Station Ostkreuz

Text zum Thema Abenteuer

von  max.sternbauer

Die Nazischweine fuhren im Waggon vor mir.                                                    Eigentlich hatte ich vorgehabt sie nicht zu beachten, damit sie mich nicht beachteten. Aber  bei einer S-Bahnendstation war ihr  Pfad vorgezeichnet.  In die andere Richtung ging es nicht und sie wollten sicher nicht durch die Station, um in einen anderen Stadtteil zu gelangen.                                                        Vor dem Einsteigen hatten sie sich geschupst und in den Schwitzkasten genommen. Wenn ich es richtig gesehen hatte, dann war auch etwas Silbernes zwischen ihnen herumgereicht  worden, woraus sie tranken.  Auf ihre Gesellschaft legte ich keinen Wert.                                                                      Nur um eines vorneweg zu nehmen, die Typen waren genau das was ich sie am Anfang auch genannt habe. Zumindest  kenne ich keine Zeugen  Jehova s mit einem Reichsadlertatoo und Hakenkreuz auf einem rasierten Hinterkopf. Der Ärger mit der Polizei, der tagtäglich abzusehen war, musste es ihm wert gewesen sein.  Als der Zug  schließlich kam, setzten sie sich in  einen anderen Wagen. Da hätte alles vorbei sein können, weil sich unsere Wege gabelten.  Was in den nächsten Fünf Minuten drüben geschah, das weiß Ich nicht. Nur das bei mir ein Märchen  begann. Leider kein schönes, wo eine Prinzessin  ein Topf mit Juwelen oder Ein Scheich wartete, der mir sagte Ich wäre sein lange verschollener Sohn.  Nein, eines das so hirnverbrannt war, dass es nur in der Zeitung stehen konnte. Mir ist die Scheiße  passiert.  Ein Kokon aus Zeitungen saß da, in einer  Ecke  am Fenster. Verwundert war ich weil ihn niemand weggeräumt hatte. Das war  nämlich eine Menge Papier.  Ich wollte das Ding gar nicht weiter beachten. Ein Berg Papier in der S-Bahn, ärgerlich aber was soll´s.  Aber dann fiel mir wieder etwas ein. Kokon.  Das Gebilde war symmetrisch.  Es war eigentlich kein  aufgeschütteter Haufen mit Unregelmäßigkeiten, sondern  mit  einer ebenen Oberfläche. Ich sah es an, als hätte es mir eine Frage gestellt, die ich nicht beantworten konnte.  Na ich wunderte mich einfach weiter und sah nach draußen.  Da aber fiel mir wieder etwas ein oder auf.  Ein Rohrbruch.  Auf einer neuen Ausgabe  einer  Tageszeitung  wurde  von einer Überschwemmung  in meiner Straße erzählt.  Ich drehte meinen Kopf ein wenig um besser lesen zu können.  Da faltete sich etwas auseinander und ich starrte in das Auge.              Ich fiel direkt in seinen Blick.  Es bohrte sich direkt in mein Gehirn. Schreiend ohne meinen Mund zu öffnen, sprang  ich zurück und  landete schwankend  auf den Füßen.  Eine Erschütterung des  Zuges  schickte mich auf den Metallboden. Das Gebilde  blähte sich auf  und streckte sich nach oben von dem Sitz weg.  Als würde etwas seine Flügel  ausbreiten.  Meine Stimme war wohl nur noch in höheren Frequenzen hörbar, als Es sich endgültig öffnete.  Und ich auf einen Obdachlosen mit verfilztem Bart und Bierbauch starrte. Was genau die Züge des Mannes erzählten, konnte ich nur erraten. Denn er war geschminkt.  Ein schmutziges Weiß  überzog sein Gesicht und etwas  davon klebte  in seinem Bart.  Rund um die Augen hatte er einen schwarzen Rand gezogen,  der aber stellenweise verwaschen war.  Er sah aus wie ein melancholischer Clown, den jemand  vergessen hatte.                                                                                    Ich rieb mir meinen Rücken, als er mir seine Hand reichte. Sie steckte in einem zerschlissenen Handschuh.  Was tat wohl jeder  in so einer Situation?              Ich bot ihm einen Kaugummi an. Um meine zitternden Hände zu beschäftigen, steckte ich sie in die Aktentasche.  Gleichzeitig fragte ich, „Kaugummi“?    Aber der Mann runzelte nur die Stirn. Dann  deutete er auf beide Ohren und schüttelte den Kopf.  Mittendrinn im Wühlen hielt ich inne. Taub, ach so.  Ich holte die Packung aber trotzdem raus und reichte sie ihm. 5 Sekunden danach saß ich neben ihm und kaute.  Unter  seinem Pullover konnte ich ein gestreiftes Hemd erkennen.  Mit zwei Fingern faltete er seinen in mehreren Schichten  genähten Mantel  aus Zeitungen zusammen. Hinter mir schlug etwas gegen eine Scheibe.  Die Nazis warfen Dosen  gegen das  Fenster, wo sie eine  rote Zielscheibe gemalt hatten.  Daneben stand einer mit einem Stift und markierte die Treffer.  Anscheinend waren sie sich über die  Regeln nicht ganz einig, denn sie stritten sich in vorhersehbaren  Abständen.    Arme machten theatralische Gesten.  Aber, sie grinsten breit dabei  die ganze Zeit über. Denen ging es von Sekunde zu Sekunde aufwärts besser.  Zum Kontrast dazu, war der  Anblick meines Nachbarn wie aus  einem  von Smog  angegriffenen Stück grauen Steines gehauen.  Dann machte er eine Bewegung  wie ein Scheibenwischer vor seinem Gesicht  und  schob dabei eine Augenbraue hoch.  Ich drehte mich um und hob die Schultern. Dabei  hatte ich mir nichts gedacht. Es war nur ein Reflex.  Mein neuer Freund  schüttelte den Kopf. Dann las er etwas  bei mir und nahm meine Schultern in die Hände.  Ich stemmte  mich weder dagegen  oder schlug seine Berührungen weg.  Das war vielleicht komisch.  Ich versteh es jetzt immer noch nicht.  Nicht das  mich hinterher die Erleuchtung erwischte.  Mir kam das nicht  spanisch vor, sondern babylonisch.  Doch lies ich zu das er meine Bewegung von vorhin wiederholte und wild  dazu mit dem Kopf schüttelte.                            Schön langsam verstand ich was er wollte.  Eigentlich kam ich nicht selber drauf.  Jemand baute für mich die Gedanken zusammen, die wie von einem Luftzug da hinein  getragen worden  waren.  An jedem Bahnsteig  sah ich  Leute, die  kopfschüttelnd den Waggon mieden.    Genau wie ich vorhin mit den Schultern gezuckt hatte, zuckten jetzt alle mit den Schultern.  Da stellte sich mir eine Frage, die ich mir ausnahmsweise selbst zusammengebastelt hatte.  Wollte  ich das etwa eine Großmutter, mit ihrem Einkaufswagen, denen da drüben sagte wohin sie sich ihre Bierdosen  stecken konnten.  Sie waren laut, aber mehr fiel mir auch nicht auf.  Sogar die rote Farbe wischten sie Weg, ehe ein Kontrolleur kam.  Aber  jetzt musste ich  ihm klarmachen, dass ich ihm verstanden hatte.  Also schrieb ich etwas auf einen Zettel.  Aber er konnte  nicht lesen.  Seufzend gab ich es auf. Aber er nicht. An einer Stange  haltend, drehte er sich um und winkte mir  zu.  Um  die  Station Alexanderplatz,  auf dem U-Bahnplan, machte er mit seinem Finger einen Kreis. Seine beiden Hände falteten sich wie bei einer Ikone  und sein Gesicht lehnte er an sie  mit geschlossenen Augen, als würde er tief  schlafen.  Na klar, er wohnte beim  Alex.  Mit einer  eleganten Bewegung machte er  Platz  und schaute mich fragend an.  Ich suchte daraufhin Ostkreuz und tippte dahin. Er hob den Daumen und  nickte. Da war das Eis zwischen uns gebrochen.  Aber wollte  ich das??                                                                        Er wurde nämlich  mein Reisegefährte bis zum Ende.  Mit seinem Schauspiel zeigte er mir  an welcher Ecke er Unter den Linden  immer stand und seine Pantomime- Tricks aufführte (einmal zeigte er zu den Nazis rüber, tat so als würde sein Kopf aufklappen und sein Hirn davonfliegen).  Dann kam was kommen musste, er fragte mich  ob ich ihn  auf ein Bier einlud. In Ostkreuz stiegen  wir  aus und  Ich dachte wirklich, die  Nazi-Typen sehe ich zum letzten Mal. Wir beide  hatten hier  Wurzeln geschlagen und  starrten auf einen Zug.  Dann trat mein Nachbar an eines der Fenster, hinter denen wir sie sehen konnten und schlug mit den Fingerknöcheln  sanft dagegen. Innen richteten sich die Köpfe nach der Erschütterung aus.  Ohne Worte taxierten sie ihn und starrten dann auf den  Mittelfinger.  Freudig und  strahlend  fuchtelte er  mich zu sich her und er brauchte mich nicht  zu  überreden.  Wir  zeigten ihnen nur eines;  Arschloch. Ihre Gesichter  glitten an uns vorbei, als sich der Zug nach einer Unendlichkeit endlich in Bewegung  setzte.  Die U-Bahn war  fast schon von dem  Dunkel des Tunnels verschlungen und  ich begann schon diesen netten Abend als Anekdote  zu speichern.  Der  letzte Waggon blinkte  mit all seinen  Lichtern, als abgebremst und zurückgesetzt wurde. Bis genau vor meinen Fußspitzen. Dort öffnete  sich  die Türe und  Vier Muskelbepackte Schränke stürmten  heraus  und starrten auf uns herab.                                                  Von welcher Höhe auch noch!  Ich sah nur Schatten.  Entweder würden sie uns nur herablassend verarschen, oder die Scheiße aus dem Leib prügeln.  Sicher war  letzteres.  Unsere Arme waren immer noch in die Luft und unsere  Mundwinkel nach oben gestreckt. Aber wohl eher aus Angst verkrampft.  Einer  von ihnen mit Sonnenbrille und Ohrring bewaffnet, wie ein Pirat, kam auf mich zu.  Die Augen von mir und dem Obdachlosen, wanderten jeweils  in die hinterste Ecke ihrer Höhlen.  Wir rannten  los. Und als hätten wir diese Nummer geprobt, sie zwei Sekunden hinter her.  Wir rannten, denn der Tod jagte uns. Gut,  vielleicht  war das  ein wenig  übertrieben. Aber in diesem Moment, in dieser Sekunde war mir diese Gewissheit  bis in die Knochen hineingefahren.  Ein Tunnel öffnete  sich  vor uns.  Etwas blinkte, genau dort wo wir hinrannten.  Ein greller Blitz der  blinzelte.  Schnaufende  Schatten kamen zu uns in den Tunnel.  Dann sah ich das gelbe  Band, die Schranken und de Plastikplanen  die über der Baustelle lagen.  Kurz  ehe wir dagegen krachten, glaubte  ich noch an die Illusion das es doch noch weitergehen konnte.  Aber bevor  ich über der Realität stolperte, packte mich der Obdachlose im Lauf an  der  Seite  und  gemeinsam  verschluckte uns  ein lichtloser Gang.  Wütende Schreie waren hinter uns zu hören.  Ich wusste  nicht wohin oder worauf ich meine Füße setzte.  Ich spürte den Druck von der Hand auf meinem Arm  und nur  darauf  verließ ich mich. Keine Ahnung  wann meine Vernunft aus meinem Kopf geflogen war. Wir stürzten  mitten hinein  in einen  Strudel aus Menschen.  Leute waren rundherum  wo vorher  nur Schwärze  gewesen war.  Gott sei Dank  kollidierte ich mit niemandem, aber auch nur weil mich der Obdachlose  zurückriss als stünde ich vor einer Klippe.  Im nächsten Schritt  den wir aufsetzten, waren wir  sie so ruhig  geworden wie  ein Glas Wasser.  Köpfe drehten sich zu  uns um.  Geduckt schlichen  wir zwischen  den Gestalten auf  der Straße vorbei.  Wir  versuchten  dort  unter zu tauchen, wo  die Menschen  am dichtesten standen.  So schummelten wir  uns durch. Einen Vorsprung hatte es nur in meinem Kopf  gegeben und den auch nicht lange.  Der Typ mit  dem Ohrring schaute  nur mich an, oder besser gesagt meinen neuen Freund.  Wie Maschinen  hielten sie einen gewissen  Abstand ein  Ich stellte mir mitten im Hetzten  vor,  ich würde  auf sie zugehen.  Wahrscheinlich  würde ich an ihnen vorbei kommen,  nur durchsiebt von ihren Blicken. Dann  würden sie wie ein durch trainierter Schwanenschwarm sich umdrehen  und mir folgen.  So lange  Menschen  noch auf  der Straße waren,  hatten wir noch Engel und einen  Schutzschild.  Etwas  später in der Nacht, sähe  es dann verdächtig danach aus dass  der  Ausflug in einer Seitengasse endete.  Wie stupide Roboter verlangsamten wir unsere Schritte.  Ich spürte  zum ersten Mal das ein Mann genauso viel Angst hatte wie ich, was mich nicht sonderlich beruhigte.  Mittendrinn in diesem zwar nicht laufenden aber trotzdem panischen  Spaziergang, leuchtete  etwas Blaues in der in der Schwarzen Wand hinter einer kleinen Brücke. Scheiße, eine Polizeistation. Mein Herz pumpte kalten Schweiß  über mich wie ein Springbrunnen.  Sofort rannte ich los. Im blauen Lichtkegel  sackte ich  zusammen.  Auf dieser kleinen Brücke standen vier Schatten  Hatte ich Angst,  hatte ich keine Angst. Fror ich oder war hungrig? Ich weiß es jetzt nicht und wusste  es in  jenem Moment auch nicht.  Meine Welt war immer so schön  heil gewesen,  bis zu diesem Abend.  Hinter einem kleinen Fenster saß ein Polizist und rührte in einer Kaffeetasse, und rührte und rührte.  Wahrscheinlich machte er das schon die ganze Zeit über  wollte es die Nacht  hin durch weitermachen.  Ohne  hinzusehen,  fuhren meine  Fühle zum Türgriff.  Aber der hatte einen wolligen Pelzbezug.  Eine Bärenpranke lag  unter meinen Fingern.  Der  Obdachlose  war mit seinen  Augen  im Gebäude. Sein Gesicht war halb im  Licht und  Schatten. Abwehrend  schüttelte  er seine Hand herum  und  verzog  die Schultern.  Dann tat er das womit (ich bin mal so arrogant und behaupte das) wohl kein Mensch jemals gerechnet hat.  Er wollte wieder gehen.  Spinnt                                                                            der??                                                                                                                    „He he, was machst du da“, rief ich und verstellte ihm den Weg. Wir drehten uns mal im blauen Licht im Kreis.  Aber weil er nicht sprechen konnte, schüttelte  er  alle seine Extremitäten.  „Die können uns helfen, verstehst du“.                                                                                                                        Anscheinend war ihm  das egal.  So wie er sich  benahm, war  er wohl nicht gerade ein  Unbekannter  bei  der  Polente.  Aber wie machte  ich ihm klar dass wir sicher eine Lösung finden würden.  Auch wen ich mir da nicht so sicher war. Es war sicher  besser eine  Nacht im Arrest zu verbringen, als von denen da zerfleischt  werden.  Zuerst  dachte ich, vielleicht  verschwinden die dahinten.  Aber eine Viertelstunde  verging, zusätzlich  zu der die schon vergangen war.  Dann  hängte noch jemand eine  halbe Stunde dran.  Aber die Schatten blieben  auf der Brücke. „Komm rein“, sagte ich.  Dann verschwand auch der Traum, dass wir  uns mit der Polizei arrangieren könnten.  Heißte, also ich müsse alleine da rein. Da kam das  Zögern zu mir.  Ich konnte da reingehen, physisch war da kein  Problem.  Oh  Mann, wieso machte ich eine solche moralische Sache daraus?  Ich konnte  mich aus den Schwierigkeiten heraus manövrieren.  Ganz  einfach . Das Leben ging weiter. Ich würde  heiraten, Kinder  kriegen, mich scheiden  lassen  und dann  komplett senil von meinen Kindern in ein Heim gerollt werden.  Oder ich zeigte der Welt in einer hirnverbrannten Kamikazeaktion  dass ich Eier  besaß, in dem ich bei dem Obdachlosen  blieb.  In mir verwandelte sich alles  in einen suppenartigen brennenden Schleim.  Gemeinsam gingen wir von der Tür weg, immer weiter.                                                                                              Ich drehte mich nicht um und schaute ob wir  verfolgt wurden, wieder.  Der Ausblick war mir so egal wie  nur  etwas egal sein konnte.  Dann verschwanden die Menschen von der Straße. Wir rannten wieder los, auch wenn wir wussten dass vor uns  nur noch eine Schlucht war.  In  einem alten  Plattenbau  war  eine Stripteasekneipe untergebracht, die wie der Rest vom Gebäude aussah wie nach einem Atomkrieg.    Über dem Eingang hing ein Verschnörkeltes Gewirr  aus Neon das offenbar das laszive  Antlitz einer Frau darstellen sollte. Daneben stand doch tatsächlich in Handschrift Marlene Dietrich.  Drinnen war  es sogar noch finsterer als draußen.  Ich hielt mich an der Kante der  der Theke fest, um nicht von der Strömung fortgerissen zu werden.  Die Farbe mit der das Holz lackiert worden  war,  splitterte schon ab. Genau wie bei der Frau, die an der anderen Seite zu uns kam.  Ihr Gang war so fließend, als würde sie schweben.              Ich musste mit einem prägnanten Satz anfangen, der alles sofort klarstellte.  Daraufhin würden sie mich  todernst  ansehen  und  dabei nickend sagen, „Alles klar, wie können wir euch helfen“?                                                                                                              Danach würden sie uns ein Taxi spendieren das uns nach Hause brachte.  Na Klar und kochen  würden  sie  für  mich  und  einen Gratistanz auf meinem…          Die Hüterin der Spirituosen  sah mich und den  Obdachlosen an. „Habt ihr Zwei überhaupt Geld“?  Ratlos starrte ich  auf mich herab, als würden  dort Diamanten  herab hängen.  Wieso  musste Sie  auch gerade so anfangen. Das nahm mir wertvolle  Zeit für meinen  genialen prägnanten Satz, der sie erweichen sollte.  Und er würde mir sicher gleich einfallen.  Da deutet e  der Obdachlose  auf das Regal  und hob  wiedermal  zwei  Finger.  Mitten in dieser  Bewegung schlug er, nicht besonders sanft, einen  Geldbetrag hin.  Mir fielen die  Augen raus. Nein, sie fielen mir wirklich raus und musste sie wieder aufheben.  So  brachten wir sie dazu uns zuzuhören.  In dem wir uns betranken.  Ich erzählte unsere Geschichte und sie hörten uns zu.  Die Frau, hinter der Bar,  saß die ganze Zeit über  auf einem  Arm gestützt  da und schielte mit  einem geöffneten  Auge  uns an.  Entweder wollte sie mich auffressen, oder  nur auslachen. Was genau konnte  ich  nicht feststellen.  Dann langte  sie zu  einer der Tänzerinnen hinüber, die im Licht einer elektrischen Kerze gedöst hatte. „Sachiko, geh mal nach oben  und kontrollier das mal, ja“.  Sie kam bald wieder.  „Ja da stehen wirklich  welche und starren die Tür unentwegt an.  Die müssen ja eine Scheißwut haben“.  Ich nickte zu stimmend und  trank noch einen Schluck.  Die Frau trommelte mit den Fingern. „Bei  der Polizei wart ihr Nasen sicher schon. Aber aus irgendeinen Grund, den ich sicher nicht wissen will,  ist es euch nicht möglich deren Dienste in  Anspruch zu nehmen.“  Sie hatte ein Selbstgespräch geführt,  denn  sie kratzte  sich am Kinn mit einem  Ausdruck in den Augen, als wäre ihr wieder  eine geniale Formel wieder eingefallen.          „Da bleibt nur noch  eines“, sagte sie und schlug die Hände zusammen.  Ich zeigte nach draußen. Aber sie zeigte nach hinten und grinste diabolisch.

Marlene starrte uns von  allen Ecken aus an. Im Spiegel  war mein gespenstisches Ich zu sehen.  Marlene lachte von ihren Fotos herab mich aus. Frauen die ich nicht kannte,  fummelten an tausend Stellen  an mir herum.  Trugen Makeups auf und wischten es  wieder weg.  Es ging alles so schnell und ich  war etwas so  daran beteiligt, als läge ich in einem Wachkoma.  „Na hast du eine Freundinn“, wurde ich von der Seite gefragt.  Ich zuckte nur mit den Schultern. „Aber warum  denn nicht, kennst du  keine Mädchen“.  Was antwortet man darauf?  Der Obdachlose stand  in einer  Ecke, die Schminkutensilien  vor sich  ausgebreitet.  Seine Arme bewegten sich langsam, wenn sie etwas taten.  Er  schmierte das Weiße weg  und Trauriges Gesicht sagte Hallo.  Aber es wirkte zu einer  Maske erstarrt, denn  in seinen Augen las man nur starke Konzentration.  Ach ja, was die Stripperinnen  da mit uns machten war das sie uns in Nutten  verwandelten.  Ich bekam eine  rote Perücke aufgesetzt, die so wirkte als wäre sie  aus  Zucker gemacht.  Die gleiche Farbe wurde auch auf meine  Lippen  aufgetragen. So wirkten sie viel  sinnlicher.  Meine  Augenbraunen wurden gezupft und die Nägel lackiert.  Als ich versuchte mit Stöckelschuhen durch das Zimmer zu gehen, krachte ich hinter einen Berg aus  Kisten  und musste wieder auf die Beine gehievt werden.  Der Obdachlose war zu einer Schönheit der Nacht geworden. Zu  einem verbotenen Traum.  Sein pelziger Bart  war abrasiert worden, das hatte auch die meiste Arbeit gekostet. Seine gewaltige Haarpracht darüber, konnte man wohl als Barock bezeichnen. Ein brünetter  Vorhang aus Locken versteckte ihn. Während Ich  in eine scheißenge Lederjacke  und eine graue Strumpfhose gequetscht wurde,  die meine Arschritze  ungeniert zum Vorschein brachte, bedankte ich mich bei einer meiner Helferinnen.  Worauf  sie aber ganz  beiläufig  die Schultern  anhob und mit  gelangweilten Ton dazu sagte, „Montags ist eh hier nicht los“.  Ich schluckte. Ohne es zu wollen, bildeten  sich wie  Nebelschwaden  Bilder in meinem  Kopf, von  der Marke Was-Wäre-Wenn  und quälte mich mit alternativen Szenarien.  Die Bude  war da mit Betrunkenen  voll  und kein Schwanz oder Vagina scherte sich um unser  Schicksal.  Mit geschmeidigen Bewegungen, mit der Erhabenheit einer Geisha,  wandelte  der Obdachlose  durch  die schmale  Garderobe.  In seinem blauen Kleid bewegte  er sich, ohne den  Stoff zu zerknittern oder ins Stocken zu kommen. Es war wie eine Welle zu beobachten. Die Frauen standen daneben und jubelten ihm zu.  „Mensch Alter, willst du nicht gleich bei uns anfangen“.  Ich saß da in meiner Nuttenpracht  und wollte einfach nur Heim.  Aber nicht  in mein WG- Zimmer, sondern zu Mami.  Die Alte von der Bar, kratzte sich  am Kinn und sah uns wieder mit diesem nach Weisheit gierenden Blick an. „Das ist gar nicht  mal  so eine blöde Idee“.  Ohne weitere Erläuterung, obwohl es davor auch keine gegeben hatte,  schnappte sie und zerrte mich  in den edlen Tanzsaal  zurück.  Ein Alter starrte zu mir hoch.  Dann deutete er mit dem Daumen auf mich „Und was soll ich mit der Muschi da“.  Meine Freundinn klopfte mir  auf die  Schulter. „Tja, wir mussten  es ja ausprobieren, sonst wäre  die ganze Show gelaufen“.  Ich kehrte nicht mehr  in die Garderobe zurück, sondern wurde gleich zum Ausgang gebracht.  Der Obdachlose bedankte sich mit einer Vorbeugung bei jeder Dame, die sich alle grinsend bei ihm zurück bedankten.  Meine Körpersäfte rumorten, als wir uns der Tür näherten.  Meine Schritte verknappten sich, ohne dass ich es merkte. Für einen Schritt brauchte ich dann Zwei.  Aber egal wie oft man die Augen schließt,  bis Zehn zählt oder schweiß nassen Hände abwischt, man wird auf die Straße gespuckt.  Genau die war leer.  Mutterseelen allein  standen wir am Gehsteig  und keiner da, der  uns vermöbeln wollte. Vielleicht  war es ihnen ja zu  blöd geworden?  Was war denn das für eine dämliche Frage, natürlich war es ihnen  zu blöd geworden zu warten. Der ganze Stress für nichts.  Ich sah zu mir herunter.  Da drinnen wäre auch einfach  Abwarten möglich gewesen. Aber nein, anmalen war ja doch schöner. Der Obdachlose begutachtete die Gegend von  Rechts nach Links. Dann  begutachtete er sich auch. Er zerknitterte seine Nase und Stirn, über die er dann mit den  Händen fuhr als wäre ihm schwindelig.  Wir gingen mit flauen Gefühl, also ich zumindest, nach Ostkreutz zurück.  Etwas berührte mich ständig  an der Schulter. Doch hatte ich keinen Nerv für sowas.  Dann kam es wieder und wieder, wie  Morsecode. „Was ist“, fragte ich genervt. Der Obdachlose sah mich ruhig an und hob einen fingierten Humpen hoch. Hinter mir war eine kleine Kneipe.  Dann dachte ich wieder an mein Versprechen und nickte.  Mit einem Gefühl der Erschöpfung, aber einem schönen warmen,  humpelte ich nach Hause. Um die Ecke knallte ich  mit einem  nicht Unbekannten zusammen. Es war der  Skinhead mit dem Ohrring.  Er klotzte mich  von Oben bis Unten an. Lässig stopfte er seine Hände in die Jacke.  „Na du“, sagte er  und zucke dreimal mit den Augenbrauen.


Anmerkung von max.sternbauer:

Ein kleines Rendezvous in der Berliner S-Bahn.

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