fehlinterpretiert.

Gedanke zum Thema Entfremdung

von  Erdbeerkeks

Ich ziehe meine Ärmel bis über die Fingerspitzen und mein gesamter Körper verkrampft sich, als der Zug einfährt. Bahnhöfe haben doch ohnehin irgendetwas Trauriges an sich. Abschiede und Trennungen und in seltenen Fällen können auch Wiedersehen das gleiche Gefühl hervorrufen und ich glaube, das ist einer davon. Du steigst aus und blickst dich um. Suchend, doch mit so leeren Augen.
Du hast dich verändert.
Beklemmt schiebe ich die zitternden Hände in die Hosentaschen, mache ein paar Schritte auf dich zu und sie fallen mir so schwer. Du entdeckst mich in der wabernden Menschenmasse und siehst gleichzeitig so teilnahmslos aus, dass es mich erschreckt. Für einen Moment weiß ich noch nicht mal, ob ich überhaupt weitergehen will, doch dann stehst du schon vor mir, bist angeschlendert gekommen und wir stehen uns gegenüber und blicken gegenseitig durch uns hindurch. Keiner weiß mehr, was der andere denkt und was in ihm vor sich geht. Alles ist durcheinandergeraten, als man uns so geschüttelt hat, dass wir auseinanderfielen.
Du sagst kein Wort und machst mich ratlos damit. Früher wärst du auf mich zugestürmt und hättest mich umarmt, aber früher ist früher. Vergangenheit ist nur dafür da, um sich zu erinnern und um zu lernen. Meistens ist es nicht mehr, was uns davon übrig bleibt.
Es kommt mir unnatürlich vor, dass du mich nicht im Arm hältst. Trotzdem.
„Du wolltest reden“, sagst du. Weniger eine Frage, als eine nüchterne Feststellung, die niemanden von uns weiterbringt. Lückenfüller und nette Tarnung. Aus sowas hört man kein Gefühl raus.
„Ja“, erwidere ich leise und vielleicht etwas verräterischer.
Als wir nebeneinander hergehen, starre ich auf den laufenden Asphalt unter mir. Ich weiche dir aus, du heftest deinen Blick auf mir fest, wohl wissend, dass ich wegsehen würde. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du studierst mich. Aber ein studierender Blick ist ein interessierter Blick. Und das hier, ist das, was ich mir immer unter apathisch vorgestellt habe.
„Sieh mich nicht an, als ob du mich hasst.“, bitte ich nach einer Weile, die mir schon in den Augen und auf der Haut brennt.  Und du guckst auch auf den Boden und sagst, es tut dir leid. Deine Entschuldigung trifft mich mehr, als jeder inhaltlose Blick von dir, weil sie keinen Widerspruch beinhaltet.
„Aber Hass kann ich besser ertragen, als Gleichgültigkeit, weißt du.“, gebe ich zu.
Und ob du weißt, hätte ich fast hinzugefügt, aber seitdem ich dich gesehen habe, weiß ich, dass ich mir nichtmehr sicher bin.
„Also?“
Wir stoppen an einer Bank, irgendwo im nirgendwo außerhalb der Stadt in einer Gegend, die fast idyllisch wäre, wenn ich in dem Moment etwas so bezeichnen könnte. Wir sind so lange gelaufen, jeder irgendwie in seine eigenen Gedanken vertieft und ich für meinen Teil bin fast an ihnen ertrunken. Doch jetzt, wo wir hier sind und du wartest, verebbt sämtliches und wir sitzen nur nebeneinander, ohne etwas zu sagen.
Als die Fremden, zu denen wir geworden sind.

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Kommentare zu diesem Text


 mondenkind (28.05.10)
".. Alles ist durcheinandergeraten, als man uns so geschüttelt hat, dass wir auseinanderfielen."

die stimmung ist sehr gut eingefangen. besonders in sätzen, wie diesen. es ziept ein wenig, innerlich, beim lesen. bedrückend gut. ja.
lg dir,
nici

 makaba (28.05.10)
toller text, sehr gut eingefangen diesen augenblick.
gefällt mir echt sehr gut. deine sätze sind sehr sensibel gewählt und eine tief- melancholische stimmung durchzieht alles. echt super.
lg makaba

 Isaban (28.05.10)
Ein Text, wie ein kleines Stückchen Film, wie eine Situationsstudie, in leisen, klaren Bildern gelungen eingefangen. Ein sehr spürbarer Text, bei dem der Leser mit jedem Datz mehr eingefangen wird und miterlebt - und am Ende mit den Protagonisten mit dem Kloß im Hals kämpft und mit dem Bedürfnis, die beiden anzuschubsen, damit es doch nicht so zuende geht.

Gut geschrieben.


Liebe Grüße,

Isaban
Nemoria (19)
(28.05.10)
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Nuwanda (46)
(28.05.10)
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 SunnySchwanbeck (02.06.10)
Ich mag den Text. Aber er ist anders als die die man von ihnen gewohnt ist, Fräulein Keks.
Irgendwie macht er mich traurig aber er bleibt nicht in meinen Gehirnspalten sitzen, ich denke nicht mehr wirklich über ihn nach, es bleibt nur die kalte Traurigkeit.
Dennoch mag ich ihn, der Schluss ist etwas abgehackt, aber der Anfang gefällt mir und hat deshalb die Empfehlung verdient.

Kuesschen von der Schwanbeck.

 princess (12.06.10)
Du bist eine prima Beobachterin.
Und eine prima Momentaufnahme-in-Sprache-Übersetzerin.
Und ob der Text jetzt keksig ist oder nicht...
mhh, es gibt ja viele Kekse...!
Lieber Gruß, Ira
sunshine2901 (23)
(30.09.10)
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