Anders als sonst. Anders als früher.

Text zum Thema Selbsthass/verletzung/mord

von  ZornDerFinsternis

Stehe am Straßenrand. Wie eine Hure, nur nicht so atemberaubend schön. Klein und bedeutungslos, wie die kleinen Blumen, deren Antlitz kaum ein Blick streift. Deren Existenz nur bedingt wahrgenommen wird und die von aller Welt mit Füßen getreten werden.

Und das Leben fährt vorüber. Hält nicht neben mir. Hält nicht, um mich mitzunehmen. Bin irgendwo in Vergangenem und Gegenwärtigem gestrandet. Habe das Ziel aus den Augen verloren. Die Schönheit der Sekunden, und den Duft des Frühlings erkennt mein Herz nicht mehr. Schwarz in Schwarz zeichnet sich die Welt. Dem Stillstand nahe. Und doch, ist alles in Bewegung – unaufhörlich im Fluss.

Stehe unter Strom. Kann die Intensität der Gefühle kaum mehr tragen. Und es ist doch kein Ende in Sicht. Verweile seit Jahren bloß im Standby-Modus. Lasse die anderen leben, während ich mir täglich weiter beim Dahinsterben zuschaue. Und zugegeben, es macht Spaß. Es erfüllt mich innerlich ein Stück weit, zu sehen, wie der Schmerz mich zerfrisst.

Bin, wie die ausrangierten, alten, abgewetzten Züge am Güterbahnhof. Stehe auf dem Abstellgleis. Die Welt schert sich einen Dreck um mich. Und eigentlich macht es mir nichts. Nicht mehr. Es könnte wesentlich beschissener sein. Aber auch, um einiges besser. Darauf zu hoffen, wäre aber Höchstverrat, an dem winzigen Bisschen „Ehre“, das ich noch besitze.

Gefühle sind ein scheiss Menschheitsfluch. Tauchen in den unpassendsten Momenten auf. Reißen dich äußerst grob auf den harten Boden der Realität. Und irgendwie bringen sie dir nie was Gutes ein.

Erhebe gerne das Schwert. Richte gerne über mich selbst. Lege selbst Hand an, um den Schmerz und dieses nichtsnutzige Dasein zu verkürzen. Kann dieses jämmerliche Versagen nicht mehr ertragen. Jede Nutte hat mehr aus ihrem Leben gemacht, als ich.

Wen kümmert es noch, dass diese Welt keine Zukunft hat? Dass Leben das sinnloseste ist, was je erfunden worden ist? Wohl niemanden, außer mir.

Die Autos nehme ich kaum mehr wahr. Man könnte sie also mit dem Leben gleichsetzen. Zumindest mit dem Leben, das ich seit 19 Jahren führe. Ein Haufen Schrott. Der sich weiter, planlos auf dem Planeten fortbewegt und nach einer gewissen Laufzeit nichts mehr wert ist. Genauso fühle ich mich. Und ich werde nicht mehr länger hier stehen und warten.

Warten. Worauf? Auf einen Sonnenaufgang, dessen Schönheit mich niederreißen wird? Den Verlust weiterer Hoffnungen und Zuflüchte?

Steige auf die Brücke. Wind säuselt melancholisch, und doch irgendwie lachhaft. Unter mir ein Netz aus Schwarz und Weiß. Viele winzige, bunte Blechpunkte, darauf bedacht nicht auf Kollisionskurs zu gehen.

Umschließe das Geländer mit den Händen. Der Lack blättert ab. Rostflecken grinsen zwischen der abgewetzten Farbe hervor. Blicke auf meine Arme. Und sehe wieder ein, dass Hierbleiben keinen Wert haben und keinen Sinn mehr machen wird. Zu viel ist verloren. Der Krieg schon lange. Mein Leben schon längst.

Diese kleine, mickrige Grenze habe ich lange überschritten. Befinde mich nicht mehr zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem. Bin weit darüber hinaus. Und doch, immer noch gefangen. Ein Gefangener meiner Gedankenwelt. Sklave des Daseins.

Fuck Off.

Befehle meinem Körper, sich über das Geländer zu hieven. Die Gedanken endlich auf AUS zu stellen. Schließe die Augen.

Am Straßenrand haben sie alle einmal gestanden. Die schönen Nutten. Die mickrigen Blümchen, die aussortierten Möbel. Ja, und die geflickten Herzen, die der Alltag wieder und wieder gefickt hat. Weggeworfen. Ausgenutzt. Abgenutzt. Wertlos.

Heute liegt mein Körper am Straßenrand. Neben ihm Blut und ein paar Stücke grünes Blech. Und ich bewege mich nicht mehr. Der Verkehr da unten steht auch still. Nur die Stille verhält sich anders als sonst. Anders als früher.

Ich hatte einen Wunsch. Einmal fliegen. Nur einmal frei sein.

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Kommentare zu diesem Text


 Sanchina (30.07.10)
So schauderhaft dieser Text ist: es ist eine der besten Momentaufnahmen einer tiefen Depression, die ich je gelesen habe. Verdammt gut! Gruß, Barbara

 ZornDerFinsternis meinte dazu am 30.07.10:
Liebe Barbara, schließe dich in meine Arme und sende dir meine stille und herzliche Dankbarkeit. Ein schönes Wochenende, sofern möglich. Alles Liebe. Anni

 volpe (30.07.10)
erschreckend gut, erschreckend authentisch und auf eine eigene düstere Art schön...

 ZornDerFinsternis antwortete darauf am 30.07.10:
Hab' vielen Dank für deine Zeilen und die Klicks...und überhaupt dafür,dass du dir die Zeit zum Lesen und kommentieren genommen hast. Drück' dich. Anni
SigrunAl-Badri (50)
(30.07.10)
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 ZornDerFinsternis schrieb daraufhin am 30.07.10:
Sigrun, so kitschig es auch klingen mag, und wahrscheinlich auch unehrlich, da wir uns in den Weiten des www befinden, aber du bist wirklich ein Engel. Deine Sanftmut und deine Liebenswürdigkeit in jedem deiner Worte, schenken mir immer ein großes-kleines Lächeln. Sei lieb umarmt. Anni
SigrunAl-Badri (50) äußerte darauf am 30.07.10:
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 ZornDerFinsternis ergänzte dazu am 31.07.10:
Dankeschön :)
Diro (50)
(30.07.10)
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 Dieter Wal (12.08.23, 00:55)
Bin froh, dass Du solche Gedanken nach Deinen Worten auf kV nicht umsetztest, sondern diese berührende Prosalyrik vielleicht befreiend wirkte. Wie geht es Dir nach 13 Jahren im Hier und Jetzt?

Kommentar geändert am 12.08.2023 um 00:56 Uhr
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