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1. Schwarz

Text zum Thema Trauer/Traurigkeit

von  Erdbeerkeks

Sie streckt sich nach oben, balanciert auf ihren Zehenspitzen während ihre Fingerkuppen versuchen, den schweren Einband im höchsten Regal der Bücherei zu erreichen. Sie sieht konzentriert dabei aus, gleichzeitig versuchend, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, aber trotzdem kommt sie nicht dran.
Ich zucke die Schultern, trete einen Schritt näher und greife über ihre Schulter hinweg und ziehe ihr Zielobjekt aus der Reihe von weiteren alt aussehenden Büchern. Für mich ist das ein Leichtes, ich bin schließlich ein oder zwei Köpfe größer als sie und sie muss auch jetzt hochsehen, als sie sich nach ihrem anfängigen Erstarren herumdreht und mich unsicher anblickt. Ihre großen Augen huschen von meinen hinüber zu meiner Hand, in der ihre vermutlich zweimal hineinpassen würde.
Ich halte dem Mädchen ihr Buch entgegen, lächle ein wenig und ermutigend. Sie tut mir ein bisschen leid. Sie ist so still, eine wirkliche graue Maus. Sie fällt kaum auf und wäre mir nicht so langweilig gewesen, während ich Geschichte gelernt hab, hätte ich sie nicht bemerkt. Und doch, obwohl sie nicht mein Typ ist, eigentlich gar nicht... Jetzt, wo sie so vor mir steht, ganz nah und mich in gespannter Erwartung anblickt, hat sie doch eine außergewöhnliche Wirkung auf mich.
Mit ihren kleinen Händen nimmt sie es also an sich, drückt es fest an ihre Brust, als hätte sie Angst, es fallen zu lassen und sagt mit leiser Stimme „Danke“.
Dann zieht sie ihren hochgerutschten Ärmel soweit es geht hinunter. Wäre vielleicht eine gar nicht auffällige Geste gewesen, wenn sie es nicht so vertuschend getan hätte, so übertrieben unauffällig.
Als sie sieht, dass ich auf ihr Handgelenk blicke, das nun von ihrem taubengrauen Pullover verdeckt wird, wird ihre Haltung noch ein wenig geduckter und ihr Blick heftet sich auf den staubigen Teppich zu unseren Füßen.
„Danke“, piepst das Mädchen noch einmal, winkt halbherzig und huscht dann zurück zwischen die Regale. Dorthin, wo sie sich am sichersten fühlt. Durch die löchrigen Reihen von Büchern hindurch sehe ich, wie sie sich an einem Tisch nicht allzu weit von dem, an dem ich sitze niederlässt, doch wo sie genug distanziert durch Tonnen von vergilbtem Papier ist.
Nein nein. Ich weiß, was ihr jetzt denkt. „Die Arme, ich weiß, dass sie Narben an ihrem Arm hat… Ja, vielleicht sogar ein paar frischere Wunden. Und jetzt wird der Helferinstinkt des Protagonisten geweckt und er will sie aus dem tiefen Sumpf des Selbstmitleids ziehen.“
Falsch (mal ganz abgesehen davon, dass diese Metapher schon total abgegriffen ist).
Das, was ich an dem Tag gesehen hab, war nichts Auffälliges. Eigentlich Garnichts, worüber ich mir großartig Gedanken machte.
Es war nur ein simples schwarzes Satinband, das sie zusammengeknotet um ihr knochiges Handgelenk trug.


Anmerkung von Erdbeerkeks:

Das ist kein typischer depressiver schwarz/Trauer/Weinen/Mein-Leben-ist-scheiße - Text.
Die Themen- und Titelwahl hat schon 'ne Bedeutung. Einfach abwarten, ihr werdet's merken.

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Kommentare zu diesem Text


 princess (01.04.10)
Bänder knüpfen...
schwarzer Satin...
Du machst mich neugierig!
Wann kommt Text 2?
Nein, ich bin nicht ungeduldig, kein bisschen...;-)

 franky (01.04.10)
Hi! Das interessiert mich auch.
Flüssig und klar geschrieben.

Herzliche Grüße

Franky
TeBö94 (23)
(03.08.14)
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