Gestern lebt (in mir) weiter

Text zum Thema Abschied

von  ZornDerFinsternis

Heute trennen uns auf den Tag genau vier einhalb Jahre.
Deine Stimme klingt fremd, genau erinnern kann ich mich nicht mehr daran, wie sie geklungen hat.
Die Worte, die du mir entgegengeschmettert hast, zusammen mit der leeren Whiskyflasche, kenne ich dafür noch umso genauer.
Deine braunen Augen hatten einen Zauber auf mich gelegt, mich willenlos gemacht. Bin dir damals, in jenem Sommer
sofort verfallen. Du hattest etwas an dir, was auch immer es war, es hatte mich gleich eingenommen.
Ja, deine Augen hatten damals etwas so liebevolles, warmes, weiches.
Und heute, verfolgen sie mich in meinen Träumen. Foltern mich, jede Nacht aufs Neue.
Wieder und wieder spielt sich der Alptraum am Tage vor meinem geistigen Auge ab. Und ich will noch immer schreien.
Noch immer, deinen Schreien und Schlägen ausweichen. Bettel noch immer. Versuche immer noch, den letzten Funken Vernunft in deinem Hirn zu erreichen. Hatte noch immer gehofft, irgendwo, zwischen den ganzen vom Alkohol zerfetzten Hirnzellen, würden noch ein Paar sein, die wüssten, dass du was falsch machst.
Und heute weiß ich wieder, dass ich mich all die Zeit geirrt hatte. Dass du nie ein liebevoller Mensch gewesen bist.
Vielleicht warst du es einmal. Einmal, ganz weit zurück. In einem ganz weit entfernten Gestern, in dem ich dich nicht gekannt habe.
Und heute ist wieder einer dieser Tage, an denen ich "Gott", die Welt, das Leben, mich, verfluche. Ja, ich hasse die Welt dafür, dass du deinen Weg in mein gebrochenes, verwaistes Herz gefunden hast.
So viele Barrieren und Mauern hatte ich mühevoll aus dem Schmerz errichtet, mit Tränen großgezogen und mit dem Gift der Liebe ausgebaut. Wollte nie mehr diese Schmerzen. Schmerzen, wie sie nur Menschen anrichten können.
Schmerzen, die es einem unmöglich machen, den neuen Tag, das Leben und die Welt zu lieben.
Ja, und ich hatte es aufgegeben, die Schönheit in einem Messerschnitt zu suchen. Das Blut, wie es aus meinem Körper schlängelte und den Herzschlag verlangsamte, war wie eine Droge. Eine willkommene Ausflucht von diesem zerreißenden Schmerz im Innern. Diesem Druck musste ich schon viel zu lange Stand halten. So oft auf der Brücke stehen, und den Zügen hinterher schauen. Den Menschen beim Einsteigen, Verabschieden und Wegfahren zu sehen. Zu sehen, wie sie ihr Glück in den Armen hielten. Ganz nah bei sich. Ganz nah im Herzen. Und jeder dieser einsamen Augenblicke, trieb neue, tiefere Klüfte in mein Herz. In diesen Eisblock. Dieses leblose Treiben, in das du irgendwie gekommen warst.
Und ich hatte Hoffnungen. Träume. Ja, sie wurden neugeboren, als dein Licht in meine Schwärze eilte.
Hatte aufgegeben, alles zu hinterfragen. Abgewogen, dass ich es doch nicht verdient hätte, jemals geliebt zu werden.
Neben Verwunderung, Angst und Schmerz begann deine Geschichte. Vielleicht war es sogar unsere. Aber es fühlte sich nie so an, als würde man von einem "Wir" sprechen.
Und die Tage an deiner Seite waren unbeschreiblich. Ja, manchmal habe ich mich der Naivität hingegeben. Dir mein Herz in die Hand gelegt. Einzig, damit du es zerschneidest. Mit deinen Worten, die du immer nur schreien konntest.
Und es tat weh, dem Menschen, den man doch so sehr liebte, beim täglichen Verfall zuzusehen. Ja, es tat weh. Weh.
Jeden Tag, die dutzenden Flaschen Bier und der viele Schnaps, der irgendwo in deinem Körper verschwand. Und irgendwo diesen Hass anstachelte. Dein ganzes Wesen zu einem Monster gemacht hat. Ja. Und ich fühlte mich hilflos. Hilfloser, als ein verwaistes Kind im dunkelsten Wald des Nordens, mitten im Schneesturm. Und die Lichter der Stadt fanden ihren Weg nicht mehr in meine Augen. Jeder Tag, unserer 2 Jahre, war wie eine Ohnmacht. Es lies einen einfach nie los. Und mit jedem Tropfen Alkohol, jedem weiteren blauen Fleck, fühlte sich diese Liebe wertlos an. Und ich spürte genau, wie mein Herz im Sekundentackt zerbrach. Immer kleiner und leiser wurde. Weniger schlug. Und ich wusste, es würde irgendwann nicht mehr schlagen wollen. Würde einfach nur noch schlafen wollen. Vergessen wollen. Einsam sein wollen. Das Leben verachten. Schlafen, einfach nur schlafen. Ja, und heute habe ich zum tausendsten Mal versucht einen Schlussstrich unter all dem zu ziehen. Blicke zurück, auf Jahre, die ich nicht gelebt habe. Auf 19 Jahre, die nie irgendwie existiert haben. Keine Träume und Sehnsüchte geboren haben. Und es ist lächerlich, an früher zu denken. Und doch, komme ich nicht los. Von deinen Augen. Diesem Zorn, der in deiner Stimme lag. All diesen schmerzenden Worten, den Schlägen, den Tritten. Und das ist nicht mal das Schlimmste. Das Schlimmste an all dem ist noch immer die Tatsache, dass ich dich wirklich geliebt habe. Dir die Schlüssel zu meinem Herzen in die Hand gab. Mein Herz zu deinen Füßen legte, dir alles gab. Alles. Mich. Mein ganzes Leben. Und mit meiner reinen Kinderseele, hast du mein Leben weggeworfen. Mit jedem Mal, hast du diese Lebenszeit, die mir noch bevorsteht, zu einem unerträglichen, grausamen, endlosen Alptraum gemacht. Und es gibt niemanden mehr, der mich aufwecken kommt. Der seine Arme um mich legt. Die Finsternis und den Schmerz zerschlägt. Und auch heute, nach dem du längst nicht mehr bist, schmerzt es in meiner Brust. Ich vermisse die Tage, an denen es jemanden gab, der bei mir war. Auch, wenn es ein Mensch war, der nur in Prügeln sprach. Auch, wenn du mich und meine Seele vergewaltigt hast. Auch, wenn du nie liebevoll gewesen bist, vermisse ich dieses Gefühl, das nur du mir geben konntest. Diesen nicht vorhandenen Wert, den hast nur du erkannt...

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Kommentare zu diesem Text

Fub (24)
(25.08.10)
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Träumerveve95 (17)
(25.08.10)
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 AZU20 (25.08.10)
Es muss aber doch Hoffnung geben. LG
KoKa2110 (42)
(25.08.10)
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 Seelenfresserin (25.08.10)
Die Vergangenheit ist größter Fluch und Segen zugleich. Und des Menschen große Schwäche ist es, in ihrer fest zu hängen.

*knuddel* Jenny

 Dieter Wal (25.08.10)
NICHT DAS ERINNERUNGSVERMÖGEN, SONDERN GERADE SEIN GEGENTEIL, DIE FÄHIGKEIT ZU VERGESSEN, IST EINE NOTWENDIGE BEDINGUNG MENSCHLICHEN DASEINS.

Schalom Asch: Jesus Der Nazarener, Romanbeginn
Knaur 1987, Ü. Paul Baudisch


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Dein Brief an das Monster, das auch durch andere deiner Stories die Erzählerin prügelt und vergewaltigt, ist schrecklich wie alle Aussagen Traumatisierter. Als Sprachkunstwerk beklemmend-eindrucksvoll.

Die können bei sowas effektiv helfen:  http://www.diagnostikbuero-dreh.de/
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