Broken Fugu

Roman zum Thema Morgenstimmung

von  Mutter

Es ist kurz vor sechs, als ich die Reichenbergerstraße hinunterlaufe, die Tüte mit frischen Brötchen in der linken Hand. Es ist ein ruhiger Samstagmorgen, die Luft schmeckt klar, und die Vögel plappern in den vielen Bäumen, die die Straße säumen, vor sich hin.
Vor mir lädt jemand einen Kleinlaster aus, die Kartons sind für einen Mini-Supermarkt schräg gegenüber von unserem Haus bestimmt. Der Getränkemann zieht eine Palette mit Kästen von Fruchtsaft die Rampe hoch, wir grüßen uns.
Der schwarze Hahn, die Kneipe unten in unserem Haus, liegt stumm und verlassen da. Ich bilde mir ein, ich könne den kalten Rauch, der ihr aus allen Poren dringt, riechen. Kein Hardrock und Alternative mehr, um diese Zeit herrscht selbst hier Ruhe.
Ich schiebe mich in den Hausflur, laufe geschmeidig die zwei Stockwerke bis nach oben. Das Schloss öffne ich in Zeitlupe, um Luisa nicht zu wecken.
Kurz darauf schlüpfe ich nackt zu ihr unter die Decken, dränge meinen kühlen Körper an ihren Hintern. Sie maunzt im Halbschlaf, drückt sich an mich. Als ich ihren runden Hintern gegen meine Lende spüre, regt sich dort unten was.
Mit einem Lächeln küsse ich eine nackte Schulter, suche mit den Zähnen ihren Hals. Meine Locken kitzeln Luisas Nacken. Sie reagiert, wird aber nicht wach. Nach einem Moment gebe ich die Versuche auf, sie zu überreden. Meinen Kopf auf die Hand gestützt, betrachte ich sie, streiche vorsichtig mit den Fingerrücken über die weiche, warme Haut. Da wir keine Vorhänge im Schlafzimmer besitzen, flutet das morgendliche Licht bereits über die abgezogenen Dielen. Ich küsse sie ein letztes Mal in die kleine Kuhle zwischen Hals und Schulter und kuschle mich dann hinter ihr ein. Den rechten Arm habe ich schwer über ihre Taille gelegt, mein Gesicht in einen dichten Vorhang aus ihren Locken gegraben. Mache es mir dunkel.
Ihr Geruch umhüllt mich wie eine warme Decke - innerhalb von Sekunden bin ich eingeschlafen. 

Luisa weckt mich nach ein paar Stunden Schlaf mit ihren Küssen. Erst ganz sanft, sodass sie sich schwerelos in meinen Traum einweben, in dem ich durch einen Wald aus Seidengespinsten laufe. Dirty ist vor mir, gekleidet in rosafarbene Ballonhosen und brüllt mir zu, ich solle den Schneemännern folgen.
Die Küsse werden fordernder, sodass sie mich damit aus dem Schlaf hebt. Gierig komme ich ihr entgegen, beiße sanft in ihre Lippen, erforsche ihren Mund.
„Bist du schon wach?“, fragt sie mit einem Lächeln und fasst mir zwischen die Beine.
„Ich  habe gerade von Dirty geträumt“, antworte ich zwischen zwei kleinen Küssen. Sie zieht sich zurück, grinst mich an. „Na gut – vielleicht sollte ich euch zwei dann lieber alleine lassen.“
„Du spinnst wohl!“, rufe ich, stürze mich auf sie. „Hast mich schon letzte Nacht abblitzen lassen.“ Mit einem kleinen Quieken lässt sie sich von mir niederringen. Unsere Küsse und Umarmungen werden zielgerichteter.

„Was machst du heute?“ Sie schiebt sich das Brötchen in den Mund und beißt ab. Luisa bestreicht immer nur einen Teil von Brot oder Brötchen, bevor sie ihn isst. Sie braucht dabei Ewigkeiten und treibt mich regelmäßig in den Wahnsinn. Ich räche mich dafür, indem ich an allem, was ich esse, erst einmal rieche. Das nervt sie maßlos.
Ich schnüffle kurz an der Erdnussbutter, bevor ich sie mir fingerdick auf das weiche Butterhörnchen streiche. Sie grinst, als sie meine Geste bemerkt. „Du hast einen Knall.“
„Bin nachher noch zum Tanzen mit Dirty verabredet. Er hat Aussicht auf einen Kampf in zwei Wochen. Was ist mit dir? Wann bist du wieder zu Hause?“
Luisa arbeitet in einem kleinen Reisebüro hinterm Kottbusser Tor, und zusammen mit der Kollegin wechselt sie sich an den Samstagen ab. Heute ist sie dran.
„Halb drei, vielleicht drei. Eventuell wollte ich mich noch mit Manu treffen.“ Die beiden Zwillingsschwestern sehen sich mehrmals in der Woche, und oft genug bin ich bei diesen Treffen das dritte Rad am Wagen. Ich mag Manu, und wir kommen gut miteinander aus – aber gegen zwei Frauen, die ähnlich denken, meistens die gleiche Meinung haben und auch sonst im Gleichklang schwingen, ist kein Kraut gewachsen.
Luisa hatte irgendwann abends beim Wein mal aus Quatsch vorgeschlagen, wir könnten doch in einer Dreier-WG zusammenziehen. Die beiden hatten den Rest des Abends die Idee weitergesponnen und ich zwei Nächte lang nicht richtig schlafen können.
„Ich weiß gar nicht, was du hast – du könntest quasi zweimal mit mir ins Bett“, hatte Luisa vorgeschlagen. Ich war rot geworden und hatte mich hinter meinem Weinglas versteckt. Manu hatte nur gelacht.
Ich betrachte Luisa, wie sie dort vor mir sitzt, und mir wird fast schwindelig, so gern habe ich sie. Unvermittelt muss ich grinsen. Sie bemerkt meinen Blick, sieht misstrauisch hoch. „Was ist?“
„Aber heute Abend sehen wir uns?“, versuche ich abzulenken.
Sie nickt, schmiert sich Frischkäse auf eine Ecke ihres Brötchens. „Wollen wir was unternehmen?“
Ich zucke mit den Schultern. „Lass uns hierbleiben. Ich koche – ist das in Ordnung?“
Luisa nickt, lächelt. Sieht mich mit diesem Blick an, bei dem ich genau weiß: Sie denkt darüber nach, wie sehr sie mich liebt. Meistens kommt dieser Blick, wenn ich irgendetwas Albernes oder Dämliches mache. Diesmal erwidere ich das Lächeln, sonne mich in ihm.

Wir nehmen den alten Fahrstuhl hoch in den dritten Stock, treten durch den Gang mit den armseligen Palmenpflanzen. Keiner von uns versteht, wie die armen Biester hier oben überleben können – ohne Licht, Luft und Liebe.
Vorne am Tresen sitzt Tomte und liest in einem Magazin. Tomte sieht aus wie Danny DeVito – nur noch kleiner, und noch runder. Er arbeitet seit dreißig Jahren in Sportstudios und hat noch nie eine von den dämlichen Maschinen benutzt, behauptet er immer stolz. Er ist Türke - keine Ahnung, wie er zu dem ungewöhnlichen Namen gekommen ist. Tomte ist fast immer da – betreut das Studio fünfzehn, sechszehn Stunden am Tag. Hier ist immer auf, rund um die Uhr.
Wenn Tomte nicht da ist, kümmert sich Cem, der Besitzer, selber um den Laden. Uns ist lieber, wenn er nicht hier ist. Dann läuft das Ganze entspannter.
Ich komme kurz nach Dirty aus der Umkleide. Durch die lange Fensterfront sehe ich hinaus auf Kreuzberg. Auf die Gleise der U1, die hier hoch über dem Boden verlaufen. Der Himmel nach Neukölln runter ist genauso schmutzig wie die alten Scheiben, durch die ich starre. Hinter mir ertönt das rhythmische Quietschen der Rudermaschine. Dirty hat mit seinem Workout begonnen.
Ich wende mich dem großen Raum zu. Ein müder Türke sitzt drüben auf einem Spinningrad und hält den Blick starr auf einen Bildschirm mit einer Morgensendung gerichtet. Ansonsten liegen drüben im Freihantel-Bereich nur zwei Handtücher.
Ich lockere die Schultern und Arme, rotiere sie wie Windmühlen. Eigentlich sollte ich wie Dirty mit dem Warm-Up anfangen, aber dafür bin ich zu ungeduldig. Scheiß auf die Vernunft. Ich gehe rüber zum Rack und schnappe mir zwei Hanteln. Fange mit dem Bizeps an.
Dirty wirft mir einen bösen Blick zu und schüttelt den Kopf. „Du holst dir noch eine Muskelzerrung, alter Mann.“
„Erzähl mir das im Ring, Küken“, kontere ich. Mein Grinsen verzerrt sich zu einer Grimasse, als ich die fünfzehn Kilo mit dem rechten Arm hochstemme.
Einatmen, links hoch, ausatmen, links runter, einatmen, rechts hoch, ausatmen, rechts runter.
Kontrolliert und gleichmäßig wuchte ich die Gewichte hoch und runter, wie eine Maschine. Die Muskeln fangen an zu brennen, meine Hände zittern leicht. Eigentlich sollte ich den Satz längst beenden – eine Pause machen, neu beginnen. Aber es fühlt sich zu gut an. Ich steigere die Zahl der Reps, der Wiederholungen, bis ich keine mehr sauber hinbekomme. Ich lasse die Hanteln mit einem Stöhnen auf ihre eisernen Schienen im Rack zurückfallen. Erst jetzt entweicht die restliche Luft aus meinen Lungen mit einem lauten Pfeifen.
„Du klingst wie ein kaputter Kugelfisch – broken Fugu“, lacht Dirty und haut mir auf die Schulter, als er rüberkommt.

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Kommentare zu diesem Text


 star (31.03.10)
gut

 star meinte dazu am 31.03.10:
weiter

 star antwortete darauf am 31.03.10:
weiter

 Mutter schrieb daraufhin am 31.03.10:
Du weißt schon, dass Du einen leichten Knall hast, ja? :D

Danke ...

 star äußerte darauf am 31.03.10:
Hey, keine persönlichen Beschimpfungen in Komms, sonst muss ich dich melden :-P Das war diesmal nicht mein Knall, sondern Bedienungsirritationen. Weitermachen

 Mutter ergänzte dazu am 31.03.10:
...

:D
blaubeermund (26)
(31.03.10)
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 Mutter meinte dazu am 31.03.10:
Geduld ... :)
Morgen!

 Melodia meinte dazu am 01.04.10:
stemmen und absetzten.... maximalgewicht gehoben juhu!

lg und bis morgen^^

 franky (07.05.10)
Hi Muter, da muß ich meine Lieblingsstelle zitieren:
"Luisa weckt mich nach ein paar Stunden Schlaf mit ihren Küssen. Erst ganz sanft, sodass sie sich schwerelos in einen Traum einweben, in dem ich durch einen Wald aus Seidengespinsten laufe. Dirty ist vor mir, gekleidet in rosafarbene Ballonhosen und brüllt mir zu, ich solle den Schneemännern folgen.
Die Küsse werden fordernder, so dass sie mich damit aus dem Schlaf hebt. Gierig komme ich ihr entgegen, beiße sanft in ihre Lippen, erforsche ihren Mund."

Das ist so was von Zärtlich!
Das kann man nur nachfühlen wenn man es selber erlebt hat.

Mußte extra nochmal hier zurückkommen um die das zu sagen...

Herzliche Grüße und schönes WG Franky
AnnaMombasa (32)
(28.07.10)
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 Mutter meinte dazu am 30.07.10:
:)
Danke für den Kommentar.

Aber immerhin hast Du diesen Jonas nie wieder vergessen. ;)
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