Weil Tinkerbell nie dazu bestimmt war zu fliegen

Kurzprosa zum Thema Schicksal

von  Unbegabt

Wir laufen mit zum schweigen gebrachten Herzen durch unsere graue Stadt. Sie ist durch und durch grau, auch wenn wir uns manchmal im Sommer einbilden, sie würde in allen Farben leuchten. Die Sonne belog uns diesen Sommer häufig, aber heute ist alles wie eh und je. Meter um Meter spazieren wir über grauen Asphalt, Haus um Haus zieht grau an grau an uns vorbei.
Später liegen wir auf einem asphaltierten Platz. Ich frage mich, wann die Menschen beschlossen haben all ihr Leid und ihre Unzufriedenheit mit Beton zu übergießen. Diesen Gedanken will ich sofort Tink erzählen, als ich merke, dass sie sehr still geworden ist. Stiller als sonst, es nicht dieses Schweigen, das man manchmal hat, weil man einfach nichts zu sagen hat, sondern dieses Schweigen, weil man eigentlich soviel sagen will, aber nicht kann.
Ich drehe den Kopf zur Seite und ignoriere die Kieselsteine die sich in meinen Hinterkopf und meine Schultern graben. Sie ist perfekt und ich manchmal neidisch darauf. Und trotzdem scheint niemand sie in ihrer Nähe haben zu wollen. Vielleicht denken sie, ihre Krankheit wäre ansteckend.
Tink ist ein Gedankenmensch, aber sie hat gelernt damit zu leben. Und manchmal, in hämischen Momenten, wenn ich sie nicht verstehe, glaube ich, es gefällt ihr für diese einsame Außenseiterrolle ausgewählt worden zu sein. Dieser Theaterspiel-Gedanke stammt auch von ihr, sie ist der festen Überzeugung, das Leben sei etwas wie ein sehr, sehr langes Theaterstück.
"Und nur wer seine Rolle gut spielt, bekommt am Ende Applaus.", sagt sie und hat diesen Blick, der keine Widerworte zulässt.
"Aber Tink, Tink, was ist, wenn man nicht genau weiß, welche Rolle man spielen muss?", frage ich beunruhigt.
Aber Tink schenkt mir nur ein seltenenes Lächeln, das immer traurig aussieht, wie von jemandem, der zu viel fühlt und gefühlt hat und lässt mich, meine Frage und mein ängstliches Herz alleine zurück.
Manchmal vergleiche ich uns beide mit den zwei Polen eines Magneten: Sie die so still und ruhig ist, wie ich laut und kribbelig bin. Und trotzdem, oder genau deshalb zieht uns das zu dem Anderen. Tink sagt, bei mir kann sie manchmal einfach sein, ohne viel zu denken.
Sie streckt ihre Kinderhände dem grauen Himmel entgegen, als wolle sie die dicke Wolkendecke beiseite schieben. Aber es sind eben doch nur Kinderhände.
"Könnte ich fliegen, würde ich die Wolken schieben und zerren, bis wir nur noch Sonne hätten. Das würde dir gefallen. Wieso kann ich nur nicht fliegen?", fragt Tink und erste Tropfen landen auf unseren Gesichtern, während wir beide die Antwort, die wir nie in Frage stellen werden, verfluchen.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Baldachin (55)
(19.10.10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram