Feierabendimpressionen

Text zum Thema Allzu Menschliches

von  Sylvia

Prüfend sah ich aus dem schmutzigen Bürofenster. Endlich Feierabend. Mit meiner Reisetasche in der Hand eilte ich den Flur hinunter bis zur Bürotoilette. Rasch leerte ich die Tasche, schlüpfte in die Regenhose und warf das Cape über die Schultern. Ich griff nach meinem Regenschirm, riss die Toilettentür auf und wich erschreckt zurück. Vor mir stand meine furchtbare Nicht-Lieblingskollegin. Mit ihren langen Fingernägeln und der Krähennase sah sie wie Freddy Krueger ohne Traum aus. Sie schenkte mir ihr lippenloses Strich-Grinsen. Misstrauisch vermutete ich, sie wolle ein paar verbale Tiefschläge in meine Richtung schießen. Tief einatmend schaute ich nach unten und zwängte mich an ihr vorbei.
»Ey, du alte Trulla, ich wünsch dich etwas fulla, dann häng ich dich am Pfingstspieß auf und schmier dir deine Bösartigkeit drauf«, murmelte ich, bevor sie was sagen konnte.
Eiligst lief ich den Flur bis zum Ausgang entlang.
Ich musste zum Hauptbahnhof. Meine Beine kannten den Weg im Schlaf, also bewegte ich mich zielsicher und mit gesenktem Kopf weiter. So brauchte ich 'es' nicht zu sehen, das war besser für mich. Immer, wenn ich 'es' erblickte, starrte ich wie hypnotisiert darauf bis ich von den Leuten übel beschimpft wurde. Manche flitzten mir sogar hinterher. Kaum zu glauben, dachte ich beim Betreten des Hauptbahnhofes und wurde fast von einer kratzenden Lautsprecherdurchsage erschlagen.
»Die S 3 Richtung Neugraben verspätet sich um eine viertel Stunde.«
Ist ja typisch, dass ich bei der Ansage das Gefühl bekam, auf die Uhr schauen zu müssen. Da ich grundsätzlich keine Uhr trug, suchte ich nach ihr. Noch bevor meine kleinen Gehirn-Stubentiger die Warnlampen einschalten konnten, entdeckte ich 'es' direkt vor meiner Nase. Am rechten Mundwinkel hing ein Stück Salat verziert mit einem kleinen Tupfer gelber Soße. Holländische Soße, vermutete ich, wahrscheinlich noch mit Knoblauch- oder Zwiebelstücken vermischt.
So sehr ich mich auch bemühte, ich konnte einfach nicht woanders hinsehen. Der Esser beobachtete mich, während er den Mund aufriss, um mir ein gequältes Hackstück zu präsentieren, das, umrankt von Tomate und Gurke, von einer Backe zur anderen zermalmt wurde. Etwas Helles, wie durchweichtes Toastbrot, versuchte sich einen Weg vom Gaumenzipfelchen bis zu den Zähnen zu bahnen. Hastig zückte ich den Regenschirm. Der von Knirps war am belastbarsten und verfügte über einen Knopf, den ich nur drücken brauchte, damit er sich automatisch aufspannte. Täglich trainierte ich die Handhabung und war schon extrem aufspannschnell. Entsetzt beäugte ich nochmal das Essverhalten, bevor ich die Mütze über die Haare zog. Ich war bereit auszuweichen, sollte das Salatstückchen versehentlich in meine Richtung katapultiert werden. Mampfend sprach der Esser mich an:
»Es ist immer blöd, wenn die Bahn sich verspätet, nech? Und dann dieser olle Bahnhof, so schmuddelig, laut und grell. Brrr, einfach schrecklich.«
Bei 'nech' sprang ich ungefähr einen halben Meter nach rechts, wobei ich die Hüfte zusätzlich nach rechts drückte. Knapp entkam ich den durchweichten Krümelkanonenschlägen. Bei 'Brrr' half nur noch meine Meisterkombination: Einen Meter nach hinten springen und federnd den Boden berühren, um einen linksseitigen Gazellensprung zu vollbringen. Diese Kür verwirrte auch den pfiffigsten Mampfer.
»Es ist sehr unhöflich von Ihnen, mir nicht zu antworten«, bemerkte er ärgerlich, wobei sich der Salat vom Mundwinkel löste.
Das Stückchen rutschte vom Kinn und hielt sich gerade noch am Hemdkragen fest. Gebannt verfolgte mein Sehvermögen den Salat, der mittlerweile auf mehreren Fingern landete, die einen Burger zerquetschten. Gelbe Soße quoll an den Brotseiten heraus. Der schwere Knoblauch surfte förmlich auf der Soße.
Ein riesiger Klecks rutschte von einem Finger auf den Nächsten, um dann im freien Fall an der Hose und den Schuhen haften zu bleiben. Schweiß trat mir auf die Stirn.
»Was ist los mit Ihnen?«, brüllte er.
Reflexartig spannte ich den Schirm.
Eine Frau, die einen Rollkoffer zog, schob sich zwischen uns durch. Mein Gegenüber fasste ihr auf die Schulter, um ihr behilflich zu sein. Sofort trennten sich die Essensreste von seiner Hand und blieben an der Frau kleben. Die geteilte Mahlzeit wanderte auf Augenhöhe an mir vorüber, wobei ich dem wütenden Blick des Esslegasthenikers begegnete. Er ging einen Schritt auf mich zu. Blitzschnell flüchtete ich in die Bahn, die gerade einfuhr.
»Dass Sie nicht mehr normal sind sieht jeder«, rief er mir hinterher, »wer trägt im Hochsommer sonst einen Regenanzug?«
Die Mitreisenden starrten mich an. Ich klappte den Regenschirm zusammen und suchte einen Sitzplatz, den ich penibel inspizierte, bevor ich mich hinsetzte.

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Kommentare zu diesem Text

Lena (58)
(21.09.10)
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 Sylvia meinte dazu am 21.09.10:
So Kleene, hast du nun gefrühstückt oder muss ich ein schlechtes Gewissen haben???
Ja Esslegastheniker, das hab ich schon so oft gedacht....lach, schön, das du es nicht als Beleidigung gegen Legastheniker auffasst, das waren meine größten Bedenken.
Drücke dich und danke und habe einen Ess-Streß-Freien-Tag..:)))
Sylvia
chichi† (80)
(21.09.10)
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 Sylvia antwortete darauf am 21.09.10:
Liebe Gerda, nicht umsonst gibt es ein passendes Lied.
"Eine Zugfahrt die ist lustig.
eine Zugfahrt die ist schön...."

Danke dir..:))))
Sylvia

 AZU20 (21.09.10)
Igitt. Gut,dass ich morgens nicht mehr fahren muss. Andererseits woher hole ich dann den Stoff? Sehr gern gelesen. LG

 Sylvia schrieb daraufhin am 21.09.10:
Armin, ich empfehle ab und an dann doch mal eine Zugfahrt zu riskieren...manchmal kann man sogar waschweiß wieder aussteigen...grins

Danke dir
Sylvia
Dolphilia (48)
(21.09.10)
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 Sylvia äußerte darauf am 21.09.10:
Abba, nich das du deine süßen ratten schluckst...:))))

Egal welche Variante, im Hochsommer, stell ich mir vor, schwimmt man mit dem weg...

Danke dir
Sylvia
stimulanzia (48)
(21.09.10)
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 Sylvia ergänzte dazu am 21.09.10:
Hätt ich jetzt auch geschrieben...:)))
Ich hatte da mal ein Erlebnis mit einem Döneressenden..blablabla...
Na, erkennst du dich???herausforderndguck*

Danke dir
Sylvia
JowennaHolunder (59)
(24.09.10)
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 Sylvia meinte dazu am 26.09.10:
Huhu Wally,

danke dür dein Verstehen...;0))))
Regenschirmzück*

frechgrins
Sylvia
steyk (57)
(02.10.10)
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 Sylvia meinte dazu am 03.10.10:
Tja, mein lieber Stefan...du hast jemerkt, dass ich geschickt auf einen Hexenspruch, der keinerlei Reim erfordert, ausgewichen bin...lach*
Das war doch mal ein Schachzug, gelle? Sonst würde ich mit Pauken und Trompeten untergehen...

Ich danke dir und es freut mich, das dich der Text erheitern konnte..
liebgrüßt dich
Sylvia

 Dieter_Rotmund (20.01.20)
Nicht schlecht, aber zu schlampig gemacht, z.B. "Irgendwann werde ich Übels beschimpft". Leider scheinen sich meine Vorredner eher einen Zacken aus der Krone zu brechen, als dich auf den ein oder anderen handwerklichen Fehler hinzuweisen. Schade.

Kommentar geändert am 20.01.2020 um 14:53 Uhr

 Sylvia meinte dazu am 27.01.20:
Fehler ist korrigiert.
Die Vorredner haben auf Fehler hingewiesen. Der Text wurde mehrmals korrigiert. Ziemlich schade sich auf andere zu beziehen.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 27.01.20:
Darf ich fragen: Wieso haben dich die Vorredner nicht auf alle Fehler hingewiesen, sind sie, also die Fehler, doch so offensichtlich?
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