Die erste Finsternis

Tagebuch zum Thema Ausweglosigkeit/ Dilemma

von  ZornDerFinsternis

Die Tage wurden dunkler. Die früher einbrechende Dunkelheit hat sich auch auf meinen Geist gestürtzt.
Es fehlt an allem. An Liebe. Hoffnung. Frohen Gedanken, Umarmungen.
Nur die Erinnerung spielt jeden Tag dieses beschissene Spiel mit mir.
Tag ein, Tag aus. Immer wieder diese wiederlichen Fratzen, die mich anstarren. Auf mich einprügeln und
mich anschreien. Es hat im Laufe der letzten 5 Jahre kaum etwas gegeben, was mir helfen konnte.
Zumindest nichts, was Ärtzte angeordnet hatten. Antidepressiva sind doch der aller letzte Schrott.
Sie helfen einen Scheiss und bringen noch weniger als nichts. Nur die Selbstverletzung hat es geschafft,
mich bis zum heutigen Tage des Jahres 2010 hier zu halten. Nur diesen Schmerz, den ich mir selbst zufügte hat es geschafft, mir zu zeigen, dass ich noch am Leben bin. Irgendwo, ganz tief verborgen, in mir, doch noch empfinden kann. Ein winziges Bisschen Empfinden ist noch geblieben. Nach all den leidvollen Jahren, auf die ich mit tränenverschmierten Augen und gebrochenem Herzen zurückblicken muss. Erfolge habe ich keine verzeichnen können. Der Wind hat meine Spuren im Sand verwischt. Für immer.
Und es ist an der Zeit, dass ich es dem Wind gleichtun werde. Meine Spuren verwische.
Habe zu lange das Leid in seiner Allgegenwärtigkeit ertragen. Zu lange am Geländer der Brücke gestanden und den fahrenden Zügen nachgesehen. Zu viele Tage dort oben gestanden, um wieder nicht zu springen. Meinen letzten, kleinen, unbedeutenden Traum davonziehen lassen. Einzig, um ihm wieder nachtrauern zu müssen.
Leben ist nunmal eine scheiss Angelegenheit.
Und der Nebel verschleiert wieder die winzigsten Fitzel eines klaren Gedankens, in Mitten der zerreißenden Suizidgedanken.
Im Nebel erreichen mich die Lichter der Stadt nicht mehr.
Im Nebel verliere ich mich und meine Schritte. Verirre mich, auf meinem Weg ins Nirgendwo.
Und ich kann den Sternenhimmel nicht sehen.
Im Nebel kann ich deine Hand nicht halten. Kann ich nicht spüren, dass mein Herz noch schlagen will.
Und ich erinnere mich kaum mehr an das Lächeln auf deinen Lippen. Kann weder dein Bild strahlen sehen, noch deine Liebe in mir spüren.
Erinnere mich nur an die Schwärze. Die Finsternis, aus der ich einst kam. Aus der wir alle kamen.
Doch in jener, ersten Finsternis des Entstehens, war es Wärme und Geborgenheit, die uns umgab.
Dort gab es keine Menschen. Keine Menschen, die hassten. Es gab keinen Hass. Weder ihn, noch Liebe.
Diese Gleichgültigkeit dort im Mutterleib, war etwas wundervolles. Verglichen mit dem Leben, war dieses Ungewisse, Gleichgültige, ein unendliches Paradies. Ein Paradies, ein Garten Eden, nach dem ich mich zurücksehne. Den ich vermisse.
Ja, Mutter... dieses Leben hast du mir geschenkt. Wenn auch, ich nicht nach Zustimmung gefragt wurde. Nein.
Mutter, ich habe leben müssen. Einzig, weil du und Papa entschieden habt. Ja.
Und du wolltest einen weiteren Sohn. Einen Jungen.
Mutter, wieso zwingst du mich dazu weiter dieses ungeliebte Dasein zu fristen? Jeden Tag in deine Augen sehen zu müssen? Leiden zu müssen, weil ich aus dir bin? Mehr als nur dein Fleisch und Blut bin?
Mutter, wieso bin ich der Fluch der über deinem Leben als tiefschwarze, böse Wolke hängt?
Was habe ich dir jemals getan?
Und die Tage werden dunkler. Ich weiß...
Ich kenne den Herbst. Die dunkle Jahreszeit. Schien es mir doch die vergangenen 19 einhalb Jahr so, als wäre mein Leben nie etwas anderes gewesen, als ein trister, nie endender Herbst. Melancholisch und unheilvoll. Irgendwie, so verloren. Trostlos.
Ich erinnere mich an vieles. Und doch habe ich das meiste schon vergessen. Vielleicht auch bloß verdrängt. Aber immerhin töten mich in den nächsten Tagen meines Lebens, keine Milliarden Bilder und Erinnerungsfetzen.
Nur ein paar hundert weniger. Immerhin.
Ja, ich weiß noch genau, wie du mich gehasst hast. Wie dein eiserner Blick mich für meine Angst strafte. Demut, ein wundervolles, erfülltes Leben... - nein, ein beschissener Scheissdreck. Und es schmerzt die winzigste Brise der Erinnerung.
Und ja..., du hattest Sex mit mir. Nein, ich wollte nicht. War doch bloß 15 Jahre alt. Ungeliebt. Verschüchtert. Von den besten Freunden einen Tag zu vor verlassen. Die beiden wichtigsten Menschen an den Tod verloren.
Und du wirfst mich auf dein Bett. Prügelst munter auf mich ein. Während dein Geschrei auf mich einprasselt, wie eine Bestätigung dafür, dass mein Leben; mein Dasein keinem Menschen je einen Scheiss bedeuten wird.
Ich habe so gebettelt und gefleht, wie das jämmerlichste Elend auf der Welt. Und das Einzige, was sich an deinem beschissen, breitem Grinsen änderte, war bloß, dass es noch breiter und noch ekeliger wurde. Einen Scheiss hast du verstanden. Die einzige Träne in meinem Gesicht, hast du fortgeprügelt. Meinen Verstand, mein Herz, meine Seele, meine Gedanken gefickt. Vergewaltigt. Richtung Selbstmord getrieben. Und ja, die Schläge haben es ein Stück weit erträglicher gemacht. Mir das Gefühl geschenkt, noch viel weniger als ein Fick für dich zu sein.
Und ja, ich habe überlebt. Zumindest lebt meine Hülle noch. Wandelt immer noch in dieser Finsternis umher, die keinen Ausweg parat hält. Und ich verirre mich wieder in Gedanken von gestern und heute.
Seit damals sind eingie Jahre vergangen. Ähnliche Bilder in die Galerie importiert worden. Nicht gewollt, aber abgeholt. Was soll ich noch tun? Ich kann den Speicher nicht löschen. Mein Blut hat die Bilder nicht verwischen lassen. Eher noch an Intensität zunehmen lassen. Den Schmerz aufgestachelt.
Und ich weiß, ich würde verlieren, wenn ich weiter bleibe. 19 einhalb Jahre lang, lebe ich. Jeder weitere Tag bricht mir das Genick. Und egal, wie viele Kippen ich auch am Tag rauche, am Ende bleibt doch nur die Gewissheit des Leidens zurück. Jene, die mir sagt, egal, wie sehr ich mich nach dem Tod sehne. Wie viele Schritte ich auch auf ihn zu renne, er wird mir nicht gnädig sein. Wird mich nicht schon an meinem 20 Geburtstag gehen lassen. Er will mich weiterhin leiden sehen. Ich spüre es. Beweis genug dafür dürften meine Suizidversuche sein, die bis zum heutigen Oktobertag des Jahres zwanzig-zehn, hinter mir liegen. Wie man sieht, wenig erfolgreich - ich "lebe". Soll mich "glücklich" schätzen. Die Tage und Jahre, die mir "geschenkt" wurden und noch verbleiben genießen. Eine jämmerliche Scheisse, wenn man mich fragt. Aber man fragt mich nicht. Genauso wenig, wie man dich fragt. Sie, oder ihn.
Ich sitze auf der Bettkante in deinem Schlafzimmer. Das Bettlaken ist rot. Die Wände im Zimmer Dunkelrot und die Decke Pechschwarz. Mein Blick verschmilzt mit dem Parkett. In meiner Hand halte ich eine Zigarette. Frag mich nicht, die wie vielte es heute schon ist. Spüre Tränen in meinem Augenwinkel sitzen. Langsam bahnen sie sich ihren Weg über mein abstoßendes Gesicht. Und ich inhaliere ausgiebig den Rauch meiner Zigarette. Ganz tief lasse ich ihn in meine Lunge reisen. Ich hoffe inständig, dass er ein paar Funktionen meiner Lunge beeinträchtigt und erhebliche Schäden dort anrichtet. Ich will nicht mehr. Ich habe es dir schon so oft gesagt. Dass ich nicht mehr leben will, ich habe es euch so oft gesagt. So oft geschrieben. Und immer wieder, blieb ich doch. Aus Feigheit. Aus Angst, doch jemanden von euch mit meinem Ableben ins Unglück stürzen zu können. Aber ich weiß, ich kann die Erinnerung nicht mehr tragen. Die Last ist mir zu groß geworden. Die Bilder und Worte zertrümmern mein Kreuz. Und ich blicke in die Glut. Forst schüttelt meinen verwahllosten, dicken Körper. Und ich weine weiter. Starre unentwegt in die Leere.
Habe das Gefühl mich selbst im Spiegel zu durchbohren, bis auf meine Seele zu starren. Ja, meine Seele scheint das Ebenbild der Leere zu sein.
Sehe dich unter der Dusche stehen. Mich vor dir. Die Hände vor das Gesicht gepresst. Zitternd stehe ich da. Die langen Haare kleben über meinem tattoowierten Rücken. Deine Hände fassen mich an. Überall. An Stellen, die niemand je wieder berühren sollte. Und ich weiß, ich weine. Schäme mich. Ekel mich. Vor mir und vor dir. Verberge Angst und Gegenwart hinter meinen Händen. Will in die Schwärze zurück, in jene erste Schwärze aus der wir alle kamen.
Dort, wo es still ist. Dort, wo es keine Menschen und auch keinen Hass gibt. Dort, wo Leben noch nicht vollkommen ist. Wo Neugeboren ebenso auch leblosbleiben bedeuten kann.
Deine Hände liegen auf meinen Schultern. Und das gleiche Bild, wie einen kurzen Augenblick zuvor. Zitternd und berängstig stehe ich dort. Vor dir. Das kalte Wasser prasselt auf uns nieder. Der schlichte Duschvorhang ist viel zu lang. Er klebt unter unseren Füßen. Und ich habe nur einen Wunsch. Ich will hier bloß weg. Du redest auf mich ein. Genauso monoton, wie das Wasser aus der Brause. Ebenso kalt. Bedeutungslos. Zumindest, in jenem Moment, für mich.
Drückst mich auf die Knie. Der Wannenboden ist noch rutschig vom Duschgel. Und es ist unangenehm dort unten. Fühle mich so klein und hilflos. Fast schlimmer, als damals mit 15.
Habe die Augen geschlossen. Die Hände klammern sich an den Rand der Badewanne und es schmerzt diese Bilder von früher im Kopf zu haben. Du redest gegen die Stimmen in meinem Kopf an. Gegen die Stimme, die mir gerade sagen wollte, dass ich aufstehen und gehen sollte. Die, die dir sagen sollte, dass ich nach Hause will. Mich anziehen und einfach bloß gehen will. Und das, obwohl ich dich liebe.
Aber du kennst meine Vergangenheit. Ich begreife dich nicht. Und das, was du nun willst... von mir, die nackt vor dir in der Dusche kniet, dürfte klar sein.
Genauso, wie mir klar wurde, dass ich nicht mehr leben kann. Und es auch nicht mehr will.
Drücke die Zigarette an meinem Arm aus.
Lösche das Licht in meinem Zimmer. Schließe die Tür hinter mir und trete in die kühle, nächtliche Schwärze.
Trage nichts bei mir. Außer einem Zettel. Einem winzigen Zettel, mit wenigen Worten des Abschieds beschrieben.
Nehme die Umgebung nicht mehr wahr. Ignoriere die schönen Landschaftsbilder, die an mir vorüber ziehen.
Ich lege mich schlafen.
Greife nach der 44'er und drücke ab.

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Kommentare zu diesem Text

Herr_Beil (49)
(18.10.10)
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SigrunAl-Badri (52)
(18.10.10)
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 AZU20 (18.10.10)
Heftig. LG
Träumerveve95 (17)
(18.10.10)
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Scrag (23)
(18.10.10)
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 TrekanBelluvitsh (08.01.19)
Die Tragik unserer Existenz ist, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, die anderen braucht.
"Weil ich schon immer der Meinung war, dass die meisten Menschen grausam, verblödet und niederträchtig sind."

- John Becker -
Wenn Mann und Frau sich ihre Liebe beweisen wollen, tut es auch ein schickes Abendessen. Es muss nicht immer folgenreicher Geschlechtsverkehr sein...

Kommentar geändert am 08.01.2019 um 15:06 Uhr
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