Vaterschmerz

Text zum Thema Vater/ Väter

von  Unbegabt

Ein neuer Morgen bricht an, macht sich als Erstes durch das beharrliche Zwitschern der Vögel bemerkbar. Ich sitze teilnahmslos in meinem Sessel, die Beine angezogen und starre aus dem Fenster, wo der Tag die Nacht ablöst. Ich fühle mich leer, bin es ja auch, aber es fühlt sich besser an. Keine Schmerzen mehr, kein Schwitzen, keine Angst, nur Leere. Mein Telefon liegt neben mir. Es bleibt still.
Gerade als die Sonne müde über die Kronen der Bäume blinzelt, so als ob sie sich noch nicht richtig entschließen könne vollständig aufzugehen, höre ich Schritte auf dem Flur. Das Leben geht weiter.
Gerade als ich mit meinem Handrücken die restlichen nassen Spuren von meinen Wangen wische, knarrt die Schwelle meiner Zimmertür. Ich blicke zur Seite. Mein Vater steht in der Tür und lehnt sich müde gegen den Rahmen. Ich sage nichts und auch er schaut mich nur schweigend an. Traurigkeit schleicht sich in seinen sonst ausdruckslosen und verschlossenen Blick. Einige Augenblicke mustern wir uns schweigend, dann dreht er sich um, zögert, dreht wieder um und kommt in mein Zimmer. Er kniet sich vor meinen Sessel, in dem ich erstarrt bin und nimmt meine Hände in seine. Sie verschwinden noch immer wie Kinderhände zwischen seinen. Er hält sie minutenlang fest, bis sie aufhören zu zittern und zur Ruhe kommen.
Ich weiß nicht was ich fühlen soll. Ich verspüre den starken Drang zu flüchten, aber genauso sehr wünsche ich mir, dass er mich in seine Arme nimmt und mich fest hält, mich wiegt und mir sagt, dass ich noch immer seine geliebte Prinzessin bin.
„Ich höre dich. Jede Nacht. Es ist schwer zu ertragen, weißt du.“
Ja Papa, ich weiß. Denn im Gegensatz zu dir erlebe ich das, was du nur hörst.
Ich bleibe stumm. Ich weiß, dass er auf eine Antwort wartet, aber ich bin nicht bereit ihm eine zu geben. Die Enttäuschung die aus seinen Augen spricht, trifft mich genau da, wo ich dachte, dass Hass dominiert. Ich ziehe meine Hände aus seinem Griff und drehe den Kopf weg. Ich höre fast, wie sein Vaterherz bricht, denn ich habe ihn abgewiesen. Seine Atmung stockt und er erhebt sich so hastig, als wolle er gleich los rennen.
Ich weiß, dass der Schmerz ihn einholen wird, dass er ihn in die Knie zwingen wird und dass er leiden wird. Und in diesem Moment ist es mir egal. Auge um Auge, Zahn um Zahn, Schmerz um Schmerz. Er taumelt beinahe gegen den Schrank, als er mit gebeugten Schultern aus dem Zimmer schleicht, dann geht die Tür zu. Ich kralle meine Finger verzweifelt in meinen Unterarm, um das Mitleid, dass ich empfinde zu übertönen.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 SunnySchwanbeck (04.06.10)
Es ist so echt, ich selbst hab Vaterherzen brechen hören. Es tut weh beste, aber du hast es drauf, du bist ein Talent und deshalb schwingt auch ein bisschen Freude mit dem Text auf, denn du kannst es. Du kannst es einfach, und allein das hilft. Uns beiden.

 Dieter Wal (30.06.10)
Hallo Unbegabt,

aus dem ersten Text entnahm ich eine scheinbar autobiografische Geschichte über eine für mich nicht leicht diagnostizierbare Erkrankung, die man vielleicht mit zwanghaftem Erbrechen umschreiben kann.

Die geschilderte weibliche Person scheint ein schweres Trauma zu durchleben. Welcher Art bleibt unklar.

Dieser Text scheint eine Fortsetzung. Wofür der sich um Schutz und Tröstung bemühende Vater in der Geschichte bestraft wird, ist schwer nachvollziehbar.

Eine aus Anspielungen bestehende packend genaue Selbstbeschreibung einer jungen Frau in großer seelischer Not, die sich u. a. körperlich äußert.

Schnell zum Arzt, möchte man der leidenden Person der Texte raten.

Gruß
Dieter
(Kommentar korrigiert am 01.07.2010)
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram