereits. Wusste ich das?

Was ich wusste, war, dass Hottes Geschäft und seine Geschäftsfelder wuchsen und dass er immer mit irgendeinem technischen Schnickschnackgerät herumlief. Aber er lief auch immer in Arbeitsklamotten herum. In roten, blauen oder schwarzen Blaumännern. Wahrscheinlich, je nachdem, ob er als Heizungsmonteur, auch keine Raketenwissenschaft, Automechaniker oder IT-Techniker gefragt war. Aber da war ich mir nicht sicher. Allerdings wartete ich auf den Tag, wo seine doch so offensichtlichen Betrügereien auffliegen müssten. Meine Tanten waren sich ganz sicher, dass dieser Tag nicht mehr fern sei. Aber das war er schon vor Jahren nicht. Der Tag kam nicht. Statt dessen kam ich zu Hotte und fragte, ob er einen Job für mich hätte.
Natürlich wusste keiner meiner Tanten davon und Hotte fragte mich dann: was ich denn könne. Ich konnte nichts. Er packte mir ein Ventil auf den Tisch und fragte mich, ob ich ihm ein Ventil erklären könne, dann ein Amperemeter, einen Trafo, eine Duschgarnitur, er fragte, ob ich es einbauen oder erklären könne. Ich konnte nichts. Nichts annähernd richtig. Und dann schaute er mich groß an und fragte mich, ob ich ihm jemals zugehört hätte. Ich antwortete ihm, dass ich gedacht hätte, dass er mir alles was ich so brauche, halt beibringe.
Großer, so hieß ich mittlerweile, was glaubst Du, habe ich gemacht, als ich anfing? Bin ich zu Onkel Hotte gegangen? Nö. Es gab keinen Onkel Hotte. Zu Deinen Tanten? Hier, dann packte er seine Pfoten auf den Tisch, und sagte: Damit habe ich es gemacht. Mit meinen Pfoten. Alles; ich habe gelesen, gefragt, mich schlaugemacht und habe von morgens bis abends gearbeitet und nicht wie deine Tanten nur da gesessen, Deckchen gehäkelt, Tee getrunken und das Näschen über Hotte gerümpft. Glaub mir, Großer, ich liebe die Tanten, aber sie haben keine Ahnung.

Während Hotte so schwadronierte fiel mir auf, dass an seiner Wand etliche Zertifikate hingen. Meisterbetrieb und Schulungserfolge. Innungsmitglied und etc. pp. Unvermittelt fragte ich ihn, ob die echt seien. Wir kannten uns schon zu lange, als dass er hätte, beleidigt sein können. Nein, er lachte sogar laut auf. Natürlich seien die echt. So echt sie halt sein können. Wichtig sei nur die Frage, ob sie funktionieren. Und das täten sie. Sie würden so wunderbar funktionieren, wie diese AmEx Karte hier. Ehe ich mich versah, schob er mir eine schwarze AmEx Karte rüber. Sie war auf seinen Namen ausgestellt. Ist aus Titan, sagte er und: keine Limits. Mit der Karte bekommst Du da draußen alles, was Du haben willst. Ist auch echt. Obwohl vom Storch gefickt und leichter zu bekommen, als jeder dieser Zertifikate an seiner Wand. Viel leichter. So ein Konto sei eben ein Kilometerzähler, der bewegt werden will, der bewegt werden müsse. Man müsse eben nur Bewegung simulieren, viel Bewegung simulieren und dann würden die Idioten kommen und einem soviel Geld geben, wie man wolle. Und alle hätten dabei ein positives Gefühl. Aber das erledige Deine Arbeit immer noch nicht, Großer, schloss er schließlich seine Rede. Dann stand er auf, drückte mir das Ventil in die Hand und gab mir auf den Weg, dass ich wiederkommen soll, wenn ich es verstanden hätte.

Ja, das war Onkel Hotte und das wollte ich auch mal kurz zum Besten geben.

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Kommentare zu diesem Text


 styraxx (22.03.10)
Ich mag nicht ins Detail gehen, aber das hast Du wirklich zum Besten gegeben - spannend erzählt, wie ich finde und mittels einem federleichten, saloppen Sprachduktus, der einem immer wieder ein Schmunzeln entlockt. Gerne gelesen. LG

 Lala meinte dazu am 22.03.10:
Das freut mich.
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