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1. Bekanntschaften

Text zum Thema Menschen

von  Erdbeerkeks

„Sam!“, rufe ich durch die schwüle Sommerhitze, die mich umgibt und meine Stimme ganz dünn klingen lässt. „Sam!“, wiederhole ich noch einmal, etwas lauter.
Verdammter Köter.
Ächzend stapfe ich in meinem weißen Sommerkleid und mit nackten Beinen durch das kniehohe Gras. Weiß Gott, wo ich hier gelandet bin. Ich war nur mit Sam draußen, irgendwo hier im Dorf hinter den letzten Häusern, wo ich noch nie gewesen bin. Erst waren weit und breit nichts als Felder zu sehen, bis ich eine kleine Landstraße entdeckte, die nach einigen Biegungen durch einen kleinen Wald führte, und als ich auf der anderen Seite wieder hinauskam, war der Weg zuende, nur noch Gras in Sicht und mein Hund machte sich aus dem Staub. Kaninchen, irgend’n Vogel… Maus. Was auch immer das war, ich konnte nicht ahnen, dass mein Hund sofort die Biege macht, sobald ich ihn von der Leine lasse. Jedenfalls hab ich jetzt eine Lektion für’s nächste Mal gelernt. Eine schmerzhafte. Fluchend zerre ich herumliegendes Dornengestrüpp bei Seite.
Die lichte Wiese wird langsam von immer mehr Bäumen gespickt, erst nur vereinzelt, dann immer dichter bis ich plötzlich vor einem Wall aus Giganten stehe, die sich vor mir auftürmen und verächtlich auf mich heruntersehen. Trotzig starre ich zurück, als ich Sam bellen höre. Ha, also muss er da irgendwie durchgekommen sein. Wenn er das schafft, schaff ich das auch.
Suchend streife ich die Mauer aus Bäumen entlang, die wie in einer Linie gepflanzt zu sein scheinen. Zwei absolut parallele Reihen direkt hintereinander, sodass sie mir keine Einsicht ins Innere gewähren. Na auch egal. Dann such ich halt den Eingang. Gehe und gehe eine ganze Weile, bis sich der Miniwald plötzlich in dichtes Gebüsch und Heckenpflanzen auflöst. Wenn ich genau hinsehe, kann ich dazwischen einen Eisenzaun ausmachen. Ja, ziemlich niedrig, aber je weiter ich mich durch die Gräser kämpfe, desto höher wird er, bis ich irgendwann vor einem pompösen schmiedeeisernen Tor stehe und beeindruckt die Arme verschränke.
Ich habe keine Ahnung, was das ist, aber das ist bestimmt der Grund, warum das Tor einen Spalt offen ist. Sowas schreit doch nur nach neugierigen Mädchen, oder?
Außerdem ist mein Hund da drin. Ja genau, mein Hund und falls jemand fragt, warum ich hier bin, werde ich auch genau das sagen, denke ich mir, während ich durch die Öffnung schlüpfe und einem grob getrampeltem Weg, der zwischen Wildgewächs und Sträuchern hindurchführt, folge.
Ich bin ja eigentlich nicht so die Abenteurerin, aber das hier ist interessant. Höchst interessant. Wer das wohl war? Sieht alles ziemlich verwahrlost aus. Bestimmt schon seit Jahren verlassen und irgendwer hat das hier verkommen lassen, ich wette, das hier war früher mal ein Garten oder sowas. Gut gepflegt von irgendwem, der –
„Hallo?“, höre ich plötzlich ganz dicht neben mir durch die Büsche hindurch und ich erschrecke fürchterlich. Ein Schaudern durchzieht mich von den Fußspitzen bis in mein Herz, lässt mich panisch zusammenzucken und dann auf der Stelle erstarren. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Oh Gott, wer ist das? Ich schweige einfach, bewege mich nicht. Mache einfach garnichts mehr, bis ich mir sicher bin, dass er denkt, dass ich verschwunden bin. Das klang nach Mensch, denke ich. Hoffe ich.
Ja klar, was denn auch sonst? (Mein Gott, werd doch nicht gleich so irre...) Und Menschen sind nicht so gefährlich in den meisten Fällen und ich bin in den meisten Fällen nun mal sehr wissbegierig.
Trotz meines Schreckens entschließe ich mich der mysteriösen Stimme nachzugehen und gelange nach einer Weile lautlosen Schleichens auf eine Art Lichtung. Ein kreisrunder Platz, bewachsen von niedrigem Gras und Moos. Und dort, auf dem Boden sitzt ein Junge. Hockend und konzentriert auf den Rasen vor sich starrend. Seine in ihre Aufgabe vertieften Augen sind so grün wie das Blätterdach über uns und mit seinen dunkelbraunen Haaren und der nicht ganz so blassen Haut hätte ich ihn hier beinahe nicht entdeckt. Aha. Der war das also.
Verwirrt bleibe ich in der Biegung des Weges stehen und platze ein unhöfliches „Was machst du denn da?“ heraus. Mein Gegenüber erschrickt mindestens genauso sehr, wie ich gerade eben; verliert in seiner Hockstellung das Gleichgewicht, landet auf seinem Hosenboden und sieht sich mit schreckgefülltem Gesicht um. Krabbelt hastig noch ein Stück weiter weg, als ich laut „Sam!“ schreie, als ich meinen Hund seelenruhig sitzend neben dem Trottel da vor mir entdecke und auf ihn zustürze. Dümmlich hechelnd peitscht er mit seinem Schwanz hin und her.
„Sam, du doofer Köter. Was machst du für Sachen?“, schimpfe ich und Sam blinzelt schuldbewusst zu mir hinauf. Er ist so ein kluger Hund. Kann man von meiner neuen Bekanntschaft wohl nicht so behaupten. Er macht immer noch keine Anstalten, aufzustehen.
„Was hast du hier mit meinem Hund angestellt?“, frage ich unwirsch und der Angesprochene wedelt hastig mit den Händen und winkt ab.
„N – Nichts!“, stottert er. „Ich kann doch nichts dafür, wenn er hier einfach in meinen Garten geplatzt kommt!“, verteidigt er sich.
Eine Weile lang starren wir uns gegenseitig an, ich ihn prüfend, er mich abwartend.
„Garten“, sage ich langsam und halte stur Blickkontakt.
„Ja, Garten“, wiederholt er, immer noch etwas ängstlich. Ich sehe mich um. Von einem Garten ist hier nicht wirklich viel zu sehen. Sträucher, Wildblumen, ja. Aber Garten…
Er traut sich endlich aufzustehen, behält mich jedoch weiterhin im Auge.
„Ich würd das nicht als Garten bezeichnen“, kritisiere ich schließlich und der Junge guckt etwas betreten drein, macht eine ausschweifende Geste und sagt mürrisch „Ist ja auch noch nicht fertig“.
„Aha.“, mache ich und sehe zu, wie er sich wieder hinkniet. Er beginnt wieder auf den Boden zu starren, wie vorhin, sitzt in der gleichen Pose, wie ich ihn auch entdeckt habe und ich frage mich, was er da tut.
„Ich rede mit den Blumen. Für gewöhnlich.“, erklärt er distanziert, nachdem ich ihn ein paar Minuten beobachtet habe.
Ich pruste. Oh Gott, was für’n Spinner ist das denn?
„Du redest mit Blumen“, sage ich noch einmal belustigt und frage ihn, warum er das tut. Er zuckt mit den Schultern, zeigt auf den Boden und bohrt seinen Finger ins Gras. „Hier soll eigentlich was wachsen.“, sagt er. „Aber tut’s nicht.“
„Und deswegen redest du auch mit ihnen.“
Er antwortet nicht.
„Was machst du dir überhaupt die Mühe?“, frage ich weiter. „Blumen und Gestrüpp auf einem Haufen. Wer braucht das schon?  Schöne Dinge gibt’s auch andere.“
Ich fange mir einen weiteren missmutigen Blick ein. Ich mach mich hier ganz schön unbeliebt, glaub ich…
„Wenn du wüsstest.“, antwortet der Junge und ich rolle mit den Augen und stöhne entnervt: „Na, dann erklär’s mir doch.“
Ergeben setze ich mich neben ihn ins Gras und winkle die Beine an.

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